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Zukunft des Journalismus Verlockendes Effizienzversprechen?

Künstliche Intelligenz, KI: ein digitales Werkzeug, das auch in Redaktionen öfter denn je zum Einsatz kommt. Und die taz? Ein Lagebericht über die Schlüsselfrage des Journalismus von morgen.

Wie verändert KI den Journalismus? Hier zu sehen: Die taz im Spiegel der, äh, Motorhaube. Foto: Karsten Thielker

Aus der taz | Als Ende 2022 zum ersten Mal eine Anwendung namens Chat-GPT vom Unternehmen OpenAI auf die Weltöffentlichkeit losgelassen wurde, war die Aufregung unter Jour­na­lis­t*in­nen – auch in der taz – nicht klein.

Nur wenige Monate hat es gedauert, bis in fast allen Redaktionen über Chancen und Gefahren „der KI“ diskutiert wurde, obwohl noch nicht einmal jedem klar war, was unter diesem Begriff nun genau zu verstehen ist.

Wenig später stand das Thema auf jeder Konferenz-Agenda der Medienbranche. Muss, soll, kann bald niemand mehr händisch Texte kürzen?

Werden Fotoredaktionen bald durch Bild­generierungssoftware ersetzt?

Wer liest noch 100-seitige Gesetzesentwürfe und dicke Pressemitteilungen, wenn ein digitales Werkzeug sie in Sekunden zusammenfassen kann?

Zwischen Chance, Unsicherheit und Ernüchterung

Als Mit­ar­bei­te­r*in­nen der taz dann im Jahr 2023 erstmals und vor Kurzem erneut im Rahmen eines KI-Sommercamps Tools, also digitale Werkzeuge, ausprobierten, die unter diesem Stichwort firmierten, stellte sich schnell eine Mischung aus Beruhigung und Ernüchterung ein: Große Sprachmodelle können zwar beeindruckend gut Text generieren, bleiben aber letztlich gigantische Wortvorhersagesysteme. Denn: Sie denken nicht.

Stattdessen schätzen sie, welche Reihenfolge von Wörtern die wahrscheinlichste sein könnte. Ganz so, wie es heutzutage auch zahlreiche Messenger-Apps fürs Smartphone tun, wenn sie eine Reihe von „nächsten Wörtern“ beim Tippen vorschlagen. Grundlage dafür sind unter anderem die gigantischen Mengen Text, die im Internet frei verfügbar sind.

Ernsthaft bedrohlich für den Beruf des Journalisten wirkten die damals virulenten KI-Anwendungen – etwa das LLM (large language model) Chat-GPT und die schon länger verbreitete Übersetzungssoftware DeepL – auf uns also nicht.

In der taz-Redaktion und vor allem seitens unserer Le­se­r*in­nen­schaft bestand aber verständlicherweise Unwohlsein: Die Systeme konnten nicht nur strukturell makellose Texte schreiben, sondern auch fotorealistische Bilder zeichnen, und zwar rasend schnell. Wurde so ein Ende für die schreibende Zunft am Horizont absehbar?

Erste KI-Schritte der taz

Selbstbewusst schrieben wir in unsere KI-Leitlinie: „Künstliche Intelligenz verändert nicht die Grundsätze unserer redaktionellen Arbeit.“ Wann immer KI in der taz künftig zum Einsatz komme, machen wir das kenntlich. Und wir prüfen alles, was uns ein Sprachmodell wie Chat-GPT anbietet.

Damit war die taz 2023 ungefähr auf dem gleichen Arbeitsstand wie viele andere deutsche Medien. Von den Kol­le­g*in­nen – hier kann ich nur aus eigener Erfahrung sprechen – nutzte noch niemand Tools wie Chat-GPT in einem Umfang, den man hätte „alltäglich“ nennen können.

Zwei Jahre später sieht das anders aus. Heute schildern mir viele, dass sie KI-Tools gern und oft nutzen. Nützlich ist Chat-GPT etwa für Recherchen und Ideenfindung.

Eine Liste der Verteidigungsausgaben im Bundeshaushalt der vergangenen 30 Jahre? Eine Reihe südafrikanischer Historiker*innen, die für ein Gespräch zum Thema Postkolonialismus geeignet wären? Popsongs, in denen das Verhältnis von Mensch und Maschine thematisiert wird?

