: Zinsgipfel-Suche
■ McCASH FLOWS ORAKEL
Nicht Ereignisse, sondern die Erwartung von Ereignissen spielen an der Börse die entscheidende Rolle. Dieses antizipative Moment lies sich zum Wochenbeginn am bundesdeutschen Aktienmarkt wieder einmal beobachten. Auf das „historische Wochenende“ von Kohl und Genscher in Moskau, den offiziellen Segen des Kreml zur deutschen Einheit, reagierte die Börse nicht mit einem neuen Boom nach oben; den „großen Durchbruch“ hatten die Aktienkäufer längst berücksichtigt. Der tatsächliche Eintritt des Ereignisses konnte da keine Phantasie mehr wecken, die Kurse fielen am Montag und lagen am Ende 5 Prozent unter dem Höhepunkt von Anfang Februar. Die Ausländer standen diesmal sogar auf der Angebotsseite: In London, hieß es auf dem Parkett, werde der deutsche Markt mittlerweile als ausgereizt angesehen und deshalb zum Verkauf geraten. Wenn sich diese Meinung auch in Japan und USA durchsetzen sollte, steht dem DAX eine größere Talfahrt bevor.
Allerdings wurde zum Wochenbeginn in Frankfurt eine verstärkte Nachfrage inländischer Adressen registriert. Offenbar ist man dort zur Ansicht gekommen, daß es mit den stetig kletternden Zinsen jetzt langsam ein Ende hat, was ein Signal für eine neue Hausse am Aktienmarkt bedeutet. Bleiben die Abstriche am Zinsniveau aber aus, geht es gar weiter so kräftig nach oben wie in den letzten Wochen, schippert der Finanzplatz Bundesrepublik langsam in eine bedrohliche Lage. Bei Zinsen von 9 Prozent oder darüber wird nicht nur die Investitionsfreudigkeit der Großindustrie gebremst, auch im Mittelstand und beim privaten Häuslebauer beginnt die Finanzierung an allen Ecken und Enden zu knirschen. Die Unsicherheiten um die Währungsunion haben auf dem Anleihen-Markt zu einer Verkaufswelle aus dem Ausland geführt, und die Umlaufrendite kletterte auf über 8,5 Prozent, die höchste seit sieben Jahren. Das Ende der Fahnenstange ist damit immer noch nicht erreicht, meinen die Rentenhändler. Wenn sie recht behalten, können die Optimisten des Aktienmarkts nur falsch liegen.
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