Zum 10. Jahrestag des Luxor-Massakers: Der touristische Albtraum
Die Ägypter würden es am liebsten vergessen, die Touristen haben es bereits. Für die militanten Islamisten war der Anschlag ein Wendepunkt.
Die Gesichter der Touristen, der ägyptischen Reiseführer und der Wächter des Tempels der Königin Hatschepsut wirken ungläubig, argwöhnisch, voller Fragen. Sie versuchen auszumachen, was am Rande der Tempelanlage von Luxor am westlichen Nilufer vor sich geht. Als Schüsse fallen, gehen sie hinter dem über 3.000 Jahre alten Mauerwerk in Deckung. Dann reißt der wackelige Streifen des Hobbyfilmers ab.
Es war ein touristischer Albtraum - der vor zehn Jahren, am 17. November 1997, als das „Massaker von Luxor“ in die Geschichte Ägyptens und des Tourismus einging. Sechs mit Schnellfeuergewehren und Messern bewaffnete Männer kamen in die Tempelanlage gestürmt. Viele Besucher begingen damals einen verhängnisvollen Fehler, flüchteten in den Tempel, versuchten sich hinter den Säulen zu verstecken. Damit saßen sie in der Falle. Über eine dreiviertel Stunde lang schossen die Attentäter wild um sich. Am Ende exekutierten sie die am Boden liegenden Verletzten. Neben den Attentätern kamen 62 Menschen ums Leben, darunter 35 Schweizer, vier Deutsche, aber auch Japaner, Briten, Franzosen, ein Kolumbianer, drei ägyptische Polizisten und ein Reiseführer.
Heute, zehn Jahre später, erinnert nichts mehr an den Anschlag. Friedlich lassen sich hunderte von Besuchern das Relief von Hatschepsuts Expedition ins Weihrauchland des Punt im heutigen Somalia erklären. Für eine amerikanische Reisegruppe hat deren ägyptische Leiterin einen besonders praktischen Rat parat, um sich den komplizierten Namen der Pharaonin merken zu können. „Denken sie einfach an Hut, billig und Anzug“, lautet ihr englisches Sprachrezept. „Hat - cheap - suit - und schon haben wir den Namen Hatschepsut.“
Um die 4.000 Menschen besuchen die Tempelanlage der schwer auszusprechenden ägyptischen Königin täglich. „Für uns spielt das Massaker von damals keine große Rolle mehr“, gibt Peter Kahlert, ein Unternehmensberater aus Dresden, zu. Irgendwo sei man im Vergleich zu der Zeit vor zehn Jahren, als der Anschlag von Luxor Schlagzeilen machte, durch die Attentate vom 11. September, Madrid oder London auch ein wenig abgestumpft, glaubt er. „Das kann überall und zu jeder Zeit passieren, also was solls“, meint er.
Infolge des Anschlages war der Tourismus in Ägypten völlig zusammengebrochen. Doch das ist lange her. Am Ende hat die Attraktivität der weltweit einzigartigen altägyptischen Baudenkmäler die Angst besiegt. Dieses Jahr erwartet Ägypten einen Besucherrekord von zehn Millionen Touristen. „Heute gibt es kein einziges freies Bett mehr in unseren Hotels und bis zu 90 Charterflüge landen täglich zur Hochsaison auf Luxor Airport“, erzählt Samir Farag, der Bürgermeister von Luxor stolz. „Wir beraten derzeit sogar, ob weitere Hotels gebaut werden sollen“, fügt er hinzu.
Auch im Basar wird wieder gefeilscht und gehandelt. „Ich bin Mr. Billig“, versucht ein Händler eine Reisende in seinen Laden zu locken. Der christliche Teppichhändler Badr Michail sitzt inmitten seiner Boden- und Wandbedeckungen in allen Größen und Farben. „Aladins Höhle“ hat er seinen mehrstöckigen Laden getauft. Stolz zeigt er die Fotos, die ihm Kunden aus aller Welt geschickt haben, mit seinen Teppichen auf spanischen Hauswänden oder japanischen Böden und deren lächelnden Besitzern daneben. Michail hat gleich mehrere Alben davon. An das Attentat erinnert er sich mit Schrecken - „damals, als der Markt jahrelang praktisch tot war“. Er möchte das Ganze am liebsten „total aus meinem Kopf verbannen“, sagt er. „Ich will einfach an heute denken, wo alles wieder gut ist und auf morgen hoffen, dass es noch besser wird.“ Denn so ganz ist er noch nicht zufrieden. Zwar kämen wieder viele Touristen in die Stadt, aber deren Standard sei gesunken. Früher, vor dem Anschlag, kamen Touristen mit Geld, heute ist es der Billigtourismus, den Ägypten mit seinen „Alles-Inklusive-Angeboten“ anziehe. „Wenn jemand für seine Reise nur 400 Euro ausgegeben hat, dann kommt er sicherlich nicht in meinen Laden und kauft einen Teppich für 200 Euro“, fasst er das Problem zusammen.