Was zuvor Stunden und Tage gedauert hätte, spuckt die Maschine in Sekunden aus – in der Regel brauchbar. Auch für Übersetzungen, Korrekturen oder die Transkription von aufgezeichneten Interviews leistet KI-gestützte Sprach­erkennung Erstaunliches. An einem zünftigen Dialekt kommen aber selbst moderne Systeme zuweilen (noch) nicht vorbei: Schween jehabt!

Skepsis ob baldiger Lösung im Urheberrecht

Welchen Einfluss große Sprachmodelle auf Branchen wie den Journalismus haben, wird unterdessen auf höchsten Ebenen diskutiert. 2024 hat die Europäische Union den „AI Act“, das weltweit erste KI-Gesetz, verabschiedet. Es ist ein Spagat. Einerseits sollen KI-Technologien gefördert, andererseits reguliert werden.

Das erscheint notwendig, denn derzeit operieren Tech-Konzerne mit ihren KI-Systemen weitgehend autonom, das heißt ohne gesetzliche Einhegungen.

Vor Kurzem klagten zahlreiche US-Schriftsteller*innen gegen die ungefragte Verwendung ihrer Werke zu KI-Trainingszwecken seitens des Unternehmens Meta. Dieses argumentierte, dass daraus noch kein wirtschaftlicher Schaden für die Au­to­r*in­nen entstünde – und gewann so seine erste KI-Klage.

Als taz, eine der wenigen noch übrigen Zeitungen mit einem Onlineauftritt, der gänzlich frei zugänglich ist, können wir kaum verhindern, dass unser umfassendes Archiv schon jetzt verwendet wird, um KI-Systeme zu trainieren.

Kol­le­g*in­nen von anderen Zeitungen erzählen mir, dass sie sehr skeptisch seien, ob es in naher Zukunft einen wirksamen rechtlichen Rahmen für das Verhältnis von Urheberrecht und KI geben wird. Eine Handvoll deutschsprachige Li­te­ra­tur­agen­t*in­nen wollte sich im Frühjahr per Petition gegen­ die Verwendung ihrer Werke wehren – es wirkte recht hilflos.

Werden wir mehr Zeit für Recherchen haben?

Gleichzeitig integrieren auch immer mehr Redaktionssysteme KI-Technologien in ihre Software. Rechtschreibkorrektur, automatisiertes Layout, intelligenter Bildbeschnitte, automatisches Kürzen, generierte Artikelvorspänne – all das ist jetzt schon möglich, wenngleich in der taz, auch aufgrund unserer 2023 selbst gesetzten und seitdem aktualisierten Leitlinien zum Umgang mit KI, nicht oder nur sporadisch im Einsatz.

Auch nach der Einstellung der werktäglichen Printausgabe am 17. Oktober bleibt das so: Zwar unterstützt uns ein Automat bei der Erstellung des E-Papers, an unsere Texte lassen wir aber keine KI.

Nichtsdestotrotz bleibt das Effizienz­versprechen verlockend: Weniger Zeit mit Fleißarbeiten verbringen, mehr Zeit für Recherche. Gerade Linke sollten aber wissen: Wo Arbeit leichter wird, wird sie nicht auch automatisch weniger. Stattdessen müssen sie mit der Technik wetteifern.

So war es schon einmal, als das Aufkommen des Internets eine mittelschwere Schockwelle durch die Medienbranche jagte und einen Graben aufmachte zwischen denen, die online sind, und denen, die es nicht sind.

Einen Menschen zum Interview treffen, ein Hintergrundgespräch führen, Neues aufdecken, Altes neu denken – all das kann eine KI nicht. Verändert hat die Technologie die Branche trotzdem schon jetzt in einem Ausmaß, das kaum auszumessen ist.

Wir halten Sie auf dem Laufenden!

🐾 Konstatin Nowotny, Jahrgang 1990, schreibt seit 2017 für die taz und arbeitet dort seit 2022 als Produktentwickler. In seiner Arbeit prüft er auch, wie KI das Layouten unterstützen kann.