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Zu Besuch bei einer BodybuilderinVom Muskelkostüm

Ingrid Distler war schon Weltmeisterin. Den Zustand ihres Körpers registriert sie täglich aufs Genaueste. GABRIELE GOETTLE hat sie besucht.

Ingrid Distler Bild: elisabeth kmölninger

Ingrid Distler, Weltmeisterin im Bodybuilding, 1967 Einschulung in die Volksschule Herzoghöhe, Bayreuth. 1977 Beendigung der Schule mit d. Mittleren Reife. Friseurlehre, Hauswirtschaftsschule mit Schwerpunkt Kochen, Ernährungslehre (Abschlussnote "sehr gut"). Sie arbeitete u. a. als Reitlehrerin; Turnierreiterin; im Bereich Textildesign; als Model f. Sportbekleidung u. Dessous; in der Fitnessbranche und als Profi-Bodybuilderin u. Trainerin. Ingrid Distler begann als Achtjährige mit d. Leistungssport und erhielt Urkunden als: Bayrische Jugendmeisterin i. Rückenschwimmen; Bayrische u. deutsche Jugendmeisterin im Vielseitigkeitsreiten, A u. L Springreiten, A u. L Dressurreiten; Bayrische und deutsche Jugendmeisterin im 50- u. 100-Meterlauf, im Weitsprung, in d. 800-Meter-Staffel u. im Kugelstoßen. Sie begann 1987 mit dem Kraftsport Bodybuilding u. erreichte bei ihrem 1. Wettkampf 1990 sofort d. 1. Platz, wurde Fränkische Meisterin und gewann danach zahlreiche nationale u. internationale Wettkämpfe, wurde u. a. 1993 in Bayreuth Internationale Deutsche Meisterin u. Gesamtsiegerin aller Gewichtsklassen; 1997 in England Miss Universe, und im Jahr 2000 wurde sie Siegerin d. World Championship und war nun Bodybuilding-Weltmeisterin im Schwergewicht. Ingrid Distler wurde 1961 in Bayreuth geboren, ihr Vater war KFZ-Mechaniker, ihre Mutter Steuerfachfrau. Sie ist verheiratet u. kinderlos, ihr Ehemann ist ebenfalls Bodybuilder.

Frau Distler lebt im Fichtelgebirge, in einem kleinen Kurort nahe Bayreuth. Die Begrüßung ist von bayrischer Herzlichkeit. Ihre Stimme ist tief, ihr Händedruck fest und trocken. Sie führt uns ins Haus, in dem sie und ihr Mann zur Miete wohnen und bittet uns, im Wohnzimmer Platz zu nehmen. Der Raum ist weiß tapeziert und wird dominiert von einem großen grünen Kachelofen, zwei wandhohen Spiegeln, einer bronzenen Skulptur, die eine Athletin mit Hanteln übend darstellt, und von kleinen und großen Kakteen in originellen Töpfen. "Ich züchte Kakteen", erklärt unsere Gastgeberin, "das ist eine Leidenschaft, und ich sammle auch gern schöne Steine, den da", sie zeigt auf einen glänzenden braunen, der zwischen anderen Steinen auf dem Tisch liegt, "den hab ich gestern geschenkt bekommen." Beim Einschenken des Kaffees spielen die Muskeln unter der zarten Haut ihres Unterarmes.

Ingrid Distler Bild: elisabeth kmölninger

"Es war eigentlich so, ich war früher zu dünn, hab keine Hüften gehabt, nix, und ganz dünne Oberschenkel. Obwohl ich Leistungssportlerin war, hab ich einfach nix hingekriegt, und durchs Schwimmen nur den Oberkörper. Das hat mir nicht gefallen. Deshalb hab ich damals das Training angefangen in einer Muckibude. Heute habe ich Hüftumfang 85, Taille 60, Oberkörper 106, Waden 40 und Bizeps 49 Zentimeter. Ich habe ja angefangen mit 52 Kilo damals, im Leichtgewicht, zwei, drei Jahre später war ich im Mittelgewicht, bis 57 Kilo. Im Studio habe ich immer gesagt, ich will 60 haben, und wie ich 60 gehabt hab, wollte ich 65 haben. Also Schwergewicht fängt an - heute ab 57 Kilo plus, früher ab 60. Ich bin 1,65 Meter groß. Und ich habe kein fett am Körper. Man darf kein Fett haben, nirgendwo! Der Hintern muss Streifen haben. Momentan ist Wasser drunter", sie zeigt auf ihren Unterarm und zupft an der Haut, "das muss ja weg, es gibt bestimmte Ernährungsprodukte, da muss man dann dauernd aufs Klo. Und das Essen, das man zu sich nimmt, Kohlehydrate, Eiweiß, Vitamine, das muss perfekt abgestimmt sein auf die Leistung, die man bringen will. Das habe ich alles selbst entwickelt. Ich bin damals nach meiner Friseurlehre - den Beruf habe ich ja aufgegeben wegen der Allergie - erst in die Fitnessbranche als Trainerin, und ab 87 hab ich dann Bodybuilding gemacht. Mein allererster Lehrmeister da war ein Gewichtheber, der hat mir das eigentlich beigebracht, auf dieser Grundlage konnte ich mir dann später alles selbst erarbeiten. Ich probier heute noch aus.

Viele denken, man legt sich auf eine Bank und drückt Gewichte. Um einen guten Körper zu kriegen, eine symmetrische Muskulatur, so dass wirklich alles zusammenpasst, muss man sich gut vorbereiten. Weil so ein Training ist erstens sehr anstrengend und zweitens langwierig. Man muss bei jedem Satz den Kopf einschalten und sich konzentrieren. Das heißt, das Ganze ist erst mal Kopfarbeit, bevor der Körper funktioniert. Also der "Satz", das sind die Bewegungsfolgen, wenn ich zum Beispiel für den Bizeps eine Übung mache, dann mach ich vier bis acht Sätze. Und zum Aufwärmen nehme ich eine Übung, die ich eigentlich nicht brauche, zum Beispiel Kabelzug. Ich bin von der Wiederholungszahl her variabel, ich mach teilweise dreißig oder auch fünfundfünfzig Wiederholungen.

Und dann ist es üblich, dass man nach jedem Satz dreißig bis sechzig Sekunden Pause macht zur Erholung, die lasse ich weg, denn der Muskel muss ja gereizt werden. Das ist das A und O! Man merkt es an einem Brennen im Muskel, ein angenehmes Brennen. Und ich mache nie schnell. Man sagt immer, man muss schnell drücken oder schnell ziehen zum Aufpumpen. Das stimmt nicht. Also Aufpumpen - den Muskel durchbluten - das mache ich langsam, mit Gefühl und Spannung. Das ist meine Selbstwahrnehmung, ich fühl von innen her, wie der Muskel sich entfaltet, wie das anfängt und dann weitergeht, das ist das Geile dran!" Sie lacht, "die meisten kennen das gar nicht. Ich trainiere ja auch Männer, speziell im Hardcore-Bereich, die machen zwar, was ich sage, die blicken aber nicht durch. Statt dass sie mal auf ihr Gefühl achten. Aber die denken immer nur ans Gewicht.

Das Gewicht ist relativ. Man braucht nicht unbedingt viel Gewicht, um einen großen Muskel zu kriegen. Es geht um die genaue Einstellung des Gewichts auf den Muskel, dass nur der dann auch anspricht. Wenn ich jetzt zum Beispiel Brust trainiere. Ich schaffe hundertzehn Kilogramm, die drück ich, wenn jemand bereitsteht. So, aber der Brustmuskel, weil der nie gebraucht wird, der bleibt auf der Strecke, der ist schwer zu trainieren, man muss beim Training aufpassen, dass nicht die Schultern und Arme immer kräftiger werden, aber beim Brustmuskel kommt nichts. Das ist das, was man wissen muss. Wenn ich ne Sechzigerhantel nehme - die nehm ich locker. Es bringt aber nichts, weil ich dann nur wieder mit der vorderen Schulter, mit dem oberen Teil arbeite, indem ich erst mal viele Übungen mache, verschiedene Übungen, indem ich also eng fasse, weit fasse, um das Gewicht anzupassen. Wenn ich das Gewicht nicht genau auf den Muskel einstelle, bekomme ich keine oder falsche Ergebnisse. Das sind alles Erfahrungswerte. Und Erfahrungen mach ich dann, wenn ich auf mein Gefühl achte. Ja, ich bin ein Kopfmensch. Manche denken, Bodybuilder sind doof. Aber ohne Kopf geht nichts. Und ich beobachte jeden Tag meinen Körper neu. Ich merk genau, wenn irgendwas nicht passt. Wenn ich zwei Tage nicht trainiere, merke ich genau, die Spannung ist nicht so, wie sie sein sollte. Dann geh ich zum Spiegel, seh nach, wie es ausschaut mit den Oberschenkeln. Ich sehe zwar keinen Unterschied, aber das Gefühl ist nicht da, das Supergefühl, dass ich jedes Mal durch das Training habe. Es ist genau so, wie wenn jemand Drogen nimmt und dann zwei Tage nicht. So etwa kann man sich das vorstellen.

