Zum Hörer greifen lohnt

...zumindest für Call-Center-Kunden. Die Mitarbeiter müssen sich oft mit schlechten Arbeitszeiten und wenig Geld abfinden  ■ Von Dennis Stute

Berlin (taz) – Wer kennt es nicht: „Guten Tag, mein Name ist Meistnichtzuverstehen, was kann ich für Sie tun?“ Der telefonische Diensteifer, der noch vor wenigen Jahren selten anzutreffen war, lauert hinter immer mehr Anschlüssen. Ein Drittel der fünftausend umsatzstärksten Unternehmen setzt bereits eigene oder angeheuerte Call-Center ein, um Kundenwünsche zu erfüllen. Bei weiteren zwanzig Prozent gibt es entsprechende Planungen. Bei der Kongreßmesse „CallCenterWorld '99“ in Berlin treffen sich seit Montag Vertreter aller wichtigeren Telefonmarketing-Firmen und Interessenten aus der Industrie, um sich in Fragen der Organisation von Call- Centern auf dem laufenden zu halten. Das Credo faßte am ersten Tag Jan L.Baurdoux von der Firma Cordena prägnant zusammen: „Betreuen Sie Ihre Kunden gut, und die Kunden werden Sie belohnen.“

Schätzungen zufolge sind durch das neue „Loyalisierungswerkzeug“ (Baurdoux) im letzten Jahr 30.000 Arbeitsplätze entstanden, bis zum Jahr 2000 sollen weitere 80.000 hinzukommen. Der Arbeitsplatzboom hat seine Ursache unter anderem in sinkenden Löhnen und Arbeitslosigkeit anderswo: „Die gesunkene Kaufkraft führt zu verschärftem Wettbewerb“, glaubt Siegfried Leitretter, Experte für Call-Center bei der Hans-Böckler-Stiftung. Wo sich Produkte kaum unterscheiden, wird mit dem Service geworben. Das hat einen weiteren Vorteil: Es gehen Verbesserungsvorschläge und Mängelanzeigen ein.

Die Telefonisten sollen achtzig Prozent der Anfragen sofort bearbeiten und damit zeitraubendes Durchstellen vermeiden, mit dem außerdem qualifizierte Sachbearbeiter von ihrer teuren Arbeit abgehalten werden. Der Preisverfall bei der erforderlichen Technik macht dies zusehends erschwinglich. „Es ist fünf- bis x-mal billiger, einen Kunden zurückzugewinnen, als einen neuen zu werben“, sagt Harald Henn, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Prisma. Einige Firmen sind daher zu erstaunlichen Zugeständnissen bereit, wenn man verärgert zum Hörer greift.

Angesichts der Massenarbeitslosigkeit interessiert sich auch die Politik für den Bereich mit Wachstumsraten von 25 Prozent. Viele Bundesländer locken mit Subventionen: Bis zu 50.000 Mark können Unternehmer pro Arbeitsplatz abgreifen. Volkswirtschaftlich macht das keinen Sinn und nützt möglicherweise nicht einmal den Ländern. „Die Firmen können zunächst Konkurrenten unterbieten und gehen ein, wenn die Förderung ausläuft“, glaubt ein Branchenvertreter. Oder sie ziehen als Subventionsnomaden umher, die Technik ist mobil, bei niedrigen Anforderungen lassen sich schnell Mitarbeiter finden. „Wie in jeder expandierenden Branche sind Glücksritter unterwegs“, hat Holger Albers vom Deutschen Direktmarketingverband beobachtet.

Parallel zum Aufwärtstrend dürfte in den nächsten Jahren ein Konzentrationsprozeß stattfinden. Eine Telefonanlage ist erst bei hundert Mitarbeitern ausgelastet; Firmen unterhalb dieser Größe arbeiten teurer und stehen auf der Abschußliste.

Hinter dem, was in der offiziellen Rhetorik gern „High-Tech-Arbeitsplätze“ genannt wird, verbirgt sich ein Spektrum von Tätigkeiten, deren Gemeinsamkeit nur der Monitor vor den Augen und das Headset auf den Ohren ist. Die Arbeiten reichen von der dumpfen Bestellannahme bis hin zu qualifizierter Beratung. Entsprechend teilt sich der Markt in Billiganbieter und Firmen, die Kompetenz und Motivation ihrer Mitarbeiter durch Schulungen und gute Bezahlung zu steigern versuchen. In Berlin und Brandenburg etwa haben sich dieser Tage 27 Call-Center zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen, die Standards für die Ausbildung sowie Regeln für die Qualifizierung ihrer Beschäftigten entwickeln will.

Der Minutenpreis kann 2 oder auch 5 Mark betragen. Stundenlöhne variieren in der Regel zwischen 11 und 16 Mark. „Der hochqualifizierte ist dagegen ein sehr begrenzter Bereich“, glaubt Leitretter.

Die Arbeitszeiten orientieren sich an Kundenströmen und sind damit nicht unbedingt arbeitnehmerfreundlich. Viele Anbieter bürden mit leistungsabhängiger Bezahlung das unternehmerische Risiko den Arbeitern in den Freundlichkeitsfabriken auf. „Mir ist ein Laden bekannt, der 5 Mark plus Prämien zahlt“, sagt Christine Meier von der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen. Sie und ihre Mitstreiter sind nicht sonderlich beliebt beim Management, einen Arbeitgeberverband gibt es bislang nicht in der fast gewerkschaftsfreien Branche, wo Wert auf ein Höchstmaß an Flexibilität gelegt wird. Die Organisierung der Mitarbeiter wird zusätzlich durch die Fluktuation erschwert. Wem es irgendwo nicht paßt, der sucht sich lieber einen anderen Job, statt die Mühsal des Klassenkampfes auf sich zu nehmen. Paradoxerweise profitieren die Agenturen von der Aktivität der Gewerkschaften: Tariflich gebundene Unternehmen geben zum Teil eigene Telefonabteilungen auf, um externe Firmen zu beauftragen.