Zoomer.de-Chefredakteur über sein Portal: "Wir sind keine Versuchsstation"
Bei zoomer.de entscheiden die User selbst über die Relevanz von Nachrichten. Als reine Experimentierstation will Chefredakteur Frank Syré das Portal nicht verstanden wissen.
taz: Herr Syré, wer ist Ihr Chef?
Frank Syré: Stefan von Holtzbrinck.
Wir dachten, Ihr Chef sei der User?
Die User sind Mitgestalter und Mitarbeiter.
Im Februar ging das Holtzbrinck-Nachrichtenportal für die Jugend online. Ein Herausgeber ist, wie der Tagesspiegel (Holtzbrinck) enthüllte, Ulrich Wickert (65). In die Entwicklung hat der Konzern mehrere Millionen Euro investiert. Die Zielgruppe ist der des Netzwerks StudiVZ (Holtzbrinck) vergleichbar: 15- bis 35-Jährige. Sie entscheiden über die Prominenz eines Beitrags mit: Je mehr Punkte er hat, desto höher wird er platziert. Und sie reden auch beim bevorstehenden Relaunch mit. 40 Redakteure arbeiten für zoomer.de, bedienen aber auch andere Holtzbrinck-Seiten wie tagesspiegel.de und zeit.de. Zoomer.de hatte zuletzt bei der offiziellen IVW-Ausweisung 4,5 Millionen Visits und 9 Millionen Page Impressions pro Monat. Derzeit plant die Seite einen Relaunch.
Sie spielen also eine wichtige Rolle in der Gestaltung von zoomer.de?
Ja, sie spielen eine wichtige Rolle im Tagesgeschäft, indem sie uns sagen, welche Themen wichtig sind und welche Themen unwichtig. Und sie spielen eine wichtige Rolle in der Weiterentwicklung von zoomer.de, weil wir natürlich versuchen, die Wünsche der User aufzunehmen und umzusetzen.
Ist die Einbindung der User die Zukunft für Onlinemedien?
Ich glaube ja, weil das Internet von jeher ein demokratisches Medium und ein Dialogmedium war und jetzt mit dem Web-2.0-Hype dahin zurückfindet - raus aus der zumindest gefühlten Dominanz der Medien, denn das Internet ist ja viel größer als die Medien, die darin stattfinden. Jetzt wird die Uhr wieder zurückgedreht: Nichts geht, ohne dass man einen Dialog führt. Der Dialog gehört zur Internetnutzung.
Funktioniert der Dialog? Die letzten Zahlen zeigen, dass Ihre Nutzer durchschnittlich nur für zwei Klicks bleiben.
Wir haben ein Problem damit, dass viele User nicht, wenn sie in einem Thema drin sind, noch einmal auf andere Angebote weiterklicken. Aber wir sitzen gerade an einem Redesign und werden einige Sachen verändern. Zum einen Sachen, die die User gewünscht haben, zum anderen Sachen, bei denen wir selbst sehen: Das funktioniert nicht.
Zum Beispiel die Auflösung der Einteilung in Ressorts wie Politik, Wirtschaft, Kultur? Man könnte eine gewisse Unübersichtlichkeit beklagen.
Wir werden auch nach dem Relaunch dabei bleiben, nicht mit Ressorts zu arbeiten. Wir werden aber Funktionen einführen, die eine andere Navigation zulassen.
Aber warum keine Ressorts?
Ressorts kommen daher, dass man eine Zeitung mit 32 Seiten hatte. Den Platz musste man verteilen. Dann wurden Strukturen geschaffen, nach denen sich die Verteilung richtete. Nur kann man so eben nicht auf den Tag reagieren und kurzfristig festlegen: Heute brauchen wir drei Seiten Wirtschaft, aber nur eine Seite Sport. Im Internet geht das, daher ist die Ressortaufteilung hinfällig. Im Internet kann man auf Relevanz, auf Tagesaktualität reagieren. Natürlich brauche ich einen Wirtschaftsspezialisten - aber wenn Wirtschaft an einem Tag kein Thema ist, dann muss er nicht eine Seite mit Wirtschaftsthemen vollschreiben, sondern kann sich stattdessen um wirtschaftliche Aspekte der Olympischen Spielen kümmern und damit die Sportkollegen unterstützen. Und wenn im sportlichen Bereich nichts Berichtenswertes los ist, kann ein Sportkollege eine Fotostrecke erstellen, ein Video produzieren oder eine Audio-Slide-Show machen. Dafür sind Journalisten ja Generalisten, dass sie auch andere Themen bearbeiten können und handwerkliche Abläufe beherrschen.
Die Auflösung der Ressorts setzt auch veränderte Lesegewohnheiten voraus. Aber wollen manche User nicht gezielt als Erstes den Sport- oder Kulturteil lesen?
Darin liegt, glaube ich, die Fehleinschätzung. Wir bieten Themen an und sagen: Die, die nicht interessieren, liest du einfach nicht. Und so werden andere Themen auf der Seite wichtiger. Wir machen aber ein 360°-Nachrichtenportal.
Es gibt bei zoomer.de auch die Möglichkeit, den Nachrichtenfluss zu personalisieren, eine auf die eigenen Interessen abgestimmte Nachrichtenseite einzurichten. Das klingt nach der Fragmentierung von Öffentlichkeit.
Das ist ein Angebot. Ab einem bestimmten Punkt ist das Nachrichtenportal ein Interessenportal. Das Internet ist eine riesige Informationsquelle. Und wir wollen es so schaffen, uns als Site zu etablieren, die ein gutes Sprungbrett ins Internet ist.
Ist zoomer.de eine Versuchsstation für den Holtzbrinck-Verlag, um herauszufinden, wie man sich im Internet aufstellen muss?
Wir sind keine Versuchsstation. Wir wollen Internet lernen. Auch für den Konzern. Da sollen auch Ideen rauskommen, die sich bis zu den Regionalzeitungen hin fortpflanzen.
Also sind Sie doch eine Experimentierstation.
Wir entwickeln Dinge, die den Konzern inspirieren sollen. Aber entscheidend ist, dass wir auch allein im Markt funktionieren und am Markt bestehen können.
INTERVIEW MEIKE LAAFF UND KLAUS RAAB
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!