Zum Tod des Schriftstellers Grillet: Sadomaso statt Schwert
Er begründete den Nouveau Roman, spottete über die Massen und war streitbar bis zuletzt: 85-jährig starb der Schriftsteller Alain Robbe-Grillet.
Als "Museum auf Beinen" hat Alain Robbe-Grillet sich selbst einmal bezeichnet, als Dinosaurier der französischen Nachkriegsliteratur, dessen Werk schon zu Lebzeiten in Bücherregalen verschwand. Seine frühen Romane wie "Le Voyeur" und "La Jalousie" wurden Klassiker und avancierten in französischen Schulen schon bald zur Pflichtlektüre. Dabei war es ein revolutionärer Anspruch, der Robbe-Grillet in den Fünfzigerjahren zum Schreiben antrieb. Damals stand die Literatur noch ganz im Bann von Jean-Paul Sartres Forderung nach politischem Engagement. Zusammen mit Schriftstellern wie Claude Simon, Nathalie Sarraute und Marguerite Duras verweigerte sich Robbe-Grillet jeder Art von politischer Botschaft und begründete den Nouveau Roman.
Diese neue literarische Richtung kündigte klassische Erzählkonventionen auf. Gegen eine geschlossene, realistische Handlung und die Psychologisierung individueller Charaktere setzte der "Nouveau Roman" einen fragmentierten, nüchternen Erzählstil. Dass Robbe-Grillets Roman "Le Voyeur" aus dem Jahre 1955 einen Skandal auslöste, lag allerdings nicht nur an der experimentellen Erzählweise. Die Geschichte des Uhrenverkäufers, der mit dem Fahrrad auf einer Insel herumstreift, auf der später ein junges Mädchen ermordet aufgefunden wird, galt manchen Kritikern als obszöne Fantasie eines psychisch Kranken.
Zur Literatur gelangte Alain Robbe-Grillet, der 1922 in Brest geboren wurde und am Montag im Alter von 85 Jahren gestorben ist, auf Umwegen. Er entstammte einer konservativen, bürgerlichen Familie, die 1940 die Besatzung durch die Nationalsozialisten der eigenen Regierung unter dem sozialistischen Premierminister Léon Blum vorzog. Auf Wunsch der Eltern studierte Robbe-Grillet nach Kriegsende in Paris Landwirtschaft und Statistik und war zunächst als Agraringenieur tätig.
Erst 1952 schrieb er seinen ersten Roman "Les Gommes" und arbeitete ab 1955 im Verlag Les Éditions de Minuit, in dem Nathalie Sarraulte, Michel Butor und Jacques Derrida veröffentlichten. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit widmete er sich dem Film und schrieb das Drehbuch zu Alain Resnais "Letztes Jahr in Marienbad". Seit den Siebzigern wandte sich Robbe-Grillet von der Mode des "Nouveau Roman" ab und verfasste - darin schon ganz der Klassiker - seine Autobiografie und Romane mit so schönen Titeln wie "Angélique oder Die Verzauberung". In pornografischer Manier beschrieb er sadistische Sexualpraktiken und erotische Fantasien über junge Mädchen und handelte sich den Vorwurf der Pädophilie ein. Mit seinem letzten Roman, einem ebenfalls sadomasochistisch angehauchten Agentenroman, der im Berlin der Nachkriegszeit spielt, gelang ihm kurz vor seinem 80. Geburtstag bei der französischen Kritik und beim Publikum noch einmal ein Überraschungserfolg.
Bis ins hohe Alter pflegte Alain Robbe-Grillet seine Attitüde als Revoluzzer und Bürgerschreck. So scheiterte seine Aufnahme in den erlesenen Kreis der Académie française beinahe an der Weigerung des selbsterklärten Nonkonformisten, Uniform und Schwert zu tragen. Der Einwand von Kritikern, die seine Romane als unlesbar bezeichneten, ließ er nicht gelten. Gerne spottete er über das Unterhaltungsbedürfnis der Massen und bekämpfte wortreich den konventionellen Roman der Gegenwart. Seinen Schriftstellerkollegen Michel Houellebecq bezeichnete er als einen Autor für Versager, die ihre eigene Mittelmäßigkeit genießen wollten. Was die Lust an der Provokation anbelangt, konnte der Altmeister es bis zuletzt mit den Jüngeren aufnehmen. MARION LÜHE
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