piwik no script img

Zum Händewaschen kein Vollbad nehmen

■ Buchtip: „Der Telematik-Trick“ / Verkehrsleitsysteme sind Nonsens

Nach dem Ende des Road-Pricing-Feldversuchs auf der A555 will der Bundesverkehrsminister über die flächendeckende Einführung elektronischer Autobahngebühren entscheiden. „Der große Bruder wird Beifahrer“, befürchtet Wolfgang Zängli, Gründungsmitglied der Gesellschaft für ökologische Forschung, in seinem Buch „Der Telematik-Trick“. Doch Zängli hat nicht nur Bedenken hinsichtlich Verkehrs- und damit auch Bevölkerungsüberwachung, wenn er Szenarien zu Auswirkungen der „Telematik“ – ein aus „Telekommunikation“ und „Informatik“ zusammengesetztes Kunstwort – analysiert. Denn „unter dem Deckmantel der Stau-Bekämpfung sowie der effizienten Nutzung des Straßenraums wird auch eine Entwicklung eingeleitet, die in neue Dimensionen des Verkehrs und der Verkehrskosten vorstößt“. Ohne Verkehrsleitsysteme ist das Kassieren elektronischer Autobahngebühren nicht möglich. Ob Wechselverkehrszeichen oder „kooperatives Verkehrsmanagement“ – sie alle erhalten die Fiktion aufrecht, daß es eine automobile Zukunft ohne Tempolimit und Fahrverbote geben könnte. Und dabei tun sie nichts anderes, als mit zunehmender Verkehrsdichte die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu senken oder den Autofahrer im Stau auf den nächsten S-Bahn-Anschluß hinzuweisen.

„Mit High-Tech-Infrastruktur Tempolimits zu erzielen ist vergleichbar mit der Inanspruchnahme eines Vollbades bei verschmutzten Händen“, meint Zängli zu den Verkehrsleitsystemen, die zu ihrer Rechtfertigung „permanent neue Hinweise wie Warnung vor Aquaplaning, Schnee und Eis“ bieten – „nach dem banalen Motto: Vorsicht, Herbst! Achtung, Winter!“ Auch mit automatischen Ortungssystemen und digitalen Landkarten bieten Verkehrsleitsysteme Antworten auf Fragen, die nie gestellt wurden: „Im Falle, daß ein Fahrzeugführer regelmäßig nicht weiß, wo er sich mit seinem Fahrzeug befindet, sollte er besser seinen Führerschein abgeben, als sich ein Satellitenortungssystem einbauen zu lassen“, kommentiert der Verkehrswissenschaftler Karl- Otto Schallaböck. Umweltfreundlicher Verkehr wäre einfacher durch die Erhöhung des Pkw-Besetzungsgrades zu haben: Würden statt derzeit rechnerisch 1,4 Personen künftig 2 Menschen in jedem Auto sitzen, ließen sich 40 Prozent der Fahrleistung sparen – erheblich mehr, als je durch Verkehrsleitsysteme zu schaffen wäre. Doch gegenüber rationalen und insbesondere finanziellen Argumenten sind die Telematik-Anhänger resistent, geht es doch um neue Geschäftsfelder für die Industrie. Für die Töchter der Daimler-Benz AG beispielsweise locken dank Telematik neue Aufträge: Fahrzeugkonzepte von Mercedes-Benz, Mikroelektronik von AEG, Satellitensysteme von der Deutschen Aerospace und mehr. Zängli gelingt bei der Beschreibung derartiger Verflechtungen die Gratwanderung, einen umfassenden Überblick zu vermitteln, ohne sich in Details zu verlieren. Jan Kutscher

Wolfgang Zängli: „Der Telematik- Trick. Elektronische Autobahngebühren, Verkehrsleitsysteme und andere Milliardengeschäfte“. Raben Verlag, 1995, 320 S., 32 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen