: Zu viel Stress vertreibt Dealer
Der permanente Verfolgungsdruck der Polizei hat die Drogenszene aus Schöneberg verdrängt. Sogar eine Telefonzelle, in der Kunden anriefen, wurde abgeschaltet. Doch gelöst ist das Problem nicht
von PLUTONIA PLARRE
Ausgemergelte Gestalten in zerrissener Kleidung schleppen sich auf der Suche nach Stoff für einen Druck über das Trottoir. Auf den Treppen zur U-Bahn und in den Hauseingängen lümmeln sich die Dealer und preisen in aggressiver Manier ihre Drogen an. Entnervte Mütter durchforsten die Spielplätze nach Spritzen, bevor sie die Kinder in den Buddelkasten lassen.
Szenen wie diese, die fast zwei Jahrzehnte lang den Alltag von Schöneberg-Nord geprägt haben, sind dort heutzutage kaum noch zu finden. Die Drogenabhängigen und Dealer sind in andere Stadtteile abgewandert. Freiwillig ist das nicht geschehen. Empörte Anwohner und Geschäftsinhaber haben so lange Druck gemacht, bis die Politik tätig wurde. Ein permanenter Überwachungs- und Verfolgungsdruck der Polizei, eine gute Kooperation mit dem Schöneberger Bezirksamt und ein stetiger Austausch mit den Anwohnern hat dazu geführt, dass die Drogenszene den Bereich rund um die Potsdamer, Kurfürsten- und Bülowstraße sowie den Nollendorfplatz seit über einem Jahr weitgehend meidet.
„Unsere Devise lautet: Sand ins Getriebe streuen“, preist Polizeihauptkommissar Henry Maiwald vom zuständigen Abschnitt 41 das Erfolgsrezept. Maiwald ist Leiter des Präventions- und Ermittlungsteams, kurz PE-Team, das einen gewichtigen Anteil an der „Bereinigung“ der Lage in Schöneberg-Nord hat. Das 1997 gegründete PE-Team ist eine Besonderheit, die es bei keinem anderen Polizeiabschnitt in Berlin gibt. Die aus vier ambitionierten Beamten bestehende Gruppe hat das Ohr dicht an der Bevölkerung, beteiligt sich an sämtlichen Kiez-Gremien, nimmt die Sorgen und Nöte der kleinen Leute ernst, geht Hinweisen auf Drogenhandel und anderweitigen kriminellen Umtrieben sofort nach, um dann die Lage zu analysieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten.
„Unsere Zielgruppe sind nicht die Junkies, sondern die Dealer, die Übelmänner, die skrupellos ihre Geschäfte betreiben“, sagt der Leiter des Abschnitts 41, Peter Glaser. „Die Drogenhändler sagen inzwischen selbst, in Schöneberg ist ihnen zu viel Stress“, hat Maiwald von einem festgenommenen Dealer erfahren.
Im Kampf gegen die Rauschgiftkriminalität fährt die Polizei schwere Geschütze auf. Seit November 1999 sind gegen 15 mutmaßliche Dealer so genannte Aufenthaltsverbotsverfügungen für Schönberg-Nord verhängt worden. Im Gegensatz zu dem auf 24 Stunden beschränkten Platzverweis bedeutet eine Aufenthaltsverbotsverfügung, dass sich der Betreffende ein Vierteljahr lang nicht in einem bestimmten Bereich blicken lassen darf. Betroffen von der Maßnahme sind davon laut Maiwald ausschließlich junge Asylbewerber aus dem Libanon, die von Zivilbeamten wiederholt beim Dealen beobachtet, aber so gut wie nie in flagranti mit Drogen erwischt wurden.
Beweissichere Festnahmen sind schwierg, weil der Straßen-Drogenhandel strikt arbeitsteilig abgewickelt wird. Ein Händler bietet den Stoff an, ein zweiter bringt die Ware und ein dritter kassiert. Kommuniziert wird über Handys. Nicht zufällig befinden sich die Treffpunkte stets in der Nähe der U-Bahn, die als Rückzugsgebiet dient.