Man lernt eben, dass man gut mit seinem Körper umgeht. Ich achte sogar beim Training auf 'kosmetische Richtlinien'", sie lacht, "ich achte zum Beispiel auf die Haut. Ich habe eine sehr schöne Haut, nicht nur am Körper, auch an den Händen." Sie reicht uns ihre Handinnenfläche, sie ist zart und ohne Schwielen. "Ich trage keine Handschuhe. Das ist alles eine Frage der Technik. Wenn ich jetzt zum Beispiel eine Stange nehme, dann richte ich meine Hand so lange aus, bis sie glatt aufliegt. Mich haben schon viele angesprochen darauf. Viele haben zum Beispiel auch Dehnungsstreifen in ihrer Haut. Ich hab keinen einzigen. Und das liegt daran, dass ich schon so viele Jahre trainiere und langsam aufgebaut habe. Viele haben teilweise in zwei Jahren zwanzig bis dreißig Kilo mit Doping drauf, anders geht es gar nicht in der kurzen Zeit. Die Haut wächst da nicht mit in der Geschwindigkeit. Manche Männer machen ja teilweise Mastkuren vor dem Wettkampf, wiegen hundertfünfzig Kilo, und gehen dann dreißig Kilo wieder runter für die Bühne. Und da hängt die Haut dann eben einfach weg, wenn sie das ein paarmal machen, das ist dann Labber. Viele haben überhaupt keinen Überblick mehr über ihren Körper. Die merken auch nicht, wenn sie krank sind. Also ich hab durch die Selbstwahrnehmung schon viele Vorwarnungen von Krankheiten erfahren, die der Arzt dann praktisch unterbunden hat, rechtzeitig. Durch den Sport muss ich auch wissen, wie der Zuckerspiegel ist. Ich fühle das genau. Durch den Kopf, mit den Augen und dem Bauch. Vom Kopf gehts in den Bauch, so ein richtig unwohles, flaues Gefühl. Ähnlich wie das Angstgefühl. Vom Kopf über die Augen in den Bauch. Die Augen sehen schlechter. Wenn ich das Gefühl spüre, dann trink ich erst mal einen Schluck und sehe zu, dass ich was esse.

Wenn ich trainiere, mag ichs nicht, dass mich jemand anspricht. Davon werd ich nervös, dann steigt das Adrenalin, es wird zu viel verbraucht, also der Ofen brennt schneller und der Zuckerspiegel geht runter. Ich brauche meine Ruhe beim Training. Es ist ein bisschen wie eine Trance. Man ist eins - sonst ist man ja verschiedene Personen, manchmal jedenfalls. Man braucht so eine halbe Stunde, bis man in dem Zustand drin ist. Wenn das Gewicht dann in der Hand liegt, empfindet man das nicht als störend, dass man was Schweres in der Hand hat. Es wirkt so, wie wenns dazugehört. Es gibt nicht mehr den Körper, die Arme, das Gewicht, drei Dinge, das ist alles eins. Das Gewicht ist kein Fremdkörper. Der Kopf leitet es, der Körper machts. Egal, wie viel Gewicht in der Hand ist. Ist wurscht!" Sie lacht. "Alles, was draußen ist, ist weg für die Zeit. Das ist die einzige Situation, wo ich einen Raster krieg, wenn einer daherkommt und das stört, weil er ne Übung gezeigt kriegen will oder was. Es ist ja auch gefährlich. Da kann ja sonst was passieren, wenn man erschrickt. Also dieser Zustand, der ist mir sehr wichtig. Sonst würde ich das tägliche Training gar nicht auf mich nehmen. Den würde ich am liebsten den ganzen Tag lang haben, aber er verfliegt wieder."

Auf die Frage, wie lange sie trainiert, erklärt sie: "Unterschiedlich. Mindestens zwei bis drei Stunden, darunter geht gar nichts. Nur am Gerät. Nur Hanteltraining. Also ich schau dann auch wirklich schlecht aus im Gesicht. Teilweise. Weil sich das Gesicht ja dabei anspannt. Ich hab sogar eine Spange, weil man durch das Training auch die Kaumuskeln mittrainiert und alles, unbewusst. Die nimmt man in den Mund und beim Zusammenbeißen merkt man das dann. Das sollte ja alles ein bisschen weicher bleiben im Gesicht. Aber ich trainiere eigentlich immer auf Höchstleistung und danach bin ich fertig. Ich muss schon sagen, ich quäl bei jedem Training meinen Körper. Aber ein bissl schmerzhaft soll es eigentlich schon werden. Wenn ich jetzt nur acht Wiederholungen mache mit dem Höchstgewicht, dann merke ich nichts. Das ist für die Katz. Ich muss weitergehen, es langsam steigern. Ein Beispiel, Kurzhantel, zwölfeinhalb Kilo, ich mache jetzt eine Übung und aus der Übung mach ich einen Satz, und zwar so lange, bis ich merke, dass das Brennen anfängt in der Muskulatur, das strebe ich an. Es soll sich voll steigern. Und dann gehe ich über die Schmerzgrenze, schön langsam, damit es keine Muskelfaserrisse gibt. Es muss schmerzhaft werden und es muss brennen, sonst wird das mit dem Muskel nichts. Also der Muskel erfährt beim Training, dass er jetzt überfordert wird, als Erstes mal mit Gewalt, und darauf reagiert er dann mit Wachstum. Das kann man eben alles steuern.

Aber für mich ist das keine Überwindung, keine Folter - so wie viele das von sich sagen. Es wird ja Endorphin ausgeschüttet, immer so im zweiten Drittel des Trainings. Und mit diesem eigentlichen Moment, der Grenze, da ist es dann so. Sagen wir, man hat dreißig Wiederholungen gemacht, müsste die Hanteln jetzt eigentlich ablegen, es geht nix mehr - DA dann weiterzumachen, das ist es! Ich lieg auf dem Rücken, hab die Hanteln in der Hand. Man kanns gar nicht nach unten sinken lassen, sie können gar nicht nach unten sinken. Weil die Hanteln so schwer sind, weil die Spannung so groß ist im Muskel. Meistens kann man die Hanteln am Ende gar nicht mehr selber ablegen, weils nicht mehr geht, man schaut dann, dass man jemanden herkriegt Ja, das ist das Notprogramm, das der Körper einschaltet. Das die Menschheit hat zum Überleben, genau wie die Tiere auch. Aber ich will es so haben. Das ist halt die Grenze, die gefährlich ist: Entweder man verletzt sich, oder es kommt der Anreiz zum Muskelaufbau. Der Normalmensch, der macht im Training halt seine Übungen und Wiederholungen, der hat keine Ahnung. Die meisten hören einfach auf, weils so auf dem Zettel steht.

Ich bin ja teilweise auch selber mit im Wettkampfgericht, da seh ich dann auch ne Menge. Also man kann nur dann einen guten Körper kriegen, wenn man seinen Körper das ganze Jahr unter Beobachtung hat - und wenn man sich wirklich die Zeit nimmt, das nicht künstlich beschleunigt. Wenn ich das Gewicht nicht so hochpusche. Was hab ich von so einem massiven Arm, wenn ich unter dem Fett die Form des Muskels nicht sehe und nicht weiß, was ich trainieren muss? Was soll ich mit Hügeln? Ich will mein Schlüsselbein sehen, das sehen die auch nicht. Sie trainieren blind darauflos, ohne zu sehen, obs harmonisch ausschaut. Und wenn sie das Fett dann runterhaben, schon viele Wochen vor dem Wettkampf, müssen sie das ja runterhaben, dann zeigt sich auf einmal, drunter ist eine eckige Schulter! Und was machen die dann, denn so können sie ja nicht auf die Bühne gehen? Es gibt da so Mittel, Kurzzeitdinger, die haun sich das in den Muskel rein, mit der Spritze. Und weils dann im Muskel eine Entzündung gibt, wird er rund. Sie stehen auf der Bühne und haben eine runde Schulter. Es gibt verschiedene Dinger zum Nachhelfen. Um eine Schulter rund zu trainieren, brauchst du aber Jahre, es ist einfach so!" Sie lacht. "Also ich muss sagen, es sind Welten zwischen denen und mir. Echt, das ist so! Die Einstellung zum Sport und besonders halt die Einstellung zum Körper. Viele Frauen zum Beispiel tragen Brustimplantate, die lassen sich fast alle operieren. Ich selbst bin auch schon angesprochen worden. Sie haben gemeint, ich soll mir doch Implantate reinmachen lassen, sonst werd ich den Punkt nie kriegen. Ich hab gesagt: Niemals! Nicht mal, wenn sie es mir zahlen. Ich hab schon immer kleine gehabt, und außerdem trainieren wir ja auf Gewebe mit geringem Fettanteil. Die Brust ist aber ein Fettgewebe, und das geht natürlich zurück.

