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Zu Michael Sontheimers 60. Geburtstag Anarchie und Selbstironie

Michael Sontheimer, Mitbegründer und Exchefredakteur der taz – ein Kollege für alle publizistischen Ernstfälle.

Michael Sontheimer begutachtet die verwüstete Berlinredaktion in der Weddinger Wattstraße 1982. Bild: Peter Hebler

„Es war in der Wattstraße im tristen Berliner Wedding.” Einen Tag vor dem realen Start sollte „der Ernstfall simuliert werden. Doch in dem Raum, in dem mehr als zehn Schreibtische standen und theoretisch drei Ressorts arbeiten sollten, fand ich mich allein mit einem einzigen weiteren Redakteur in spe, mit Max Thomas Mehr. Das Wetter war wunderschön, und unsere lieben Kolleginnen und Kollegen hatten es offensichtlich vorgezogen, sich im Grünen zu entspannen. ,Glaubst du, dass man mit diesem Haufen eine Tageszeitung machen kann?' Max antwortete: ,Ich weiß nicht.' Wir waren einigermaßen verzagt.” Das ist nun knapp 36 Jahre her.

Mehr Familie als Firma

Das Zitat von Michael Sontheimer entstammt dem Buch von Jörg Magenau, „Die taz. Eine Zeitung als Lebensform”. Längst ist das Projekt Gegenstand der Geschichtsschreibung; die subjektive Reflexion auf seine Historie ist beinahe von Anfang an Teil seiner Identität gewesen, darin eher einer Familie als einer Firma vergleichbar: Denn jenseits der objektiven Daten hängt alles davon ab, wer sich erinnert, wer wem eine Stimme gibt, um das realistische Bild zu zeichnen. Was natürlich niemals gelingt.

Mit Anarchie und Selbstironie

Der Historiker Michael Sontheimer gehörte zu der Truppe mehr oder – siehe oben – minder entschlossener linker, spontaneistischer Frauen und Männer, die auf den neuen Ernstfall deutscher Geschichte praktisch antworten wollten: Im Deutschen Herbst der späten siebziger Jahre, im grauen Klima der RAF-Attentate sowie der „unterdrückten Nachrichten”, im Licht des Regenbogens von Öko-, Frauen- und internationalen Solidaritätsbewegungen mit einer Zeitung, die eben auch Lebensform war – ein selbstbestimmtes Projekt. Mit all dem Pathos, das für die Energieversorgung nötig ist, und, glücklicherweise, auch mit Anarchie und Selbstironie.

Auf Kriegsfuß mit der Antifa

Michael Sontheimer blieb vier Jahre dabei, bis er, einigermaßen zermürbt, das Kollektiv 1983 verließ. Er hatte wesentlich dafür gesorgt, dass Wirtschaft und Ökologie künftig zusammengedacht werden konnten, er hatte über die Revolutionen in Asien und Lateinamerika kundig geschrieben und in den Berliner Korruptionssümpfen wirkungsvoll recherchiert.

Aber er hatte sich auch Haltungen erlaubt, die der radikalen Antifaszene so wenig passten, dass deren Anhänger seinen Redaktionsraum verwüsteten. Die Solidarität der Redaktion hielt sich in überschaubaren Grenzen.

Die zweite taz-Zeit

Er ging zur Zeit, brachte dort die fälligen Modernisierungsschübe voran – und kam 1992 Jahre später zurück, als der erste verantwortliche Chefredakteur in der Geschichte des Projekts. Er kam ohne Harm, ohne Pathos und ohne eine Geste des Triumphs. Die Treue zu dem, was er wichtig fand, überwog – eine sachliche Liebe zur Welt.

Nach nicht einmal drei Jahren war diese zweite journalistische taz-Zeit vorbei. (Woran es lag, habe ich bis heute nicht verstanden, was sicher damit zu tun hat, dass ich Beteiligte war.)

Förderung des kritischen Journalismus

Sontheimer ging zum Spiegel, wo er aktuell vor allem mit Wikileaks und den Snowden-Dokumenten beschäftigt ist: unterdrückte Nachrichten, zweiter Teil. 2008 hat er die Panter-Stiftung der taz mitbegründet, und als Mitglied des Kuratoriums initiiert er Workshops für Journalisten aus Krisengebieten sowie den „Mittwochsclub”, ein Diskussionsforum für junge KollegInnen aus allen Zeitungen Berlins. Das Credo der Stiftung ist die Förderung des kritischen Journalismus – „er hat es nötig”, wie er sagt. Und danach handelt.

Danke dafür, und – im Namen auch Deiner taz – herzlichen Glückwunsch! 

ELKE SCHMITTER