Auch das Geld nehmen die Schöneberger Polizisten den mutmaßlichen Dealern ab. Zu pass kommt den Beamten dabei, dass die Händler durchweg Sozialhilfeempfänger sind. Mit dem Sozialamt hat sich Maiwalds PE-Team darauf verständigt, dass die 395 Mark Sozialhilfe nicht mehr wie bisher monatlich ausgezahlt werden, sondern in vier Raten, einmal wöchentlich. Ein Festgenommener, der mit 500 Mark in der Tasche angetroffen wird, ist deshalb sofort seine Scheine los und muss dem Amt dazu auch noch Rechenschaft über deren Herkunft ablegen. Für die Dealer hat dies zur Folge, dass sie nicht nur Depots für die Drogen suchen müssen, sondern auch noch Bunker für den Erlös.
Auch die einschlägigen Gaststätten und Kneipen sind unter ständiger Beobachtung. Zwischen 1997 und 99 wurden 194 Razzien in gastronomischen Betrieben in Schöneberg-Nord durchgeführt. „Auf gewisse Lokale üben wir einen permanenten, fast schon penetranten Überwachungsdruck aus“, sagt Glaser. Hinweise und Anregungen aus der Bevölkerung nimmt das PE-Team dankbar auf.
Fluchtwege und Fixerecken wurden durch bauliche Veränderungen beseitigt. Die Grünanlagen am Nollendorfplatz wurden zur besseren Übersichtlichkeit gestutzt und die öffentliche Telefonzelle abgeschaltet, in der sich die Dealer von ihrer Kundschaft anrufen ließen. Von Wohnungsbaugesellschaften hat die Polizei nicht nur Schlüssel zu den Höfen zur Verfügung gestellt bekommen, sondern auch Observationsräume.
Der Personal- und Zeitaufwand, den die Schöneberger Polizei für die Bekämpfung der Drogenszene aufbringt, ist immens. „Das Ganze funktioniert nur, wenn wir ständig bei der Stange bleiben“, sagt Glaser. „Als wir uns einmal ein paar Tage versuchsweise zurückgezogen haben, hat sich das wie ein Lauffeuer in der Szene herumgesprochen. Sofort waren die Dealer wieder da.“
Für die Anwohner und Geschäftsinhaber hat sich die Lage durch die Polizeiaktionen spürbar entspannt. „Die Drogenszene ist bei meiner Kundschaft überhaupt keinThema mehr“, bestätigt der Buchhändler an der Maaßenstraße. Schmunzelnd erinnert er sich an die beiden Bürgerinitiativen am Nollendorfplatz, die sich spinnefeind waren. „Die einen wollten die Szene weghaben, egal wie. Die anderen haben darauf hingewiesen, dass das Problem durch eine Vertreibung nicht gelöst werde.“
Auch die Schöneberger Bezirksbürgermeisterin Elisabeth Ziemer (Bündnis 90 / Grüne) ist froh, dass sich die gute Zusammenarbeit von Anwohnern, Behörden und Polizei ausgezahlt hat. Erledigt ist das Thema für sie damit aber nicht. Dafür liegen auf den Spielplätzen in Schöneberg noch zu viele Spritzen herum. Zusammen mit den Bezirksbürgermeistern von Kreuzberg, Charlottenburg und Tiergarten setzt sich Ziemer für die Einrichtung von Drogenkonsumräumen in Berlin ein, in denen sich die Abhängigen unter hygienischen Bedingungen ihren Schuss setzen können. Das Vorhaben droht jedoch an der Großen Koalition zu scheitern.
So befriedigt die Polizisten des Abschnitts 41 über ihren Erfolg sind, über eines machen sie sich keine Illusionen: Schöneberg hat das Drogenproblem nicht gelöst, sondern nur verdrängt. „Je erfolgreicher wir sind, um so mehr bekommen die anderen Stadteile die Auswirkungen zu spüren“, ist Glaser und Maiwald absolut klar. Selbstverständlich stehen sie den anderen Bezirken – wie unlängst Mitte – jederzeit mit Rat und Tat zur Seite. Was passiert aber, wenn alle Bezirke ebenso konsequent Druck auf die Szene ausüben, wie es Schöneberg tut? Polizeioberrat Peter Glaser nimmt eine langen Zug aus seinem Zigarillo, bevor er nachdenklich sagt: „Dann platzt das Ganze vermutlich wie eine aufgepustete Schrippentüte. Die Dealer denken sich etwas Neues aus und wir müssen wieder von vorne anfangen.“
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