Auch für die militanten Islamisten stellte das Attentat von Luxor einen Wendepunkt dar. Seit Anfang der 90er-Jahre lieferte sich die militante Gruppe „Gamaa Islamiya“ und die ägyptische Dschihad-Bewegung im südlichen Oberägypten einen regelrechten Abnutzungskrieg mit dem Staat, den sie als „unislamisch“ brandmarkten. Über 1.200 Menschen, Touristen, Christen, Polizisten und Mitglieder der Gamaa, oder Menschen die für solche gehalten wurden, fielen diesem Krieg zum Opfer. Zehntausende saßen im Gefängnis. Mit den Anschlägen auf Touristen wollte die Gamaa den Staat an seiner Achillesferse, dem Tourismus treffen, doch in einem Land, in dem jeder zehnte Arbeitsplatz vom Tourismus abhängt, hatten sie sich damit vollkommen isoliert.
Bereits wenige Monate zuvor wurde unter den Militanten heftig diskutiert, ob die Anschläge auf Touristen noch ein probates Mittel seien, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Im Juli 1997, also vier Monate vor dem Anschlag, startete die damals im Gefängnis einsitzende Gamaa-Führung eine „Initiative zur Gewaltfreiheit“, mit der sie anbot, die Waffen niederzulegen. Doch die ins Ausland geflüchteten Kader wie Aiman Sawahiri, der sich später als rechte Hand Bin Ladens einen Namen machen sollte, aber auch der in Afghanistan lebende damalige militärische Kopf der Gamaa, Rifai Ahmad Taha, hatten sich offen gegen die Waffenstillstandsinitiative ausgesprochen.
Ägyptische Sicherheitskreise gehen bis heute davon aus, dass der Befehl für den Anschlag in Luxor von Ahmad Taha aus Afghanistan kam und dessen Antwort auf die Initiative seiner ehemaligen Kampfgefährten in den ägyptischen Gefängnissen war. Eine andere Theorie, die der ägyptische Terrorexperte Dia Raschwan vertritt, geht davon aus, dass die seit Monaten in den Bergen versteckten Attentäter schlichtweg nichts von dem Waffenstillstand mitbekommen hatten. Erst im April 1990 standen Ägyptens militante Islamisten geschlossen hinter dem Waffenstillstand. Jene Radikalen, die sich dem nicht anschlossen, trugen, wie Aiman Sawahiri, ihren heiligen Krieg in die weite Welt hinaus, gegen den „fernen Feind“ Amerika. Selbst die Anschläge der letzten Jahre auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel wurden nicht mehr mit der Gamaa Islamiya in Zusammenhang gebracht. Dahinter scheint vielmehr eine auf dem Sinai hausgemachte militante Gruppierung zu stecken, die sich aus den Reihen der vom Staat vollkommen vernachlässigten Beduinengemeinschaften rekrutiert.
Kamal Habib gehört zusammen mit dem heutigen Al-Qaida Chefideologen Aiman Sawahiri zu den Gründern der ägyptischen Dschihad-Bewegung. Anders als Sawahiri ist er zu Hause geblieben und hat der Gewalt inzwischen abgeschworen. Mit mehren Büchern wie „Die islamische Bewegung - eine Innenansicht“, hat er sich selbstkritisch mit seien alten Zielen auseinandergesetzt. Er empfängt seien Gäste im Gebäude des ägyptischen Journalistenverbandes im Zentrum Kairos. „Es war ein großer Fehler, dass Unschuldige in unserem Kampf mit dem Regime umgekommen sind“, blickt er heute auf Luxor zurück.
„Mit Anschlägen wie in Luxor hatten sich die radikalen Islamisten in ihrer eigenen Gesellschaft völlig isoliert“, glaubt er heute und fügt hinzu: „Seiner eignen Gesellschaft den Krieg zu erklären - das war ein Projekt, das einfach scheitern musste.“
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