Zugkatastrophe in Sachsen-Anhalt: Das vermeidbare Bahnunglück
Die Katastrophe in Hordorf hätte vielleicht verhindert werden können - wenn der Zug automatisch gebremst worden wäre. Die Technik gibt es seit 1934.
Nach dem schweren Zugunglück am Samstagabend im sachsen-anhaltischen Hordorf ermittelt die Staatsanwaltschaft Magdeburg gegen den Lokführer eines Güterzuges. Das teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Montagnachmittag mit. Der Verdacht: fahrlässige Tötung und Körperverletzung. Der Güterzug war auf eingleisiger Strecke frontal gegen einen entgegenkommenden Regionalzug gerast. Dabei kamen 10 Menschen ums Leben, 23 wurden verletzt, zum Teil schwer. Möglicherweise hat der Lokführer des Güterzuges ein Stoppsignal übersehen.
Besonders tragisch an dem Unfall ist: Die Punktförmige Zugbeeinflussung (PZB), die Fehler von Lokführern durch automatisches Bremsen ausbügeln kann, wird auf der Unglücksstrecke derzeit installiert. Die Bahn will die Strecke, die bisher nur für Tempo 80 ausgelegt ist, künftig mit mehr als Tempo 100 befahren. In diesem Fall sei ein PZB-Sicherungssystem vorgeschrieben, sagte ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums.
Üblicherweise sind die Strecken der Deutschen Bahn mit einem System ausgestattet, das bei Zügen zu einer Zwangsbremsung führt, wenn der Lokführer ein Halt gebietendes Signal überfährt. Die dabei angewandte Technik der induktiven Zugsicherung (Indusi) arbeitet mit Magneten und ist schon seit 1934 Gebrauch. Die Bundesbahn in Westdeutschland rüstete schon bis in die 1970er Jahre nahezu alle Strecken mit dem Zugsicherungssystem aus, das eine Art Vorgänger von PZB-Anlagen ist. In Ostdeutschland, auf den Strecken der ehemaligen Reichsbahn, bestehen aber nach wie vor Sicherheitslücken.
"Das ist nicht zu akzeptieren", sagte Karl-Peter Naumann, Chef des Fahrgastverbandes Pro Bahn, der taz. "Auf Strecken mit starkem Regionalverkehr und Güterverkehr muss das PZB-System gesetzlich vorgeschrieben werden." Die Fahrzeuge seien ohnehin mit dem System ausgerüstet, so dass nur die Strecken ertüchtigt werden müssten. "Das erfordert keine großen Umbauten." Allerdings seien dafür Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe nötig.
Auch die Lokführergewerkschaft GDL fordert den Einbau des PZB-Systems. "Die Politik muss bestimmen, welche Eisenbahninfrastruktur in unserem Lande benötigt wird", hieß es. Diese sei dann mit allen gängigen und modernen Sicherungssystemen auszurüsten. Seit Jahren investiere die Deutsche Bahn, die das Schienennetz in Deutschland betreibt, aber vornehmlich in den Ausbau von Hochgeschwindigkeitsstrecken, anstatt die bestehende Infrastruktur zu modernisieren.
Die Unglücks-Bahnstrecke zwischen Magdeburg und Halberstadt entspricht laut Bahn den gültigen Sicherheitsstandards. Das erklärte das Unternehmen am Montagnachmittag. Allerdings sei geplant, die gesamte Strecke mit dem PZB-System auszurüsten. Die Arbeiten dazu hätten auf der Strecke bereits begonnen und sollten bis 2012 abgeschlossen sein. Zahlreiche weitere Strecken würden in den nächsten Jahren mit dem System ausgerüstet.
Unfälle wegen fehlender Sicherungseinrichtungen haben in der Vergangenheit immer wieder zu vielen Toten und Verletzten geführt. So entgleiste am 6. Februar 2000 im Bahnhof von Brühl ein D-Zug wegen deutlich überhöhter Geschwindigkeit. Es gab 9 Tote und 149 Verletzte. Eine von mehreren Ursachen für das Unglück war eine fehlende Indusi-Einrichtung für den wegen einer Baustelle auf dem Gegengleis fahrenden Zug.
Wann die Bahnstrecke in Sachsen-Anhalt für den Verkehr wieder freigegeben wird, steht noch nicht fest.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin