Zum dritten Mal in sieben Wochen: Abschiebung ins Gefängnis
Familie Cindo aus NRW wird nach ihrer Ankunft in Syrien verhaftet. Innerhalb von sieben Wochen endet so zum dritten Mal eine Abschiebung nach Syrien im Gefängnis.
BREMEN taz | Donnerstag, 8. Oktober, 5 Uhr morgens. Polizisten kommen in das Asylbewerberheim Rote Mühle in Lübbecke bei Bielefeld. Seit 2001 lebt hier die jesidische Familie Cindo. Die abgelehnten Asylbewerber, Angehörige einer kurdischen Volksgruppe, werden nach Damaskus abgeschoben - und sitzen seitdem in Syrien im Gefängnis.
Laut Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) wurden die 55-jährige Witwe Sexa Cindo, ihre 22-jährige Tochter Fatima und drei Söhne im Alter von 19 bis 21 am Flughafen verhaftet. Sie sollen in Deutschland an antisyrischen Demonstrationen teilgenommen haben. Das erfüllt laut GfbV den Tatbestand der "Beschädigung des Ansehens Syriens im Ausland".
Innerhalb von sieben Wochen endet so zum dritten Mal eine Abschiebung von Deutschland nach Syrien im Gefängnis. Zuletzt traf es Khalid Kenjo. Der Kurde wurde am 1. September abgeschoben und verschwand kurz darauf in Syrien nach einer Vorladung beim Geheimdienst. Erst vier Wochen später konnte er im Gefängnis mit einem Anwalt sprechen (taz vom 12. 10.). Auch Kenjo soll "falsche Informationen über Syrien" verbreitet haben. Laut Innenstaatssekretär Peter Altmaier will die Bundesregierung den Vorgang "weiter beobachten".
Oppositionelle und Angehörige der kurdischen bzw. jesidischen Minderheit werden in Syrien verfolgt. Das Auswärtige Amt nennt die Menschenrechtslage unter Präsident al-Assad "unbefriedigend", es gebe "Folter, Misshandlung von Gefangenen und ,Verschwindenlassen'." Laut der GfbV soll "schon für kleine kritische Bemerkungen über das Regime systematische, grausame Folter" angewendet werden. Fünf Menschen starben laut Amnesty International 2008 in syrischen Gefängnissen.
Nach dem Inkraftreten eines Rücknahmeabkommens mit Syrien im Januar begannen deutsche Ausländerbehörden im Sommer, die ersten von etwa 7.000 Geduldeten dorthin abzuschieben. Die GfbV, Pro Asyl und andere Organisationen fordern von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) die sofortige Aussetzung des Abkommens. Dessen Sprecher weist die Verantwortung jedoch zurück: "Für Abschiebungen zuständig sind die Länder."
Für die Cindos ist die behördliche Zuständigkeit im Moment einerlei. Die Schwester der zuckerkranken Sexa Cindo habe in Syrien versucht, Näheres über die Lage ihrer Angehörigen herauszufinden, berichtet ein Freund der Familie. Doch ohne Erfolg: "Man kriegt null Informationen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin