Zum 70. Geburtstag von Grace Jones: Schamgrenzen sind anderswo
Androgyn, sexuell selbstbewusst, immer aktiv. Grace Jones wird mit den Jahren immer lauter statt leiser. 70 Jahre sind noch lange nicht genug.
Die Frau ist schwarz, das Haar trägt sie raspelkurz im Military Cut, den Körper bedeckt ein langes Cape mit Kapuze. Es ist rückenfrei, darum kann man den Ansatz ihres Hinterns sehen, je mehr sie mit den Hüften wackelt, desto mehr sieht man. Dazu singt sie, mit unbewegtem Gesicht. „Pull up to my bumper baby, in your long black limousine. Pull up tot he bumper baby, and drive it in between“.
Auch wer als deutscheR FernsehzuschauerIn damals, Anfang der 80er, nicht genug Englisch beherrschte, um die Aufforderung zum Sex zu lesen, kapierte die Botschaft. Und war alsbald so schamesrot wie irritiert: Grace Jones, die als Model und Studio 54-Tänzerin begann, pfeift schon zu Anfang ihrer Musikerinnenkarriere auf den süßen Disco-Schmelz einer Donna Summer, den klassischen Blondinen-Sexappeal einer Debbie Harrie oder die verzeihende Verletzlichkeit einer Gloria Gaynor.
Wie keine andere Disco- und Dance-Künstlerin zuvor inszeniert sie stattdessen Androgynität gepaart mit einer selbstverständlichen, fast aggressiven Sexualität – bei Live-Auftritten dieser Zeit holt sie zu „Pull up tot he bumper“ gern einen männlichen Zuschauer auf die Bühne, beugt ihn vornüber und stößt in ihrem schultergepolsterten Anzug gegen seinen „Bumper“ – mühelos und selbstbewusst zelebriert sie die Auflösung der Gender- und Identitätsgrenzen lange, bevor das Thema in aller Munde war.
Jones ist aktiv, nicht passiv, sie herrscht ihren Partner an, anstatt ihn zu bitten. In einem viralen YouTube-Clip kann man sehen, wie Jones 1981 den BBC-Moderator Russell Harty ein paar Ohrfeigen gibt – er habe sich im Gespräch unhöflich abgewendet, sagt sie, ihr Verhalten wurde vom Publikum postwendend unter „Divatum“ abgelegt. Später erklärt sie: „Ich war wie eine Amazone angezogen – und wurde behandelt wie ein Dienstmädchen“.
Stolze „woman of colour“
Jones, die vor genau 70 Jahren in Jamaicas ehemaliger Hauptstadt Spanish Town geboren wurde, galt aus all diesen Gründen in der internationalen wie deutschen Öffentlichkeit als „provokant“. Die Presse nannte sie ein „Kunstprodukt“ ohne zu verstehen, wie viel Jones selbst an ihrem Image arbeitete, wie viel Relevanz ein Image in der Popkultur hat, und wie viele ihrer Songs sie selbst schrieb: Dass eine schwarze Frau derartig fordernd auftreten könnte, wurde ihr von vorneherein abgesprochen.
Den angeblichen Tabubruch empfand man dabei fast ausschließlich auf sexueller Ebene. Obwohl Jones sich damals, lange bevor die Rihannas dieser Welt das „Twerking“ für sich beanspruchten (und die Miley Cyrusses es adaptierten), auch als stolze „woman of colour“ präsentierte, die ihren Körper selbstbestimmt einsetzt und genießt – kommentiert wurde das selten. Ihre Konzert-Einlage in einem Gorilla-Kostüm, das sie langsam auszieht, hatte bei Jones eine diesbezüglich deutliche Nuance, ein Zusammenhang wurde von vielen BeobachterInnen jedoch eher zu Marlene Dietrichs Auftritt in „Blonde Venus“ hergestellt.
Dabei begann Jones’ Bekanntheit in Deutschland mit ihrer Hautfarbe und den verbundenen Konnotationen: Auf einem Stern-Cover von 1976, fotografiert von Helmut Newton, war ihr eingeölter nackter Körper in Ketten zu sehen. Eine von Feministinnen angestrengte Klage gegen viele ähnliche Cover des Magazins folgte – die Abbildung einer unbekleideten angeketteten dunkelhäutigen Frau sei sexistisch und rassistisch, es insinuiere Sklaverei.
Zwei Jahre später arrangierte der Fotograf und Jones-Partner Jean-Paul Goude ein Jones-Titelfoto für das Magazin Paper, auf dem die Künstlerin wie eine Skulptur mit ausgebreiteten Armen und nur einem Schal um den Brustkorb auf einem Bein steht, das andere hat sie nach hinten abgeknickt, in der Hand hält sie ein Mikrofon. Kanye West stellte das Bild 2010 mit dem Model Amber Rose nach, doch das elegant Skulpturale, das Herausfordernde der Pose, ist auf dem Cover-Cover verschwunden.
2008 mit „Hurricane“ zurück
Jones, deren Karriere seit 1977 zehn Alben und internationale, groovy-unterkühlte Dance-Hits wie „Slave to the Rhythm“ oder „La vie on Rose“, sowie eine Rolle als enorm muskelstarke Gegenspielerin „May Day“ im 1985 entstandenen Bond-Film „Im Angesicht des Todes“ umspann, pausierte musikalisch ab 1989 unfreiwillig fast 20 Jahre lang – in den Neunzigern hatten mehrere Plattenprojekte nicht geklappt. Als sie 2008 mit „Hurricane“ zurückkahm, für das neben Adam Green auch Sly Dunbar und Brian Eno mithalfen, brach sie mit leichter und sicherer Hand ein weiteres Tabu: Das der sich „altersgemäß“ und innerhalb der „Schamgrenzen“ verhaltenden alternden Frau.
Denn Jones nutzte und präsentierte ihren Körper auch 2008 nach ihrem eigenen Gutdünken. Sie tritt in fast noch flamboyanteren Kostümen als in den Achtzigern auf, ab 2015 trägt sie auf der Bühne Kopfschmuck, ein Korsett und an Naturvölker auf dem Kriegspfad erinnernde Körperbemalungen, die die nackten Brüste einschließen. Grace Jones, die Mutter eines Sohnes ist, und angeblich zu der eigenen Familie auf Jamaika ein eher schwieriges Verhältnis hat, wird glücklicherweise mit den Jahren immer lauter statt leiser. Und macht hoffentlich weiter, bis sie alles erreicht hat.
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