: Zu Tisch mit Opus Dei
Die rechtskatholische Organisation will mitreden in Politik und Gesellschaft und klopft dafür neuerdings auch bei linken Journalist:innen an. Eine Begegnung in der taz-Kantine
Von Stefan Hunglinger
Ulrich Nagel trägt einen dunklen Wollpulli, ein dezentes Parfum und auf den Lippen die Gewissheit, Gott an seiner Seite zu haben. Der promovierte Historiker aus Köln ist in Berlin, um zu lobbyieren. Für Opus Dei. Ja, Opus Dei. An diesem Mittag sitzt Nagel, 38, in der taz-Kantine in Kreuzberg, vor sich einen Teller Pasta mit Gorgonzolasoße und Panko-Rucola-Crunch, und sagt: „Der Bußgürtel hilft mir persönlich sehr.“
Ein paar Wochen zuvor hatte Nagel der taz eine E-Mail geschrieben. Er suche den Austausch mit Journalist:innen, die über Kirche berichten. Er wolle über die „Mitarbeit“ der katholischen Organisation an der Zukunft von Kirche und Gesellschaft sprechen – und über die „linken Aspekte“ des Opus.
Lobbyanfragen füllen jeden Morgen die Postfächer von Journalist:innen, die meisten werden schnell gelöscht. Aber „linke“ Aspekte im Opus Dei, das klingt zumindest amüsant. Und war da nicht etwas mit rechtskatholischen Lobbyisten, die die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin verhindert haben? Hatte auch das Opus seine Finger im Spiel?
Pasta also, in der taz-Kantine.
Nagel ist in eine katholische Familie hineingeboren, aber nicht ins Opus. Ein Freund seiner Mutter, ein Lebensschützer, habe ihn zu ersten Opus-Veranstaltungen mitgenommen. 18 sei er damals gewesen, sagt er. In einer Analyse der Amadeu Antonio Stiftung heißt es: „Hat sich ein:e Jugendliche:r für Opus Dei entschieden, wird er oder sie angehalten, nicht mit Eltern und Freund:innen darüber zu reden, bis er oder sie alt genug sind, offiziell Mitglied werden zu können.“
Disziplin und klare Regeln
Bevor er isst, bekreuzigt sich Ulrich Nagel, senkt kurz den Kopf. Am Anfang habe er das Opus „strange“ gefunden, sagt er dann. Geblieben ist er trotzdem. Das „Werk Gottes“ und ähnliche Gruppen ziehen besonders junge Männer an. Disziplin, klare Regeln, eindeutige Geschlechterbilder, ein internationales Netzwerk – das gehört zum Angebot.
Gegründet wurde das Opus Dei 1928 vom spanischen Priester Josemaría Escrivá. Christliche Vollkommenheit solle sich im Alltag beweisen: tägliche Messe, wöchentliche Beichte, dazu „Abtötung für den Vater“. Morgens legen sich die Opus-Mitglieder auf den Boden und sprechen „serviam“ – ich will dienen. Kalte Duschen töten ab, Liegestütze auch. Und ein stachliger Bußgürtel um den Oberschenkel. Der helfe ihm sehr, sagt Nagel leise. Freiwillig sei das alles. Aussteiger:innen sprechen von Manipulation.
Weltweit 90.000 Mitglieder hat das Opus Dei eigenen Angaben zufolge. Innerhalb der katholischen Kirche hat es eine Sonderstellung, vergleichbar mit einem Bistum – nur ohne Gebiet. An der Spitze steht Prälat Fernando Ocáriz, Nachfolger des heiliggesprochenen Gründers. Darunter kommen in der Hierarchie die Priester, dann die Numerarier:innen wie Nagel, die zölibatär in Zentren leben, nach Geschlechtern getrennt. Auxiliares heißen die Frauen, die in den Männerzentren putzen und kochen. Ausbeutung und Frauenhandel wird einem hohen Opus-Funktionär in Argentinien vorgeworfen. Die größte Gruppe im Opus bilden die Supernumerarier:innen: verheiratete Mitglieder mit bürgerlichem Leben.
Ulrich Nagel machte nach Promotion und journalistischen Stationen, Karriere als Unternehmensberater, heute ist er selbständiger Berater in der Immobilienwirtschaft. Das wirtschaftsliberale Opus liebt Leistungsträger.Nagel lebt zölibatär in einem Kölner Studentenhaus des Opus, das er leitet. Und er lobbyiert – ehrenamtlich – als einer von fünf Opus-Sprechern in Deutschland. Das Opus will mitreden. In der Gesellschaft. In der Politik.
In Spanien, wo das Opus einst als wichtige Stütze der Franco-Diktatur diente, hat es heute noch enormen Einfluss. Aus Spanien kommen auch der Vizepräsident der Europäischen Zentralbank Luis de Guindos und María Elósegui, Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Beide stehen dem Opus Berichten zufolge nahe.
In den USA hat Vizepräsident JD Vance Kontakte zum Opus. Kevin Roberts, der Trumps inoffizielles Regierungsprogramm „Project 2025“ mitgeschrieben hat, ist Förderer des „Informationszentrums“ von Opus Dei in der Hauptstadt Washington. Dem Journalisten Gareth Gore zufolge wäre die Aufhebung des Rechts auf Schwangerschaftsabbrüche in den USA ohne Opus-Dei-Insider in Trumps Truppe nicht möglich gewesen.
Und in Deutschland?
600 Mitglieder habe die Organisation hier, sagt Nagel. Das Opus betreibt eine Business School in München, ein Gymnasium in Jülich, Studenten- und Bildungshäuser, Jugendclubs. Die Zentrale sitzt seit 1952 in Köln, im reichsten Bistum der Welt. Die Beziehungen zum Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki seien gut, sagt Nagel. Woelki ehrte Gründer Escrivá jüngst in einem Festgottesdienst. Mehrere Opus-Priester holte er in seine Verwaltung. Einer von ihnen, Dominikus Schwaderlapp, positionierte sich öffentlich gegen die Ehe für alle und nimmt regelmäßig am rechtsoffenen „Marsch für das Leben“ teil. Woelki selbst sandte Grüße.
Wie viel Mobilisierungspotential das Thema Schwangerschaftsabbrüche bietet, zeigte im Sommer der Fall von Frauke Brosius-Gersdorf. Im August zog die Rechtswissenschaftlerin ihre Kandidatur für einen Sitz am Bundesverfassungsgericht zurück. „Citizen Go“, eine aus Spanien stammende internationale Plattform für erzkatholische, ultrarechte Kampagnen hatte zuvor eine Petition gegen sie initiiert, sie als Linksextreme dargestellt. 150.000 Mal wurde die Petition unterzeichnet. Bundestagsabgeordnete wurden mit E-Mails bombardiert, um sie zum Boykott der Juristin zu drängen.
War auch Opus Dei beteiligt? „Wir haben gar keine Kapazitäten für solche Kampagnen“, sagt Ulrich Nagel beim Espresso nach dem Essen. Dass einzelne Mitglieder die Petition unterschrieben oder E-Mails geschickt hätten, das könne schon sein. Auf das einzelne Mitglied komme es an, das betont Nagel immer wieder. Das „Werk Gottes“ – eine Art Franchise.
Lange hatte das Opus auch im Deutschlandfunk jemanden sitzen, das Funkhaus steht schließlich in Köln. Von 1989 bis 2015 moderierte Opus-Mitglied Jürgen Liminski die „Informationen am Morgen“ – eine der politisch einflussreichsten Sendungen des Landes. Parallel positionierte er sich als Geschäftsführer des „Instituts für Demographie, Allgemeinwohl und Familie“ für eine erzkatholische Familienpolitik und gegen Schwangerschaftsabbrüche.
Liminski schrieb außerdem Kommentare für die neurechte Zeitung Junge Freiheit sowie für den Blog Freie Welt aus dem Umfeld der AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Auch sein Sohn, der CDU-Politiker Nathanael Liminski, veröffentlichte dort Texte. Seit 2017 ist Nathanael Liminski Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, seit 2022 ist er zudem Landesminister.
Nur die AfD ist interessiert
Opus-Sprecher Nagel hat ebenfalls schon für den Deutschlandfunk gearbeitet. Beim Essen in Berlin sagt er: „Ich wünschte, wir könnten mehr lobbyieren.“ Vor seinem Aufenthalt in der Hauptstadt habe er nicht nur verschiedene Medien, sondern Bundestagsabgeordnete aller Parteien angeschrieben. Doch nur Parlamentarier:innen einer Partei wollten sich mit ihm treffen: der AfD.
Kein Wunder, denn die AfD setzt mehr und mehr auf das christliche Vorfeld. Mitte Dezember waren AfD-Abgeordnete in den USA zu Gast bei Donald Trumps MAGA-Bewegung, schon früher hatte Beatrix von Storch, stellvertretende AfD-Vorsitzende, gesagt: „Wir können eine neue Brücke über den Atlantik bauen auf dem gemeinsamen Fundament von Freiheit, Nation und Christentum.“ Andere rechtskatholische Adlige blasen in ein ähnliches Horn. Gloria von Thurn und Taxis etwa oder Mathias von Gersdorff mit seiner „Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum“.
Aus einem internen Strategiepapier, das Politico zugespielt wurde, geht hervor, das die AfD „konfessionelle Christen“ für sich gewinnen will, um „neue Potenziale“ zu erschließen. Man wolle einen „Kulturkampf“ entfesseln und damit den „Druck auf die Union erhöhen“. Im Fall Brosius-Gersdorf ist das gelungen. Nagel bestreitet konkrete Gespräche mit der AfD.
Und was sollen nun die linken Aspekte von Opus Dei sein? Der Freiheitsdrang, sagt Nagel. Und die Aufwertung der Laien gegenüber den Priestern. All das allerdings gibt es auch anderswo in der katholischen Kirche: im Frauenbund, im Bund der Deutschen Katholischen Jugend. Ohne Druck, Frauenfeindlichkeit und Homophobie.
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