Zum 60.Todestag von Mahatma Gandhi: "Gandhis Ideen sind noch mächtig"
Die Ikone des gewaltlosen Widerstandes wird von Indiens Regierung und Oberschicht missachtet, sagt der Aktivist P. V. Rajagopal. Doch auf den Dörfern wirkt Gandhi weiter.
taz: Herr Rajagopal, heute vor 60 Jahren wurde Mahatma Gandhi ermordet. Was hat Indien durch seinen Tod verloren?
P. V. Rajagopal: Eine Menge. Gandhi war ein Vorbild. Wenn er etwas gesagt hat, dann hat er danach gehandelt. Er hat einen einfachen Lebensstil gefordert und diesen auch selbst gelebt. Unglücklicherweise haben wir heute keine Vorbilder mehr in diesem Land.
Wieso hat Gandhi noch heute so einen starken Einfluss auf Sie?
Gandhi handelte danach, was für die Menschen gut war. Ein Teil seiner Anhänger ist nach seinem Tod nach Delhi gegangen, um das Land zu regieren. Doch sie haben in Indien eine Entwicklung nach amerikanischem Muster herbeigeführt, die nicht im Sinne Gandhis ist. Heute geht es nur um Industrialisierung. Wir aber arbeiten mir den Armen, versuchen ihnen Macht zu geben und sie zu organisieren.
Wie hätte sich Indien anders entwickeln können?
Indien hätte sich als ein Entwicklungsmodell für die Welt nach Gandhis Vorbild etablieren können. Also sich zuerst um die ärmsten Schichten der Gesellschaft kümmern und nicht um die multinationalen Konzerne, wie das seit der Liberalisierung Anfang der 90er-Jahre geschieht.
Wie reagiert der indische Staat, wenn er mit Gandhis Prinzip des gewaltlosen Widerstandes konfrontiert wird?
Sehr paradox. Die Politik in unserem Land ist sehr widersprüchlich. Zum einen hat der Staat erst kürzlich das 100-jährige Jubiläum des Beginns von Gandhis gewaltlosem Widerstand gegen die Briten gefeiert.
Was haben Sie mit dem "Janadesh-Marsch" erreicht, bei dem im November 25.000 Landlose nach Delhi zogen?
Die Regierung hat danach ein Gesetz erlassen, wonach jede indigene Familie zwei Hektar Land bekommt. Das war eine unserer Kernforderungen. Jetzt gehen wir mit dieser Botschaft ins Land und informieren die Menschen darüber, damit sie diese Gelegenheit nutzen. Wir haben die Einrichtung eines Landreform-Rates unter Vorsitz des Premierministers gefordert, den hat die Regierung jetzt eingerichtet, auch ich bin darin vertreten. Wir müssen die Landfrage endlich klären. Gewaltloser Widerstand ist auch heute noch sehr mächtig!
Wie haben die Menschen auf den Janadesh-Marsch reagiert?
Die Reaktionen waren überwältigend. Viele Menschen haben uns unterstützt und gesagt: Wenn ihr das nächste Mal mit 100.000 Menschen kommt, werden wir euch auch unterstützen. Ich habe die Dörfer besucht, aus denen die elf Menschen stammten, die während des Marsches bei Unfällen gestorben sind. Die Menschen waren stolz, dass Leute aus ihren Gemeinschaften für ihre Sache ihr Leben gelassen haben.
Wo findet man heute noch Gandhis Prinzipien?
Gandhis Ideen leben in den sozialen Bewegungen des Landes fort. Nicht in der Regierung, denn die betreibt eine Politik, die sich gegen Gandhis Prinzipien richtet. In puncto Wahrhaftigkeit und Moralität verhalten sich die Politiker dieses Landes im Gegensatz zu Gandhi. Die Armen auf dem Land stehen jedoch vollständig hinter ihm, das sind 70 Prozent der Bevölkerung!
Ausgerechnet in Gujarat, Gandhis Heimat, wurde erst kürzlich der antimuslimische Hindunationalist Narendra Modi erneut in das Amt des Ministerpräsidenten gewählt.
Dahinter steht die gehobene Mittel- und Oberschicht des Landes sowie die Auslandsinder. Ihnen ist Gandhi nicht wichtig. Für sie zählt nur wirtschaftliches Wachstum. Sie sehen in Narendra Modi den Mann, der für eine wirtschaftliche Entwicklung steht, die sie sich wünschen. Modi ist vor allem so erfolgreich, weil er religiös-gesellschaftliche Ressentiments schürt. Er teilt die Gesellschaft in Hindus und Muslime. Denn die Muslime hatten im Mittelalter 600 Jahre lang die Macht in diesem Land. Modi hat den Hindus im Wahlkampf gesagte, er werde ihnen mehr wirtschaftliche Macht geben als den Muslimen. Für Gandhi ist in dieser Argumentation kein Raum.
Was ist denn dann von Gandhis Ideen noch geblieben?
Die Frage ist, was sichtbar ist. Sichtbar ist das Verhalten der gehobenen Mittel- und der Oberschicht. Diese Menschen sind verrückt nach Geld und Macht. Das echte Indien aber lebt in den Dörfern. Doch die Menschen werden durch Bollywoodfilme und durch die Werbung der multinationalen Konzerne verführt.
Was planen Sie für die Zukunft?
Die gandhianischen Institutionen müssen zeigen, wie die Wirklichkeit aussieht und wie man es anders machen kann. Wir möchten deswegen im gesamten Land aktiv werden. Wir möchten tausenden von jungen Menschen Gandhis Techniken des gewaltlosen Widerstandes beibringen, sie organisieren und gegen die Unterdrückung mobilisieren. 2013 möchten wir 100.000 Menschen auf die Straßen bringen.
INTERVIEW: SASCHA ZASTIRAL
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!