Zum ARD-Abschied von Günter Netzer: "Alles schlecht, alle schlecht"
Günter Netzer hat zum letzten Mal für die ARD ein Länderspiel kommentiert. Schade, sagt Jan Feddersen und vermisst den Leuchtturm im Entertainment. Thomas Winkler hingegen freut sich auf mehr Kompetenz.
SCHADE!
Das ist die blödeste Entscheidung der ARD seit Einführung der sogenannten Volksmusik: Günter Netzer einzusparen, ihn aufs Altenteil zu schieben. Er ist, unabhängig von Seitenscheitel und mimisch offenbar immer noch 24 Jahre frisch, der Leuchtturm im Entertainment überhaupt, er ist kompetent fußballerisch und menschlich von derartig unkorrumpierbarer, der Ranschmeiße ans Gemüt von Fußballmodernisten freisinniger Fan des Geschehens auf dem Rasen, nein, Netzer wusste immer, worauf es beim Spiel ankam.
Nämlich Koordination aller Könnerschaften - und das Genialische von Einzelnen plus Hunger nach Erfolg der Mannschaft überhaupt. Das ist natürlich nicht aus der Mode gekommen, aber so ein Mann wirkt auf Büroschwengel - der in fußballerischer Hinsicht ein Mehmet Scholl natürlich immer war und ist - und Didaktikbuchpuristen immer provokant.
Netzer war das Beste, was dem Fernsehen, ja der ARD passieren konnte. Man geißele den Kotau vor dem Zeitgeist, den geistreichsten Interpreten des wahren Fußballs zu pensionieren. Was jetzt kommt, ist Expertismus. Ihre Interpreten heißen: Kahn, Klopp und Scholl. Eine Reihung des einschläfernden Sachverstands. Wie traurig, das!
Jan Feddersen leitet das WM-Team der taz.
***
ENDLICH!
Es wird Zeit. Es war lange schon Zeit. Nicht nur, dass uns die ästhetische Zumutung Günter Netzer erspart bleibt. Nicht nur, dass wir von seiner Blut-und-Boden-Metaphorik verschont werden, von diesen letztverbliebenen Beschwörungen der lang schon zu Grabe getragenen deutschen Tugenden. Zeit vor allem, dass im gebührenfinanzierten deutschen Fernsehen endlich mal fachlich kompetent über Fußball gesprochen wird.
Denn das war immer das Schlimmste: Nicht Netzers Seitenscheitel. Nicht seine im Rhetorikseminar gelernten Drechselsätze, die im sinnfreien Nichts endeten. Nicht sein hingebrummeltes "Alles schlecht, alle schlecht". Nein, schlimm war vor allem, dass es ihm gelang, seine Kommentare vollkommen frei zu halten von jedem modernen Fußballsachverstand.
Bei Netzer war der Fußball stehen geblieben zu einer Zeit, als noch Hacki Wimmer hinter ihm aufräumen musste, während er mit sanft wehendem Blondhaar gemütlich das Mittelfeld durchschritt. Mit immer noch derselben Frisur trat Netzer vor elf Jahren aus einer Zeitschleife und schloss aus dem Gewinn des Grimme-Preises, dass es ihm erlaubt sei, uns zu quälen. Wird Zeit, dass er wieder im schwarzen Loch verschwindet - auf immer.
Thomas Winkler ist Redakteur im WM-Team der taz.
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