Zum Tode verurteilte Aschtiani: Iranerin will Reporter verklagen
Die zum Tode verurteilte Iranerin Aschtiani will die zwei inhaftierten deutschen Journalisten verklagen, die über ihren Fall berichten wollten. Prominente Deutsche fordern die Freilassung der Männer.
![](https://taz.de/picture/285089/14/aschtianireutrs.20110102-13.jpg)
TABRIS/BERLIN afp/dpa | Die wegen Ehebruchs zum Tod durch Steinigung verurteilte Iranerin Sakine Mohammadi Aschtiani sagte, sie wolle "diejenigen verklagen, die Schande über mich und das Land gebracht haben". Gemeint sind damit die zwei im Iran inhaftierten deutschen Reporter der Bild am Sonntag (BamS). Aschtiani äußerte sich zu ihrem Fall am Samstag vor ausländischen Journalisten in der nordwestiranischen Stadt Tabris. Hundert Prominente forderten derweil die Freilassung der Deutschen.
Verklagen wolle sie "die beiden Deutschen", ihren ehemaligen Anwalt Mohammed Mostafaie, den Mörder ihres Ehemannes, Issa Taheri, sowie die in Deutschland lebende Sprecherin des Komitees gegen die Steinigung, Mina Ahadi, sagte Aschtiani. "Ich trete aus eigenem Willen vor die Kameras, um zu der Welt zu sprechen", sagte die 43-Jährige, die seit 2006 in Haft sitzt.
Ihre kurze Pressekonferenz war von Justizvertretern im Gästehaus einer staatlichen Wohlfahrtsorganisation angesetzt worden. Sie wolle reden, weil viele Menschen ihren Fall "ausgebeutet" und behauptet hätten, sie sei gefoltert worden, "was eine Lüge ist", sagte Aschtiani.
Michael Backhaus, stellvertretender Chefredakteur der Bild am Sonntag, sagte in Berlin: "Wir finden es befremdlich, dass eine Frau, die im Iran zum Tode verurteilt worden ist, für einige Stunden das Gefängnis verlassen darf, um vor westlichen Medien anzukündigen, dass sie Journalisten, die über ihren Fall berichten wollten, anzeigen will."
Ahadi sagte, Aschtiani stehe "unter enormem Druck". "Und sie sagt sowas unter Druck." Eine Klage sei für sie überhaupt kein Problem. Teheran "versucht jetzt lächerliche Sachen. Es zeigt, unsere Arbeit hat Wirkung", sagte die Sprecherin des Komitees gegen die Steinigung.
Der Sohn Aschtianis bat erneut um Gnade für seine Mutter. Zugleich äußerte er am Samstag bei einem von den örtlichen Justizbehörden organisierten Treffen mit der Presse die Überzeugung, dass seine Mutter und deren Freund Issa Taheri seinen Vater ermordet hätten: "Ich halte meine Mutter und Issa Taheri für die Mörder meines Vaters, die beiden sind schuldig." Den BamS-Reportern, Mostafaie und dem zweiten, ebenfalls inhaftierten Anwalt, Dschawid Hutan Kian, warf Ghadersadeh vor, die Lage "verschlimmert" zu haben.
In einem Appell forderten hundert deutsche Spitzenvertreter aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport vom Iran die Freilassung der Journalisten. An der Solidaritätsaktion in der BamS beteiligten sich mehrere Bundesminister, Vertreter aller Bundestagsparteien, Wirtschaftsführer sowie Nobel- und Oscarpreisträger.
Gebot der Humanität
Außenminister Guido Westerwelle sagte: "Die beiden (Reporter) müssen so schnell wie möglich freikommen und nach Deutschland zurückkehren. Dafür werde ich mich auch im neuen Jahr mit ganzer Kraft einsetzen." Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor sagte: "Ich appelliere an den Iran, die beiden so schnell wie möglich freizulassen. Ein Staat, der wie der Iran ständig um Verständnis wirbt, sollte darauf achten, dies nicht auf anderen Gebieten zu verspielen." Finanzminister Wolfgang Schäuble und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen appellierten ebenfalls an die Regierung in Teheran, die beiden Deutschen zu ihren Familien zurückkehren zu lassen.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel forderte eine umgehende Freilassung der Journalisten: "Das ist nicht nur eine Frage der Pressefreiheit und der Menschenrechte, sondern auch ein Gebot der Humanität." Für die Grünen erklärte Fraktionschef Jürgen Trittin: "Steinigungen, Folter und Unterdrückung gehören zum traurigen Alltag im Iran. Wer darüber berichten will, wird eingesperrt. Dazu dürfen wir nicht schweigen! Die beiden Reporter von Bild am Sonntag müssen sofort freigelassen werden."
Der Vorsitzende der Linke-Fraktion im Bundestag, Gregor Gysi, fordert ebenfalls eine sofortige Freilassung der Journalisten. Ihre Inhaftierung sei "indiskutabel". CSU-Chef Horst Seehofer appellierte an die Machthaber in Teheran: "Lassen Sie die beiden Journalisten nach Hause."
"Sie haben nur ihre Arbeit gemacht"
Für die Wirtschaft schlossen sich der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, der Vorstandsvorsitzende der Telekom, Rene Obermann, BMW-Chef Norbert Reithofer, Bahn-Chef Rüdiger Grube und Metro-Chef Eckhard Cordes der Forderung nach Freilassung an. Daimler- Vorstandsvorsitzender Dieter Zetsche erklärte: "Ein Land, das in der Welt respektiert werden will, sollte auch die Pressefreiheit respektieren."
DGB-Chef Michael Sommer forderte ebenfalls die sofortige Freilassung der beiden deutschen Journalisten: "Sie haben nichts anderes gemacht als ihrer Arbeit nachzugehen." Zu den prominenten Sportlern, die die Freilassung der Journalisten fordern, gehören unter anderem Nationalspieler Philipp Lahm, Handball-Bundestrainer Heiner Brand, Trainer Felix Magath, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, Thomas Bach, Rennfahrer Michael Schumacher, Franz Beckenbauer und Günther Netzer.
Künstler wie Udo Jürgens, Hannelore Elsner, Maria Furtwängler, Uschi Glas, Jan-Josef Liefers, Peter Maffay und Udo Lindenberg verwenden sich ebenfalls für die Freilassung der Reporter. Die deutsche Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller äußerte die Hoffnung, "dass der Iran die beiden Journalisten nicht als Faustpfand benutzen will für andere Interessen".
"Willkür herrscht in Teheran"
Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff beklagt: "Willkür herrscht in Teheran, einer Stadt, die ich liebe." Und der Schriftsteller Martin Walser forderte die Bundesregierung auf, "sich mit allen Mitteln für die Freilassung der beiden deutschen Journalisten aus iranischer Haft einzusetzen".
Aschtiani war 2006 von der iranischen Justiz wegen Ehebruchs und Mordes an ihrem Mann zum Tod durch Steinigung verurteilt worden. Die drohende Vollstreckung des Urteils hatte international Proteste ausgelöst. Ihr Sohn Ghadersadeh war am 10. Oktober zusammen mit seinem Anwalt und den zwei deutschen Reportern in Tabris festgenommen worden, als diese ihn zu dem Fall befragen wollten. Er befindet sich nach eigenen Angaben seit dem 12. Dezember gegen Kaution auf freiem Fuß. Die iranische Justiz überprüft derzeit das Urteil gegen Aschtiani. Den beiden Reportern wirft sie vor, ohne Journalisten-Visum im Iran gearbeitet zu haben.
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