Der Sport heißt ja Bodybuilding, Körperformung, eigentlich. Es geht um die Formung der Muskulatur und nicht um die Bewertung von künstlichen Einlagen mit einem Punkt. Und außerdem, wenn ich solche Dinges vorn hab, da geht ja die ganze Harmonie von dem Körper vollkommen flöten. Aber mir kann es ja egal sein, ich hab ja alle Titel gewonnen, die es zu gewinnen gibt. Ich kann vollkommen entspannt sein. Ich mach mein Training und schau in den Spiegel, täglich, oft", sie lacht, "von hinten, von vorne, von der Seite, mach bestimmte Posen, überprüfe, wies ausschaut. Dann nehme ich mir vor, na ja, machst vielleicht da noch was dazu, das willste noch ein wenig wachsen lassen, ein wenig runder haben.

Ich bin nie zufrieden! Also ich hab mir eigentlich ein bestimmtes Gewichtslimit selber gesetzt. Nur", sie lacht, "bei mir gilt auch: Sag niemals nie. Es würd mich schon interessieren, wie ich ausschau mit achtzig Kilo. Mich würds sehr interessieren, muss ich ehrlich sagen. Stimmt schon, ich bin eigentlich zu klein für achtzig Kilo." Auf die Frage, wo denn noch was wachsen könnte, sagt sie freudig: "Rücken, Oberschenkel." Sie steht auf und macht eine kleine Pantomime, sagt: "So geh ich dann - und hol mir einen Wolf. Aber trotzdem! Ich möchte einmal, für eine Woche nur, achtzig Kilo wiegen. Mal sehen. Allerdings, wer kauft mir dann die Klamotten? Ich habe ja jetzt schon Probleme, alles was ich habe, besitze ich in dreifacher Ausführung, für die verschiedenen Phasen bis zum Wettkampf dann. Und ab achtzig Kilo aufwärts, wer bringt mir da einen Schneider?

Aber im Grunde bin ich zuerst mal zufrieden mit dem, was ich bin, körperlich, geistig, psychisch. Ich bin mit mir zufrieden, dass ich das Trainingsprogramm gut durchgezogen habe, dass ich das Gewicht geschafft hab, und dass ich im Spiegel jetzt so ausschau, nach dem Training, wie ich ausschaun wollte. Die Muskulatur ist bis in die kleinste Muskelfaser durchtrainiert, das nennen wir aufgepumpt, und wenn man keine Fettschicht hat, dann spannt sich die Haut eben richtig drüber und man sieht diese einzelnen - wir sagen: Streifen. Die sieht man dann genau, und die will ich auch sehen." Wie bei einem anatomischen Modell eigentlich, bemerke ich. "Ja genau, könnte man sagen. Meistens geh ich dann herum und schau jemandem beim Training zu. Das genieße ich, wenn jemand einigermaßen gut trainiert. Und es ist ja so, der Körper braucht nach dem Training Ruhe, eine Stunde mindestens. Man muss trinken, nur Wasser. Nix essen, gar nix. Ich geh nicht mal duschen, weil ich nicht stinke. Ich lass den Körper einfach eine Stunde lang in seinem Schweiß in Ruhe. Und dann sieht man, die Haut ist richtig rosig, viel weicher. Das Gesicht vor allem. Weil beim Training, wie gesagt, da schau ich echt schlimm aus. Richtig hart im Gesicht, o ja! Aber wenn man diese Stunde Ruhe gibt, wird alles weicher. Danach kann man dann auch was zu essen machen und das Essen richtig genießen.

Also ich mach das nicht so, wie es die anderen machen. Die nehmen sich alle ihren Pott mit, sind gerade erst vom Training weg, stehen auf, rennen an die Theke, hocken sich vor ihren Pott und schaufeln das rein. Also die tun ihrem Körper nichts Gutes. Das ist körperliche Belästigung - eine Belastung hoch zehn. Oft gehe ich auch nach Hause, mach mit den Hunden einen Spaziergang bei uns oben, das ist auch Ruhe. Ich esse abends ziemlich spät noch mal, normalerweise so um halb elf. Also Kohlehydrate, Ballaststoffe, Vitamine, Mineralien, Eiweiß, zum Beispiel gemischtes Gemüse mit Ei und Ziegenkäs, oder Fleisch natürlich, unpaniert, dazu Reis, ist egal. Fisch mit Zitronensaft und Gemüse. So was essen wir abends. Ich rauche nicht. Und ich trinke keinen Alkohol, auch deshalb, weil Alkohol den Magnesiumspiegel beeinflusst, und den brauch ich ja wirklich, sonst krieg ich Krämpfe. Und wenn ich schlaf, dann immer auf dem Bauch, und leider etwas wenig, im Mittelmaß so fünf Stunden. Tagsüber kann ich nicht schlafen und einfach mal nur so rumsitzen, gar nichts machen, dazu bin ich nicht der Typ, leider, denn manchmal bin ich dann doch etwas schlapp."

Auf die Frage, wie es ist, wenn man so von der Norm abweicht, sagt sie entschieden: "Ich finde nicht, dass ich von der Norm abweiche, und wenn, dann mit meiner Einstellung, die ich hab. Und ansonsten also kleine Kinder, bis zur ersten Klasse oder so, hab ich festgestellt, die sagen: Schau mal Mama, ist das ein Mann oder eine Frau?", sie lacht, "oder im Sommer sind wir mal rausgefahren zum See. Jugendliche haben mich laufen sehn im Badeanzug, sind aus dem Weiher raus und haben gerufen: Hallo, hallo, Sie machen doch Bodybuilding?! Die sind mir nach und wollten unbedingt Armdrücken machen. Haben wir gemacht - ich hab sie auch mal gewinnen lassen. Oder die Jugendlichen im Studio, so zwischen elf und fünfzehn, die umringen mich manchmal und gucken, wie ich trainiere. Ich mach meine Übungen ja immer ganz intensiv, mit Konzentration und Ruhe, lass mich nicht aufhalten und nix. Das imponiert ihnen, das wollen sie auch so machen.

Aber es gibt natürlich auch die bösen Zungen. Im Studio wird manchmal getuschelt. Oft merk ichs. Oder so ein Pärchen kommt, Allgemeinbürger sag ich dazu. Da schaut sie erst ihn an, dann er sie, es wird gegrinst und getuschelt. Danach glotzen sie mir beim Training zu. Neulich hat mich mal eine Frau angemacht, das war der Hammer! Ich bin ins Studio rein, sie war schon da. Ich kenn die nicht, die ist neu, so ein junges Mädel, gut gebaut. Wie ich mit dem Training angefangen hab, da hat sie auf einmal aufgehört. Ich denk noch, was will die, weil sie hat dauernd hergeschaut. Die sitzt auf ihrem Gerät und hat eine Dreiviertelstunde nur hergeschaut, zu mir und meinem Mann. Der ist ja auch Athlet - wir haben sogar mal gleich ausgeschaut, er ist einmal mit siebzig Kilo auf die Bühne, ich hatte damals auch siebzig gehabt.

Na jedenfalls, das Mädel hat uns beobachtet, die ganze Zeit. Ganz komisch geschaut. Mein Mann hat gesagt: Du wärst schon lange gestorben, wenn Blicke töten könnten! Und wie ich dann fertig war mit dem Training, spricht sie mich an, vorn an der Theke: SagenS mal?! Wie kommt man zu solchen Muskeln. Was muss man da so alles nehmen?! Und ob ich mich weiblich fühle, meint sie zu mir. So richtig abfällig! Aber ich bin ja nicht verrückt, dass ich mich rechtfertige. Ich stelle Gegenfragen. Wie stellt sie sich denn Weiblichkeit vor? Darauf weiß sie nichts zu sagen, fragt mich aber, wie alt ich eigentlich bin. Ich sag, rechnen Sie halt nach, Baujahr 1961. Da hat sie zwei Minuten gebraucht und dann die Nase gerümpft. Und ich hab Konfektionsgröße 32/34, Taille unter sechzig, also zeigen Sie mir mal eine in dem Alter, die das hat! Da hat sie nichts drauf zu sagen gewusst. Und ich hab ihr auch erklärt, was weiblich ist: Also Weiblichkeit geht vom Kopf aus, von der Einstellung her, von den Bewegungen her, vom Ganzen her, wie man sich gibt. Wenn jetzt eine Oberweite hat und die Hosen hier unten, dass der Speck rausschaut, das heißt noch gar nichts, das heißt nicht, dass die Frau auch weiblich ist. Ob sie die Einstellung hat. Schauen Sie sich mal die Fußballerinnen an, wie die laufen, mit solchen Muskeln, was ist denn da weiblich?! Da war sie fertig und hat nichts mehr gesagt. Es ist doch wahr! Oder auch bei Ihnen, Entschuldigung, der Bart", sie fasst mich freundlich ins Auge, "was hat denn das mit dem zu tun, das hat doch auch nichts mit männlich und weiblich zu tun?! Das ist eine Einstellungssache!" "Außerdem ein Damenbart!", sage ich und alle lachen. "Ja eben", sagt sie, "einer hat auch mal zu mir gesagt: 'An deinem Arsch, da holt man sich blaue Flecken.' Was soll denn das, er meint, da hat er nichts zum Greifen! Hat er tatsächlich nicht, den würd ich nicht mal in meine Nähe lassen! Aber das geht nicht rein in diese Köpfe."

Auf die Frage, ob sie schon einmal gewalttätig geworden sei, sagt sie energisch: "Nein, nein, nie! Die Kraft hätte ich schon, klar, aber das liegt mir nicht. Mir geht es ja um ganz was anderes, ich bin kein aggressiver, brutaler Mensch, im Gegenteil. Mir geht es um den Wettkampf, um die Rangfolge, ich möchte die Beste sein. Und die bin ich ja auch. Wir können mal eben nebenan ins Büro gehen." Das kleine Büro beherbergt ihre Pokale. Groß, goldglänzend stehen sie auf ihren Marmorsockeln. "Das war eine besondere Serie, da darf nicht jeder teilnehmen, am Wettkampf um die Miss Universe. Der ist in England, das ist der berühmte Wettkampf, wo der Schwarzenegger damals Mister Universe wurde. Die Weltmeisterschaft hab ich danach gewonnen. Also in den USA oder so, da könnte ich mit dem, was ich kann und erreicht habe, richtig Kohle machen, ohne dass ich mich groß anstrengen müsste. In Deutschland kann man im Bodybuilding kein Geld verdienen. Und die Sponsoren, die wollen das Mittelmaß, weil sich das am bestern verkauft, weil sich jeder danach richten kann und sagen, na gut, so wie die ausschaut, das könnte ich auch schaffen, geh ich doch einfach in den Verein usw."

An der Wand hängen gut gemachte Bilder und Zeichnungen von Pferden. Von ihr selbst, sagt sie mit Stolz. Im Keller zeigt sie uns einen Ständer mit winzig kleiner Wettkampfbekleidung, den Posing-Bikinis. Wieder oben am Tisch sagt sie: "Ich wollte schon immer die Beste sein. Und überall auf der Bühne, wo ich starte, bin ich die Beste. Das ist einfach so. Die Leute denken immer, Bodybuilding ist eine Sparte. Es gibt aber so viel verschiedene Kategorien, und in jeder Teilkategorie gibts halt 'die Beste'. Und wie gesagt, die Rangordnung ist mir sehr wichtig, sonst würde ich das nicht machen. Ich starte ja für verschiedene Verbände. Ich mache immer solche Wettkämpfe aus, wo ich denke, dass es echt einen Reiz gibt. Der letzte in Frankreich war super. Im Herbst 2007 hab ich was abgesagt, weil die Richtlinien nicht feststanden. Da kommen halt die Athleten und die Richtlinien werden nachgereicht. Man bereitet sich ja vor. Was soll ich da?!"

Nun möchten wir noch ein bisschen was zur Biografie wissen. "Was ist mit Mana und Papa, haben die das noch erlebt?" "Die sind tot. Mein Vater, der hat noch die Anfänge erlebt. Der war stolz. Er hat sich die Bilder ins Wohnzimmer gehängt, von den Wettkämpfen. Da haben wir ihm so ein bissl eine Collage gemacht, in Riesenrahmen, mit allen möglichen Posing-Bildern, Wettkampfbildern, halt so gemischt. Er war ja KFZ-Mechaniker, meine Mutter war später beim Finanzamt. Ich hab noch eine Schwester, die ist ganz anders. Aufgewachsen bin ich ja in Bayreuth, aufgewachsen und in die Schule gegangen. Bin teilweise bei den Großeltern gewesen. Die Oma war Metzger, hat aber viel genäht, und der Opa beim Kurier. Und ich hab dann ja den ganzen Leistungssport gemacht als Kind und Jugendliche, aber ich hab auch gern Musik gemacht, hab Gitarre gespielt, Trompete, Flöte und Mundharmonika, nur Schlagzeug durfte ich nicht. Ach, ich hab so viel gemacht, war als Schülerin bei den Bayreuther Festspielen, als Statist zum Geldverdienen. Ich wäre vielleicht gerne Sportlehrerin geworden, aber zur Sportlehrerausbildung, da brauchte man Mathe. Und Mathe, das wollte ich absolut nicht. Obwohl ich gute Noten sonst hatte, also nix schlechter als drei. Aber ich hab mich halt lieber bewegt, draußen, hab lieber da mit Buben gespielt, bin auf die Bäume gestiegen, im Bach herum.

Dann war ich viel bei den Pferden. Ich hab mir die Reitstunden selbst verdient - ich war immer sehr selbstständig. Ich habe den Stall ausgemistet, Feldarbeit gemacht, die Strohballen auf den Hänger geworfen, das ist eine Heidenarbeit früher noch gewesen. Aber ich durfte reiten, die Pferde von den Geschäftsleuten, weil ich eine gute Reiterin war. Damals schon. Sieben Jahre war ich in dem Reitstall. Bin Turniere geritten, alles. Dann war ich ein einem Privatstall, hab für den Besitzer Pferde eingeritten, die der gekauft hat. Dort hab ich auch alles gemacht, sogar Kutschen eingefahren. Das erste Mal, wie ich eingespannt hab, als Zweiergespann, da sind die mir durchgegangen", sie lacht, "ich habs aber hingekriegt. Mit Pferden muss man ruhig reden, ich hatte auch nie beim Einreiten eine Peitsche oder irgendwas, ich hab immer nur mit einer ruhigen Stimme gearbeitet. Ich hätte ja Jockey werden können. Ich hatte 52 Kilo, bis 55 darf man. Der Reitlehrer hatte das vorgeschlagen. Die Ausbildung dazu war aber auswärts und deshalb durfte ich leider nicht.

Ich habe dann mal kurz im Auge gehabt, einen Friseurladen aufzumachen, zusammen mit meinen Kumpels, die auch Friseur gelernt hatten. Die waren in derselben Klasse wie ich und mit im Reitstall. Wir haben überlegt, aber wegen der Allergie bei mir und überhaupt, haben wir dann doch mehr zum Sport tendiert. Ich hab ja viel ausprobiert, Schwimmen, Reiten, Rollschuh- und Eiskunstlauf, Boxen mal so nebenbei, oder ich hab auch in einer Näherei gearbeitet für Sportklamotten, da habe ich ruckzuck Sachen genäht, und am Wochenende war ich als Model auf der Modenschau für Sportsachen. Aber ich musste dann dort weg, weils böses Blut gab. Ich habe gekündigt. Ja und dann bin ich in die Fitnessbranche als Trainerin - heute übernimmt so was ja das Arbeitsamt, damals noch nicht. Und seit 1987 mache ich eben Bodybuilding, so ist das alles gekommen. Auf meiner Internetseite kann man sich dazu auch noch was angucken.

Ich hab mir meinen Tag jetzt so eingeteilt, dass ich trainiere, Trainingsstunden gebe und nebenbei eben schreibe, also das sind so Geschichten, die ich im Lauf der Zeit so beobachte, auch was mich betrifft. Ich habe ja schon ein Buch geschrieben über Ernährung, das ist aber nicht mehr lieferbar. Ich hab meine Hunde, meinen Haushalt, ich hab viele Interessen. Also ich hab mir vorgenommen, Wettkampfbodybuilding werde ich in dem Moment aufgeben, wo das mit der Platzierung nicht mehr stimmt. Trainieren kann ich ja bis ich 70 bin, mindestens. Das Schlimmste wäre, wenn ich nicht mehr trainieren könnte aus irgendwelchen gesundheitlichen Gründen."

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