Zukunft der europäischen Autoindustrie: Export, Export, Export – aber wohin?
Die Autoindustrie leidet unter der Absatzkrise in Europa. Deutschland versucht sich mit Elektroautos zu retten, Italien mit Export, Frankreich mit Schrumpfung.
ROM taz | Fiat, so scheint es, befindet sich in einer Krise ohne Ausweg, zumindest an seinen italienischen Standorten. Das jedenfalls signalisieren die verheerenden Verkaufszahlen für die ersten acht Monate, die Fiat-Boss Sergio Marchionne letzte Woche auf seinen Tisch bekam: Danach ist der Absatz von Fiat-Modellen in ganz Europa um mehr als 16 Prozent geschrumpft. Auf dem Heimatmarkt brach der Verkauf gar um 20 Prozent ein. Der Anteil von Fiat auf dem europäischen Markt sank auf 6,5 Prozent.
Noch im Jahr 2009 hatte Marchionne triumphal verkündet, unter dem neuen Namen „Fabbrica Italia“ werde das Traditionshaus aus Turin durchstarten. Bis zum Jahr 2014 sollte sich die Pkw-Produktion in den vier italienischen Werken von gut 700.000 jährlich auf 1,4 Millionen verdoppeln – dank gewaltiger Investitionen von 20 Milliarden Euro und einer Palette von mehr als einem Dutzend neuer Modelle.
Das Bild im Jahr 2012: Bis Ende Dezember werden bestenfalls 400.000 Pandas, Puntos oder Alfas die Bänder in Turin und in den drei süditalienischen Standorten Cassino, Melfi und Pomigliano verlassen haben. Kurzarbeit gehört für die dort beschäftigten 18.000 Arbeiter ebenso zum Alltag wie für die mehr als 5.000 Angestellten in den zentralen Entwicklungs- und Verwaltungsabteilungen in Turin. Die Angst geht um, Fiat könne bald ein, zwei oder gar drei Fabriken schließen.
In einem trockenen Kommuniqué erklärte die Firma jüngst, der grandiose Plan „Fabbrica Italia“ sei nunmehr „überholt“. Es gäbe keine neuen Investitionen, keine neuen Modelle bis 2014. Schon in den vergangenen zwei Jahren konnte Fiat nur eine Milliarde Euro im Werk Pomigliano investieren. Dort wird der neue Panda gebaut, neben dem Cinquecento das einzige in den letzten Jahren neu aufgelegte Modell.
Teufelskreis ohne Perspektive
Damit steckt Fiat in einem Teufelskreis: Mit zu vielen alten Modellen – dazu noch vor allem im Kleinwagen- und unteren Mittelklassesegment – gehen die Marktanteile zurück, weshalb das Geld für Investitionen fehlt.
Marchionne tröstet sich mit guten Zahlen aus den USA: Chrysler, mittlerweile zu 61,8 Prozent in Fiat-Händen, fährt dort satte Gewinne ein – 1,2 Milliarden Euro allein im ersten Halbjahr 2012. Damit werden die 500 Millionen Verluste, die bei Fiat aufgelaufen sind, kompensiert.
Marchionne, 2004 bei seiner Berufung an die Vorstandsspitze noch als Retter der italienischen Automobilindustrie gefeiert, könnte bald als deren Totengräber in die Geschichte eingehen. Erst suchte er in einem monatelangen Konflikt um größere Arbeitszeitflexibilität die Gewerkschaften weichzukochen und zu spalten – mit Erfolg. Trotzdem blieb der Aufschwung aus. Jetzt zeichnet der Italokanadier eine neue Perspektive: Die italienischen Fabriken sollen angeblich für den „Export in außereuropäische Länder“ produzieren und damit überleben.
Nur wohin exportieren? In Brasilien baut Fiat selbst ein zweites Werk für den südamerikanischen Markt. In den USA ist Chrysler präsent. Und im größten Wachstumsmarkt Asien hat die Turiner Marke bisher kein Bein auf den Boden gekriegt. MICHAEL BRAUN
Deutsche Elektroautos
BERLIN taz | Eine Million Elektroautos sollen im Jahr 2020 auf deutschen Straßen fahren. An diesem Ziel wollen Bundesregierung und Autoindustrie festhalten, hieß es am Montag nach einem Treffen im Kanzleramt. Dabei gibt es gehörige Zweifel an der Umsetzung. Man werde dieses Ziel „nicht ganz einfach erreichen“, räumte selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein.
Das Problem: Elektroautos sind teuer und haben eine geringe Reichweite. So werden sie in absehbarer Zeit nicht auf dem Massenmarkt landen. Dennoch mutet die Debatte um Zielsetzungen bei den Elektroautos an wie der Streit um den Barte des Propheten – die Autoindustrie plagt aktuell ein ganz anderes, konkretes Problem: der Absatz ihrer Produkte.
Zwar können die Hersteller in Deutschland die dramatischen Einbrüche in West- und Südeuropa noch auf den Märkten in Übersee kompensieren, während die französische und italienische Autoindustrie voll in die Krise rutscht. Aber spurlos geht der Absatzrückgang in Europa, der eine Folge der Eurokrise ist, auch an den hiesigen Produzenten nicht vorüber. So haben bereits die Massenhersteller Ford und Opel ihre Produktionsbänder angehalten. In dieser Woche legt auch Audi, die Premiumtochter von VW, eine Pause ein.
Stefan Bratzel, Automarktexperte der Fachhochschule Bergisch Gladbach, hält die Lage für sehr ernst. Nicht einmal die deutschen Premiumhersteller seien immun. Allerdings hätten die Konzerne aus der Krise 2008/2009 gelernt, als der Staat den Absatz mit der Abwrackpremie ankurbeln musste. Diesmal würden die Hersteller Überkapazitäten vermeiden oder abbauen.
Exportplus gegen heimischen Markt
So schlimm wie 2008/09 sieht es nach Ansicht Bratzels derzeit aber nicht aus. Die große Frage sei, ob die europäische Krise eine globale werde. Dies sei noch nicht der Fall. Insbesondere die Premiumhersteller würden in China, USA und weiteren außereuropäischen Märkten nach wie vor gut verkaufen. Dies bestätigen Zahlen des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie. Allein in China wurden von Januar bis August 8,47 Millionen Neufahrzeuge verkauft, ein Plus von mehr als 9 Prozent. Zum Vergleich: In Westeuropa wurden in den ersten zwei Dritteln des Jahres 8,07 Millionen Autos verkauft, ein Minus von gut 7 Prozent.
In Russland und in den USA wuchs der Autoabsatz im selben Zeitraum um mehr als 14 Prozent. In Indien wurden 10 Prozent mehr Fahrzeuge, und in Brasilien knapp 7 Prozent mehr verkauft. Alles in allem Länder, in denen dicke Autos aus Deutschland bei den Wohlhabenden einen guten Ruf haben.
Porsche etwa freut sich aktuell sogar über einen kräftiges Absatzplus. Im nächsten Jahr werde der Weltmarkt aber weniger stark wachsen, sagte Porsche-Chef Matthias Müller auf dem Autosalon in Paris. Auch den Sportwagenhersteller treffe die Krise in Südeuropa. „Einen Porsche in Italien zu verkaufen, ist ganz schwierig im Moment.“ RICHARD ROTHER
Arbeitsplatzabbau in Frankreich
PARIS taz | Thierry Peugeot kam vor wenigen Tagen persönlich zur Feier des hundertjährigen Bestehens der Autofabrik im ostfranzösischen Sochaux-Montbéliard. Von den Sorgen, die das französische Familienunternehmen Peugeot-Citroën (PSA) plagen, ließ er sich nichts anmerken: „Wie immer, wenn ich nach Sochaux komme, bin ich extrem glücklich.“
Seine Festfreude wirkte auf die anwesenden Autoarbeiter nicht sehr ansteckend. Die Firma hat drastische Sparpläne angekündigt. Der Chef der Familie Peugeot, der 25 Prozent der Firma gehört, sieht dennoch keinen Grund zur Angst vor einer Produktionsverlagerung: „Wir sind stolz auf dieses Werk, das ein Emblem unserer historischen Verankerung in Frankreich ist, an dem wir festhalten wollen.“ Solche Zusicherungen hätten gewiss auch die Beschäftigten in anderen Fabriken der Gruppe PSA gerne gehört.
Rund 8.000 Arbeitsplätze, das sind 10 Prozent des Personals in Frankreich, sollen noch abgebaut werden. Dabei wurden bereits letztes Jahr 5.000 geopfert. Die Produktionsanlage in Aulnay-sous-Bois mit rund 3.400 Beschäftigten soll noch vor 2014 stillgelegt werden. Eine Beschwerde der Gewerkschaften wegen Formfehlern ist vom Gericht abgewiesen worden.
Der Preis für die historische Verankerung
Auch die Linksregierung von Präsident François Hollande, der unlängst noch diesen Abbau als „in dieser Form nicht akzeptierbar“ bezeichnet hatte, muss diese Umstrukturierung hinnehmen. Denn sie ist die Empfehlung des von der Regierung eingesetzten unabhängigen Experten Emmanuel Sartorius. Der glaubt, dass die Lage von PSA womöglich noch um einiges weniger rosig ist als erhofft. Nach Verlusten von einer Milliarde Euro im letzten Jahr belaufen sich für PSA die Einbußen allein im ersten Halbjahr 2012 bereits auf 819 Millionen Euro. Besserung ist nicht in Sicht.
Der Patriotismus der Gründerfamilie hat es der Firmenleitung schwer gemacht, rechtzeitig industrielle Allianzen oder Fusionspartner zu suchen und in Asien und Amerika Fuß zu fassen, wie es dem ehemals staatlichen Konkurrenten Renault gelungen ist. Nun zahlt das Privatunternehmen PSA den Preis für seine „historische Verankerung“ im Stammland Frankreich, wo immerhin noch 37 Prozent der Peugoet- und Citroën-Modelle produziert werden. 85 Prozent der Motoren werden in Frankreich hergestellt, wo die Forschung und Entwicklung noch zu 90 Prozent angesiedelt ist. Diese „Kosten“ des Made in France sollen nun gesenkt werden.
Auch beim Verkauf hängt PSA zu 58 Prozent vom europäischen Markt ab, der am stärksten von der Krise betroffen ist. Dass die Verkaufszahlen von PSA im ersten Halbjahr 2012 um 13 Prozent sanken, ist auch Folge der Abwrackprämien, mit der die frühere Regierung aus umweltpolitischen Gründen die Erneuerung der Autobestände gefördert und damit eine Konsumblase geschaffen hatte. Jetzt sinkt im Gegenzug die Nachfrage. Und überdies geraten heute – ebenfalls aus Umwelt- und Gesundheitsmotiven – die von PSA vorzugsweise fabrizierten Dieselmotoren unter Beschuss. RUDOLF BALMER
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