Zu viele Kirchen: „Wir werden weniger“

Weil der Kirchenkreis Hamburg-Ost besonders viele Kirchbauten hat, muss er sich als einer der ersten dem Schrumpfen stellen. Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Wird nicht geschrumpft: der Michel. Bild: DPA

taz: Herr Claussen, warum hat man Ihren Kirchenkreis „Vorreiter“ in Sachen Kirchenschließung genannt?

Johann Hinrich Claussen: Das Wort „Vorreiter“ ist da furchtbar, wir sind da nur vor eine besondere Herausforderung gestellt. Das hat schlicht mit der Geschichte zu tun: In der ehemaligen hamburgischen Landeskirche wurden nach dem Kriege besonders viele Kirchen gebaut.

Weil so viele zerstört worden waren oder weil man optimistischer war, was den Zuspruch der Gläubigen anbelangte?

Einerseits lag es an der massiven Zerstörung der Stadt, zum anderen an einem Kirchbauprogramm, das von dem Eindruck der erstaunlichen Wiederbelebung kirchlichen Lebens nach dem „Dritten Reich“ geprägt war. Es gab aber auch die Vorstellung, man müsse innerhalb des Stadtraums kleinteilige Einheiten, sozusagen Dörfer schaffen. Das war auch ein anti-urbaner Impuls. Heute ist es aufgrund der demographischen Entwicklung schwierig, dieses dichte Netz auf Dauer zu halten.

Ist schon absehbar, wie groß die Einschnitte sein werden?

Nein. Ich halte nichts von imaginären Streichlisten. Letztlich müssen es die Gemeinden entscheiden, die Eigentümerinnen der Kirchbauten sind.

Der "Zukunftsplan 2015" wurde 2009 verabschiedet, als nach der Fusion mehrerer Kirchenkreise künftige Ressourcen geklärt werden sollten.

Die Bestandsaufnahme der Bauten im Kirchenkreis Hamburg-Ost ist Teil dieses Prozesses. Dafür gibt es einen Kriterienkatalog, der vom Stadtdekanat München übernommen wurde.

Weiteres Ziel: möglichst viele Diakon und Kirchenmusikstellen zu sichern.

Laut dem Zukunftsplan 2015 sollen alle Gebäude bewertet werden. Gibt es da einen Kriterienkatalog?

Es gibt Steckbriefe, die von den Baufachleuten und den Gemeinden entwickelt wurden. Das Grundmodell haben wir vom Stadtdekanat München übernommen. Da gibt es eine Menge Kriterien, etwa: Wie sind die Energiekosten, der Renovierungsstau, die Raumnutzung, wie die öffentliche Anbindung, Denkmalwert, kultureller Wert?

Gibt es auch geistlich-religiöse Kriterien?

Natürlich. Es kann auch sein, dass wir an bestimmten Orten, wo wir Präsenz zeigen wollen, einen Akzent setzen. Wir machen das gerade auf der Veddel, wo eine ganz kleine Gemeinde ist. Von der Zahl der Gemeindemitglieder her hätten sie gar keine Pastorenstelle mehr, nun plant man, dort Kirche und Kita präsent zu halten und einen Diakon hinzubringen.

Im Stadtteil Horn ist eine frühere Kirche in eine Moschee umgewandelt worden. Widerspricht das nicht den Leitlinien der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)?

Wir haben einen Konflikt – allerdings weniger zwischen Christen und Muslimen als zwischen Religionsgemeinschaften und der Stadt. Die Muslime sagen eindeutig: Wir wollen keine Kirchen übernehmen, wir wollen eigene Moscheen bauen. Wir erleben aber, dass das in den Bezirken aus unterschiedlichsten Gründen kaum möglich ist. Stattdessen werden ihnen von der Stadt ehemalige Kirchen angedient. In Horn war die frühere Kirche an einen Investor verkauft worden mit der Auflage, dort eine Kita unterzubringen. Das ist nicht ganz sauber gelaufen.

Wenn Sie vom „anti-urbanen Impuls“ des Nachkriegsbauens sprechen, klingt auch Distanz mit. Können Sie der Schrumpfung etwas abgewinnen?

48, ist Propst für die Propstei Alster-West des Kirchenkreises Hamburg-Ost und Hauptpastor an St. Nikolai.

Da muss man aufpassen, dass man es nicht schönredet. Aber ich würde es auch nicht dramatisieren. Wir werden weniger und müssen darauf achten, prägnant zu bleiben – das ist ein Prozess, den man nüchtern angehen muss.

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