: Zimteis und Bärenbecher
■ Dem Gelatelisten ein Greuel und trotzdem lecker: schleswig-holsteinisches Eis garniert mit erstklassigem Ausblick auf den Aldi Von Rainer Glitz
Im Geiste sitzt man ja eigentlich irgendwo südlich der Alpen, wenn unsereins im Eis-Café sitzt und mit dem langen Löffel im Amarena-Becher herumstochert; denkt an kleine Tischchen und Stühle im Stil der 50er Jahre und an nach Geheimrezepten selbstgemachtes Stracciatella-Eis. Und dann kommt da ganz unkonspirativ in Altona ein Eis-Lädchen daher, das sich zum Grauen der echten Gelatisten „Eis-Meyer“ nennt und genau an der idyllischen Kreuzung von Max-Brauer-Allee und Holstenstraße seine Verkaufstüren geöffnet hat.
Im weißgekachelten Eisladen – flankiert von einem griechischem Restaurant und einer verwaisten Änderungsschneiderei – gibt's zwischen penibel geputzter Eistheke und Zigarettenautomat gerade genug Platz, um im Stehen ein Milchmixgetränk zu schlürfen. Hinter der Theke thront auf den weißen Ikea-Einbauschränken die Milchshake-Maschine und eine Batterie Likörflaschen. Darüber preist eine beleuchtete bunte Tafel die minus 16 Grad kalten Spezialitäten an: Der Bärenbecher zum Beispiel, eine Kalorienbombe aus sieben Kugeln Eis mit Schokoüberzug, Krokant und Sahne für siebenfuffzig. Uff.
„Die Leute setzen sich trotz des Verkehrs draußen hin, besonders seit wir die Sonnenschirme haben“, klärt Mitinhaberin Petra Weber auf. Die Plastikbänke vor dem Laden bieten tolle Aussichten auf die Kreuzung und den Aldi gegenüber.
Seit 1927, verspricht ein Schild über dem Eingang blau auf weiß, doch das Lokal ist eine Neugründung. „Irgendwie haben wir uns in den Kopf gesetzt, was eigenes aufzubauen“, erklärt Petra Weber bei der Zubereitung einer Portion Spaghetti-Eis. Im April beschloß die einstige Schuhverkäuferin, zusammen mit ihrem Lebensgefährten Claus Hintsch den leerstehenden Lotto- und Totoladen zu mieten. „Unsere Nachbarn hatten die Idee mit dem Eis“, erzählt sie, „hier auf der Ecke gibt es sonst ja nichts“.
Das war leichter gedacht, als gemacht: Speiseeis selbst herzustellen, überforderte die Quereinsteiger finanziell wie fachlich. „Industriespeiseeis kam gar nicht in die Tüte“, so Claus Hintsch. Der Zufall verschlug sie dann ins schleswig-holsteinische Wrist. Hier produziert der nach dem Firmengründer benannte Kieler Familienbetrieb Meyer sein Eis. In der Fabrik stellen die sechs Angestellten täglich bis zu 1000 Liter Milchspeiseeis ohne Konservierungsstoffe und nur mit frischen Früchten her. Angeliefert wird in Alucontainern, die alle drei bis vier Tage gegen die leeren Behälter ausgetauscht werden. „Müllvermeidung ist uns sehr wichtig“, sagt Hintsch. Alternativ zum Pappbecher gibt es auch Tüten und eßbare Becher aus Waffelteig. „Eine Kundin kommt extra aus Wedel, um hier Zimteis zu essen“, sagt Petra Weber. Weitere Saison-Renner sind Stracciatella, Nuß und Eierpunsch.
„Wir werden keine Millionäre werden“, grübelt der frühere Hüttenfacharbeiter Claus Hintsch über die Zukunft nach, „aber im nächsten Jahr erwarten wir ein tierisches Umsatzplus“. Denn schon jetzt kommt über die Hälfte der KundInnen, die meist im Viertel wohnen, regelmäßig zum Klönschnack ins norddeutsche Gelati-Cafe. Und wenn das Wochenblatt beim nächsten Mal in der Anzeige die richtige Adresse abdruckt, wird es auf den Bänken am Straßenrand vielleicht bald eng. Übrigens: Das Eis ist wirklich lecker – trotz der Plastiklöffel.
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