Zukunft der Atomkraft-Gegner: Den Schwung von Gorleben nutzen
Die Proteste in Gorleben waren ein voller Erfolg für die Anti-Atomkraft-Bewegung. Wie es nach den erfolgreichen Aktionen weitergehen soll.
GÖTTINGEN taz Wir sind wieder da, wir sind zurück, Renaissance der Anti-Atomkraftbewegung - unter dem Eindruck der erfolgreichen Massenprotesten gegen den Castortransport bejubelten die Organisatoren ein Comeback des Widerstandes. Rund um Gorleben demonstrierten 16.000 Menschen und damit so viele wie seit Jahrzehnten nicht mehr gegen Atomkraft, tausende beteiligten sich an Blockaden, der Atommüllzug brauchte für den Weg ins Zwischenlager länger als jemals zuvor. Wie der Schwung aus dem Wendland in die Zukunft gerettet werden kann, blieb im Überschwang der Freude allerdings offen.
"Genau das ist jetzt die große Herausforderung", sagt Jochen Stay von der Initiative "X-tausendmal quer". "Es muss gelingen, dass die Anti-Atomkraftbewegung ein eigenständiger Akteur wird". Die anstehende Debatte über Restlaufzeiten, Endlagersuche und künftige Energiepolitik dürfe keinesfalls Politikern und Lobbyisten überlassen bleiben.
Die Kampagne "ausgestrahlt", ein Ableger von "X-tausenmal quer", hat eine "Hausaufgabenhilfe" erstellt und am Wochenende massenhaft verteilt. Das Heft beinhaltet eine Menge Ideen und Tipps: Nachbarn und Bekannten den Wechsel zu Öko-Strom-Anbietern schmackhaft machen, Unterschriften für "Ausstiegs"-Anzeigen in Tageszeitungen sammeln, kleine Info-Broschüren zu verteilen. "Wir haben auch Anti-Atomaufkleber mit der Sonne rein gepackt, damit die jetzt als wieder überall als Symbol sichtbar werden", sagt Stay.
Im Internet haben "ausgestrahlt" und das online-Netzwerk "campact" zu einer Argumente-Sammlung gegen Atomkraft aufgerufen. Die besten Slogans sollen bei der Wintertagung des Deutschen Atomforums öffentlich zur Schau gestellt werden. "Wir wollen rund um das Tagungshotel in Berlin Plakatwände mieten und darauf unsere Argumemente sichtbar machen", so Stay. Neben der "argumentativen Umzingelung" werde auch über eine praktische Einkreisung diskutiert.
Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg kündigte gestern für das Wahljahr 2009 Demonstrationen an den Standorten der Atomkraftwerke an, die auf der Stilllegungsliste stehen, aber wegen Trickserein der Betreiber vorerst doch am Netz bleiben. Beschlüsse dafür gibt es allerdings noch nicht. Zudem erscheint fraglich, ob sich Menschen in großer Zahl einfach nach Biblis, Brunsbüttel oder Neckarwestheim umleiten lassen.
Wegen seiner besonderen Widerstandsgeschichte und der breiten Verankerung des Protestes hatte und hat Gorleben für den Widerstand eine besondere Bedeutung- das Wendland und vor allem die Castortransporte waren zugleich Katalysator und Kristallisationspunkt. Doch der nächste Transport kommt erst in zwei Jahren - nach der Bundestagswahl also, von deren Ergebnis die zukünftige Energiepolitik maßgeblich abhängt.
Dass der neue Schwung von Gorleben nicht per Dekret auf andere Standorte übertragen werden kann, weiß auch Peter Dickel. Der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad glaubt aber, dass die Proteste vom Wochenende auch den Widerstand gegen das in Salzgitter geplante Endlager für schwach und mittelradioaktioven Atommüll weiter beflügeln werden. "Im Februar planen wir eine große Menschenkette von Braunschweig zum Schacht Konrad und zur Asse", berichtet Dickel.
Anders als die Asse oder Gorleben, ist Schacht Konrad außerhalb der betroffenen Region bislang kaum umstritten. "Eine Sicherheitsdebatte und damit bundesweite Beachtung bekommen wir aber noch", prophezeit Dickel - spätestens dann, wenn der aus der Asse herausgeholte Atommüll in die Grube Konrad umgebettet werden solle.
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