Zukunft des Fahrradverkehrs: Mit dem E-Bike über den Schnellweg
Ohne das Fahrrad lassen sich die Verkehrsprobleme nicht lösen. Aber: Technische Neuerungen helfen nur, wenn die Infrastruktur stimmt.
Ohne Drais, der vor 200 Jahren mit dem von ihm entwickelten Laufrad zu seiner ersten Tour vor die Tore Mannheims aufbrach, wäre dies nicht möglich – und auch nicht der Siegeszug des millionenfach genutzten Fahrrades. Das Geniale des Laufrades war seine Einfachheit: Auf die Idee, dass man auf zwei Rädern rollen kann, ohne umzufallen, und dass man so schneller ist als ein Wanderer – darauf musste einer wie Drais erst einmal kommen.
Heute stehen die Städte in Deutschland – und weltweit – vor ganz anderen Herausforderungen. Weil das muskelbetriebene Zweirad vielfach durch Vierräder, von Verbrennungsmotoren beschleunigt, ersetzt wurde, ersticken die Städte im Stau; Luftverschmutzung und Klimagasemissionen sind die Folge. Das muss anders werden – so lässt sich der Leitkonsens beschreiben, der auf dem 5. Nationalen Radverkehrskongress herrschte.
Zu Ehren von Karl Drais fand der zweitägige Kongress, vom Bundesverkehrsministerium und dem Land Baden-Württemberg ausgerichtet, in Mannheim statt. Am Dienstagnachmittag wurde er beendet mit einer Veloparade durch die Innenstadt.
Dobrindt fehlt
Mit 800 TeilnehmerInnen – insbesondere aus Stadtverwaltungen, Unternehmen, Verbänden und Aktivistengruppen – erzielte der Radförderkongress einen neuen Rekord. Einer aber fehlte: Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). So wichtig scheine dem Minister der Radverkehr ja nicht zu sein, kritisierten mehrere Kongressteilnehmer.
Was aber muss verändert werden, um mehr Menschen – und Lasten – auf Räder zu bringen? Es braucht bessere und sicherere Fahrräder für jeden Zweck. Neue Sicherheitssystemen insbesondere bei den boomenden E-Bikes. Vor allem eine gute Infrastruktur und ausreichend Raum für die Radler, flankiert von einer neuen Radkultur in den Kommunen. So viel wurde deutlich auf dem Kongress durch internationale Beispiele, nicht nur aus den Fahrradvorzeigeländern Holland und Dänemark, sondern auch aus England oder den USA, wo der Wunsch nach einem Auto ähnlich stark von vielen verinnerlicht wird wie in Deutschland.
Leah Treat, Verkehrsdezernentin
„Der Wandel ist möglich“, ist sich Katharina Kröger von der Verkehrsbehörde London sicher. Die Megastadt mit 8,7 Millionen Einwohnern hat in den vergangenen Jahren mehrere Radschnellwege gebaut, die stark frequentiert werden, insbesondere in der Innenstadt. Hier verdreifachte sich die Radnutzung in 15 Jahren. In Gesamtlondon verdoppelte sich der Anteil der Radler am Verkehrsaufkommen: allerdings von bescheidenen 1 Prozent auf 2 Prozent.
Es sei nie leicht, Parkplätze oder Fahrspuren für Autos verschwinden zu lassen, sagte Kröger, aber wenn man die Bürger frühzeitig und kontinuierlich einbeziehe, gebe es eine hohe Akzeptanz. Nötig auch: politische Unterstützung aus den Rathäusern.
Pragmatische Planung
Radautobahnen, Fietssnelwegen genannt, sind in den Niederlanden das Rückgrat des Fahrradverkehrs. 675 Kilometer wurden in den letzten zehn Jahren gebaut, meist vier Meter breit, mit roter Fahrbahn, frei verlaufend und nachts beleuchtet. Wer dort radelt, fühlt sich nicht nur wohl und tut etwas für seine Gesundheit, sondern hilft auch gestressten Autofahrern. „Die Radschnellwege sorgen für weniger Stau“, sagt Unternehmensberater Richard ter Avest.
Der Teufel aber, der steckt bei der Umsetzung im Detail – überall. Da müssen Routen abgewogen, Landwirte überzeugt, Brücken gebaut und auch mal Bäume gefällt werden. Ter Avest rät zu mehr Pragmatismus der Planer, sagt aber auch zu Bedenken von Naturschützern: „Der beste Umweltschutz ist, wenn die Leute mehr Rad fahren.“
Das tun sie in Portland, der Fahrradhauptstadt der USA. „Je mehr Radwege wir bauen, umso mehr Menschen fahren Rad“, stellte Verkehrsdezernentin Leah Treat fest. Nötig seien Wege für Radler zwischen 8 und 88 Jahren – und eine neue Radkultur. „Wir müssen Menschen inspirieren, Rad zu fahren.“ Dazu könnten auch ungewöhnliche Events dienen. Jährlich kommen 10.000 Fans nach Portland, um an einer Nacktradlerparade teilzunehmen.
Lastenräder und Mikrodepots
Deutlich bodenständiger geht es bei den Logistikern zu. Sie entdecken immer mehr das Lastenfahrrad, für die Belieferung auf der letzten Meile, also an den Kunden. Das kann als vierrädiges Modell durchaus die Ausmaße eines alten Kleinwagens erreichen, darf aber dennoch auch in Fußgängerzonen. So werden deutlich mehr Kunden pro Stunde erreicht als mit den klassischen Lieferwagen, die in verstopften Straßen kaum vorankommen. Dafür lohnt sich dann sogar ein zusätzliches Umladen.
DHL Express bedient schon 100 Routen in Europa mit Lastenrädern, auf die an Umladestationen kleine vorbereitete Container gehievt werden. Begrenzt wird das Engagement nur durch mangelnden Platz. „Es ist schwierig, Mikrodepots in der Innenstadt zu finden“, berichtet Elias Gansel von DHL.
Diese Erfahrung hat auch Raimund Rassillier von Velocarrier gemacht. Ideal für Umladestationen seien Parkhäuser. „Wir sind ja um 10 Uhr morgens schon wieder raus.“ Während ein herkömmlicher Paketdienst in der Innenstadt drei bis fünf Stopps pro Stunde schaffe, komme ein Velolieferant auf zehn bis zwölf Stopps. Seine Schlussfolgerung: „Lastenräder gehören bald zum ganz normalen Stadtbild.“ Deren Werbeflächen auf den Behältnissen seien Gold wert – wegen des guten Images.
Dank E-Motor lassen sich auch Lastenräder mit großen Aufbauten oder Anhängern gut bewegen. Dass der Fantasie der Radentwickler keine Grenzen gesetzt sind, zeigt das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt. Es experimentiert bereits mit Brennstoffzellen, die die Batterie eines Lastenrades versorgen können. Vorteil: Sie machen auch bei Eiseskälte nicht so schnell schlapp. Was würde wohl Karl Drais zu einer solchen Erfindung sagen?
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