Zum Tod Brigitte Schwaigers: Nimm Psychopharmaka und schreib
Die österreichische Autorin Brigitte Schwaiger ist tot. Ihr Erstlingsroman "Wie kommt das Salz ins Meer?" war eine literarische Sensation.
Wenn auf das Ende eines Menschen der Titel "Chronik eines angekündigten Todes" von Gabriel García Márquez zutrifft, dann wohl auf das von Brigitte Schwaiger, deren Leichnam Montag in der Donau treibend gefunden wurde. Die Schriftstellerin hatte mehrmals erfolglos versucht, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Vereinsamt, in sich zurückgezogen hatte sie die letzten Jahrzehnte zwischen ihrer Wiener Wohnung und der Psychiatrie zugebracht. Dort fühlte sie sich sicher, "weil man auf mich aufpasst".
Ihr Erstlingsroman war die literarische Sensation der späten 1970er Jahre. Mehr als eine halbe Million Mal verkaufte sich "Wie kommt das Salz ins Meer?" allein im deutschsprachigen Raum. Die damals 28-jährige Autorin, jung, unverbraucht und gutaussehend, war wochenlang Liebling der Feuilletons.
Die Ich-Erzählerin beschreibt einen tristen Ehealltag im Kleinbürgermilieu, unverarbeitete Nazivergangenheit der provinziellen Gesellschaft und ihre Versuche, aus der sie einengenden Welt auszubrechen. "Eine schöne Wohnung ist ein ausbruchsicheres Gefängnis", erkennt sie. Und der Ehemann kann mit dem Freiheitsbedürfnis seiner Frau nichts anfangen. "Es beunruhigt ihn ebenfalls, dass sie Guter Stimmung [ist], einfach so."
Dass der Debütroman stark autobiografische Züge trägt, hat die Autorin nie bestritten. Im April 1949 in der oberösterreichischen Kleinstadt Freistadt als Arzttochter geboren, spürte sie diese provinzielle Enge ihre ganze Jugend lang. Ihr Studium der Psychologie, Germanistik und Romanistik in Wien beendete sie nicht, versuchte sich erfolglos als Schauspielerin und floh schließlich nach Spanien, wo sie Deutsch und Englisch unterrichtete. Mit einem spanischen Offizier und Tierarzt führte sie eine so trostlose Ehe, dass sie nach wenigen Jahren wieder ausbrach und sich scheiden ließ. Genug Material für ihren Roman, den sie während des Pädagogikstudiums schrieb, hatte sie gesammelt. Wie die Erzählerin Ehe und Gesellschaft schildert, machten den Erfolg des Bestsellers "Wie kommt das Salz ins Meer?" aus.
Kaputt vom Grübeln
Den Schock des plötzlichen Ruhms hat sie nie verarbeitet: "Ich war doch so jung und so verträumt", gab sie in einem Interview zu Protokoll. Der Ratschlag der berühmten Kollegin Elfriede Jelinek half nur bedingt: "Brigitte, sauf nicht so viel! Nimm Psychopharmaka und schreib! Du kannst es." Schwaiger nahm alle möglichen Medikamente gegen ihr Borderline-Syndrom und schrieb. Doch keiner ihrer Romane oder Gedichtbände, keines ihrer Dramen vermochte an den Erfolg des Erstlingsromans anzuknüpfen. Vor Burn-out und hoffnungsloser Überschuldung flüchtete Schwaiger "kaputt vom Nachgrübeln über mein unglückliches Leben" in eine geschlossene Klinik. Ihre Versuche, ins Leben zurückzukehren, blieben unbelohnt. Immer wieder konnte man in den Literaturbeilagen Schwaigers Schilderungen aus der Psychiatrie nachlesen. Erst die vor vier Jahren erschienene Selbstentblößung "Fallen lassen", in der Schwaiger ihre Depressionen und Suizidversuche, den Alltag in der Klinik und das Schicksal von Mitpatienten schilderte und reflektierte, fand wieder den Weg in die literarischen Zirkel.
Es sollte ihr letzter Erfolg gewesen sein. Jetzt hat sie selbst beendet, was nicht mehr zu ertragen war: "Wenn ihr nicht wisst, was ihr rettet, dann rettet es nicht. Es ist nicht euer Leben, es ist unantastbar, mein Leben, für euch, auch wenn ich es zerstören will."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Neue EU-Kommission
Es ist ein Skandal
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative