Zu Besuch auf einer Roma-Verlobung: Ein ganzes Viertel feiert
Monatelang haben Marcels Eltern auf seine Verlobung gespart. Unsere Autorin hat das Verlobungsfest im rumänischen Craiova besucht.
Der Tag der Verlobung ist da. Puiu Bălteanus Sohn und Matei Luscas Tochter sollen ein Paar werden. Zweihundert Gäste, vielleicht mehr, versperren die Straße am Rand von Craiova. Im Süden Rumäniens liegt die Stadt. Die Männer bilden einen Kreis, einige mit Bier in der Hand. In ihrer Mitte tanzen die Frauen, jede mit einer roten Rose im Haar.
Die Tanzschritte sind simpel: einmal rechts, einmal links. Wird die Musik schneller, werden die Schritte schneller. Freudenausbrüche. Lachen, Klatschen. „Jujuju.“
Immer wieder wirbeln die Frauen beim Tanzen den Straßenstaub auf. Dann wischen sich die Tanzenden mit den Händen übers Gesicht. Kinder rennen umher, spielen, schreien. Kleine Mädchen stecken in Abendkleidern, auch sie geschminkt. Eine alte, dicke, rauchende Frau, den Kopf bedeckt, verkauft Bonbons und rot karamellisierte Äpfel für 1 Leu und 30 Cent.
Das Viertel, in dem die Verlobung stattfindet, heißt Romaneşti. Roma wohnen hier. Kleine Backsteinhäuser, manchmal auch größere, mehrstöckige reihen sich entlang der lehmigen Straße.
Die Musik ist laut, von Weitem zu hören. Zehn Verstärker sind um ein Podest gestellt, auf dem Marian Universalu tanzt und singt. Er ist einer der besten Unterhalter aus Craiova, der oft bei Roma-Hochzeiten aufspielt. 2.500 Euro hat der Vater des Bräutigams dem Mann dafür bezahlt. Marian Universalu unterbricht ab und zu seinen Gesang, um Widmungen vorzutragen. „Lang lebe das Brautpaar!“ „Ein Hoch auf Puiu, den großen Schwiegervater!“ „Die Schönheit der Schwiegermutter überstrahlt alles. Sie hat nicht umsonst gewartet“. Wer eine Widmung anbringen will, muss dem Sänger extra Geld geben.
Im Autokorso, jede Karosse mit Blumen geschmückt, sind Puiu, seine Frau Marinela und Marcel, ihr ältester Sohn, sowie die Verwandten frühmorgens aus Băileşti, einer Nachbarstadt, zum Haus der Braut gekommen. Siebzig Kilometer die Strecke. Eine Stunde dauerte die Fahrt.
Jetzt ist schon Mittag. Die Sonne treibt Schweiß auf die Haut der tanzenden Frauen. Sie bewegen ihre Arme nach oben, nach unten – sie zeigen dabei immer wieder auf Raluca, die Braut, in ihrem üppigen, weißen Kleid, die in der Mitte des Kreises steht. Sie ist 16 Jahre alt, ihre Haare sind blond gefärbt, lang und wellig reichen sie über die Schulter; eine Krone mit Brillanten steckt auf ihrem Kopf. Ihr unbewegtes Gesicht leuchtet in der Sonne. Sie spricht nicht. Sie tanzt kaum. Sie lächelt nicht. Eine Statue. Madonna.
Das alte Backsteinhaus, in dem die Braut aufgewachsen ist, ist gelb gekalkt. Es hat zwei Zimmer. Dort lebte Raluca bis jetzt mit Mutter, Schwester, Großmutter und mit dem Bruder samt dessen Familie. Ihr Vater ist lange tot.
Im Hof steht ein Tisch
Im Hof steht ein Tisch mit einer Bank. Ein Mann schenkt Fassbier aus. Die wenigen Gläser werden gesammelt, in einem Wasserkessel gespült und neu verwendet. Essen wird nicht aufgetischt.
Mitunter laufen Hühner gackernd über den Hof. Die Großmutter jagt sie zurück in den Stall. Die über 80 Jahre alte Frau passt auch auf, dass der Wind das Tischtuch nicht wegweht. Sie legt winzige Steine, die sie im Hof findet, darauf. Dann verschwindet sie im Haus und stellt sich hinter die weiße Gardine, die an der Eingangstür hängt. Nach kurzer Zeit kommt sie wieder heraus, um die Hühner erneut zu verscheuchen.
Ein Lattenzaun begrenzt den kleinen Hof; der Gartenflieder, der am Zaun wächst, duftet.
Marcel, der Bräutigam, ist 17 Jahre alt. Er war schon einmal verheiratet, die Frau ist aber zu einem anderen Mann gegangen. Nun verlobt er sich wieder mit einer Jungfrau. Er trägt schwarze Hosen, schwarz lackierte Schuhe, ein dunkelrotes Hemd und einen Blazer in derselben Farbe. Die Frauen haben ihm eine große, weiße Rose ans Revers geheftet, und sein Pate hat ihm zwei Hundert-Lei-Scheine ans rote Jackett gesteckt. Manchmal tanzt er neben Raluca, manchmal sitzt er bei den Männern, manchmal tanzt er einen Männertanz mit sehr schnellen und hüpfenden Schritten. Er lacht.
Die Patin des Paares ist dick. Trotzdem ist sie wendig, springt dahin, dorthin, ist überall. Sie trägt ein glänzendes Kleid und auf dem Kopf eine Krone; in den roten Haaren steckt die Rose.
Der Pate wiederum, zu erkennen an seinem rot-weiß-schwarzen Schal, ist schlank. Er tanzt und klatscht im Rhythmus der Musik in die Hände. Paten sind die geistigen Eltern des Paares. Darauf angesprochen, warum seine Rolle so wichtig ist, zuckt der Pate jedoch mit den Schultern. Er vermutet, es habe mit der Jungfräulichkeit der Braut zu tun, und er stehe dafür, dass es so ist.
Der Tanz stoppt
Der Tanz stoppt. In die Mitte der Menge wird ein Tisch gestellt. Die Paten und das Brautpaar steigen darauf. Der Patin wird ein großes rundes Brot gegeben. Sie hält es über die Braut, und fährt dreimal damit um Ralucas Kopf. Dann zerrupft sie es und wirft die Teile in die Menge. Alle heben die Hände, um ein Stückchen Brot aufzufangen. „Wer davon isst, hat Glück für den Rest des Jahres“, erzählt eine Frau. Der Pate hat eine Flasche Sekt in der Hand, die er schüttelt, öffnet und in die Menge spritzt. Dann schenkt er Raluca und Marcel ein Glas davon ein. Sie trinken.
Neben den Paten gelten Puiu, 34 Jahre, und Marinela, zwei Jahre jünger, als wichtige Akteure. Sie heißen: die „großen“ Schwiegereltern – groß, weil sie die Eltern des Bräutigams sind. Ihre Freude ist riesig, denn Marcel ist ihr einziger Sohn. Ihre Schwiegertochter wird sich um sie kümmern, wenn sie alt sind.
Auf diese Verlobung haben Puiu und Marinela, die Brauteltern, lange gewartet. In Berlin haben sie über Monate hinweg in Abbruchhäusern, die sie „verlassene Orte“ nennen, gelebt und Obdachlosenzeitungen verkauft, um Geld zu verdienen. Sie haben es gespart, damit sie die Braut für ihren Sohn bezahlen können. „So ist unsere Tradition, die Frauen werden bezahlt“, sagt Puiu.
Weil der Vater von Raluca tot ist, haben Puiu und Marinela mit Ralucas Bruder und ihrer Mutter gesprochen, die dafür, dass sie das Mädchen großgezogen hat, 10.000 Euro verlangte. „Insgesamt habe ich 15.000 Euro für diese Verlobung ausgegeben. Ich habe mich bis über den Kopf verschuldet. Hauptsache, die Braut ist gut und brav“, sagt Puiu. Ihm gefällt sie nicht so. Sie sei zu dünn. Sie esse kaum. Er denkt, sie könnte krank sein.
Marcel ist auch nicht begeistert
Marcel ist auch nicht besonders begeistert. Er denkt immer noch an seine erste Frau. Aber Marinela ist tief zufrieden mit der Schwiegertochter. Sie gehorche ihr: „Sie ist brav und gut“, sagt Marinela. Nach der Verlobung will Puiu mit der Familie wieder zurück nach Berlin, um zu betteln und zu arbeiten, damit er die Schulden zurückzahlen kann.
Ralucas Mutter Lucsa ist älter, über 40, genau weiß sie es nicht. Sie trägt ein weißes, mit Blumen bedrucktes Kopftuch, einen einfachen Pullover und einen langen Rock. Sie lächelt nicht, sie schreit nicht, sie tanzt. Keiner hat ihr eine Widmung geschenkt. Wohl aber dem „kleinen“ Schwiegervater, Ralucas Bruder. Wenn er hört, wie er über das Mikrofon in seiner Rolle angesprochen wird, steigen ihm Tränen in die Augen.
Puiu sagt, Ralucas Bruder hätte viel zu viel für die Schwester verlangt, angesichts dessen, dass sie aus einer sehr armen Familie komme, aber Marinela wollte das Mädchen, und so haben sie sich doch geeinigt.
Es ist bereits später Nachmittag. Die Braut an der Hand einer Verwandten und der Bräutigam machen sich auf den Weg zum Haus eines Schwagers von Puiu. Raluca läuft schnell. Marcel macht große Schritte, um hinterherzukommen. Dem Brautpaar folgen alle Frauen. Die Männer dürfen nicht mit. Sie bleiben bei der Band und warten, bis die Frauen zurückkehren.
Der Hof des Schwagers ist größer; eine Kutsche steht am Rand, Pferde sind nicht zu sehen. Das Haus ist nicht so ärmlich. Es gibt ein Schlafzimmer, wo Raluca und Marcel jetzt miteinander schlafen sollen.
Für Raluca ist es das erste Mal
Für Raluca ist es das erste Mal. Sie lächelt nicht, sie weint nicht. Sie zittert nicht. Marcel verzieht ebenfalls keine Mine. Sie verschwinden hinter der Tür. Die beiden kennen sich kaum. Sie haben fast kein Wort miteinander gesprochen.
Mit dem Brautpaar treten die Patin, Marinela und weitere Frauen ein. Sie müssen die Braut ausziehen und sie für den Bräutigam zurechtmachen. Dabei wird Raluca ein weißes Nachthemd übergezogen.
Draußen, neben der Tür bleibt Ralucas Mutter. Sie schaut zu Boden, hört sich an, was die anderen Frauen sagen. Ein Kanne mit frischem Wasser wird auf einen kleinen Tisch in der Mitte gestellt. Einige trinken, andere zünden sich Zigaretten an. Sie fangen an zu erzählen, wie es für sie das erste Mal war. Witze werden gemacht, es wird gelacht und durcheinander geredet, es wird lauter und lauter.
„Eine Stunde ist vergangen, und sie sind noch nicht fertig“, schreit eine. Eine andere erklärt, was die Frau machen sollte, um es schneller voranzubringen. Eine macht sich über den Bräutigam lustig: „Vielleicht ist er eingeschlafen.“
Der Pate kommt vorbei, etwas beunruhigt, weil es so lange dauert: „Das arme Paar wird nie fertig, wenn ihr hier so laut quatscht“, schreit er. Er will ins Haus, um zu sehen, was los ist. „Fast zwei Stunden sind vergangen. Das kann nicht sein“ sagt er, geht rein, wird aber gleich wieder weggeschickt.
Einige Frauen gehen auf die Straße und kaufen sich an einem Kiosk Kaffee und Eis. Einige bleiben im Hof. Es ist leiser geworden. Eine Weile. „Wir wollen das so“, sagt eine der jungen Frauen.
Plötzlich Geschrei
Plötzlich ist Geschrei zu hören. Eine fragt, was dies zu bedeuten habe. „Die Braut, vielleicht weint sie“, antwortet eine andere. Das Geschrei wird noch lauter, und die Patin tritt aus dem Haus, in der Hand das Nachthemd. Sie hebt es hoch. Darauf sind rote Flecken zu sehen. Auch die anderen Frauen, die im Haus waren, kommen raus. Alle schreien und lachen. Die Mutter von Puiu wiederholt ein paarmal: „So ist unsere Tradition. So ist unsere Tradition.“ Auf der Straße schenkt sie den Frauen Sauerkirschlikör in Schnapsgläsern aus. Alle trinken und warten, bis das Brautpaar kommt. Zuerst tritt Marcel auf den Hof, dann Raluca. Er lacht, Raluca arrangiert ihre Haare, ihren Rock. Sie lacht nicht, sie lässt ihre Lider sinken.
Tanzend ziehen die Frauen wieder die Straße hoch zum Fest. Vorne geht Raluca. Beim Gehen hält sie ihren Rock an den Seiten mit beiden Händen. Auf dem Rock steckt jetzt eine große rote Blume. Sie guckt auf ihre Schritte. Neben ihr tanzt die Patin, das Nachthemd schwenkt sie über ihrem Kopf. Marcel folgt der Schar auf dem Bürgersteig. Neben ihm andere junge Männer. Sie stellen Fragen, wie es war. Marcel antwortet nicht, er lächelt.
Zurück bei Ralucas Haus, stimmt der Sänger, ein neues Lied an: „Hoch, Braut, Hoch! Weil du uns nicht lächerlich gemacht hast!“ Männer und Frauen geben sich die Hände und tanzen nun gemeinsam. Hinter dem Brautpaar tanzt Marinela. In einer Hand hat sie eine Flasche Campari. In der anderen hält sie den spitz zulaufenden Saum von Marcels Blazer und Ralucas weißen Rock. Dann knotet sie beides zusammen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“