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Zielwurf mit Bohnensäckchen

■ Leistungstest der Senioren beim Deutsches Turnfest 1990: „Bewegung statt Lethargie“

Bochum (taz) - Die wahren Helden des Turn- und Sportfestes, sie findet man fernab des bunten Treibens rund um die Sportstätten Dortmunds und Bochums. Ausnahmsweise sind es einmal nicht die jungen Hüpfer in den knallengen, poppig gestylten Radlerhosen, mit großen Olympiaträumen in den Köpfen, die das Bild im Bochumer Stadtpark prägen.

In der grünen Oase der Stadt treffen sich Sportler ganz anderer Art. Es sind Männer und Frauen, allesamt über sechzig Jahre alt, die zum wiederholten Male zu einem Turnfest reisten, um den Leistungstest der Senioren zu bestehen. Dem hohen Alter der noch immer agilen Athleten angepaßt ist der zu bewältigende Sportparcours. Weder klassische Sportgeräte der Turner wie Reck oder Barren finden sich dort, noch läßt sich der obligate Kampfrichter blicken.

Die acht Übungen, die die Senioren in einer Art Circle -Training ohne Zeitlimit zu bewältigen haben, sind allerdingst selbst eingefleischten Turnfreaks kaum bekannt. Wer weiß schon mit der Disziplin „Zielwurf mit Bohnensäckchen in einen Reifen auf fünf Meter Entfernung“ etwas anzufangen? Diese Wettkampfform bildet den Auftakt zu einem Wettstreit, der es in sich hat. Der Test ist beliebt: Tausend Senioren eifern täglich um die Wette und um die Belohnung. Gut und gern neunzig Prozent der Teilnehmer erhalten schlußendlich den verdienten Lohn für die schweißtreibende Mühe in Form einer Plakette des Turnerbundes, die fortan um den Hals bändelt.

Doch gerade die inflationäre Medaillenflut bereitet den Organisatoren derzeit das meiste Kopfzerbrechen. So gingen die Vorräte an Auszeichnungen schnell zur Neige, die ehrgeizigen Turnerinnen und Turner mußten einstweilen vertröstet werden. Indes, der Boom der Senioren hält an. Und dabei ist der Test beileibe keine einfache Angelegenheit. An den bereits erwähnten Zielwurf schließen sich nahtlos diverse andere Übungen an. So hat der betagte Athlet auf einem schmalen Balken zu balancieren, ohne herabzufallen, eine Reaktionsschulung zu meistern, in der ein fallender Stab möglichst im ersten Drittel mit einer offenen Hand erfaßt werden muß. Hüpf-, Spring- und Geschicklichkeitsübungen vervollständigen den nicht alltäglichen Test. Die eifrigen Turner beenden mit einer Wanderung über vier Kilometer einen Tag, der wieder einmal veranschaulichte, daß Sport nicht nur jungen Menschen etwas bringt.

Man ist sogar geneigt zu behaupten, daß der Leistungstest der Senioren den vitalen Beweis dafür liefert, daß ein Sportfest ohne die neuen Alten nur die Hälfte wert ist. Anneliese Günther, eine 72jährige Dame aus Bochum, die bereits das letzte gesamtdeutsche Turnfest in Breslau 1938 erfolgreich bestritt, bringt es auf den Punkt: „Wir Älteren wollen nicht im Abseits stehen, vielmehr durch diesen Test den Senioren Mut geben, selbständig und aktiv zu bleiben, statt in Lethargie zu verfal len.“

Zweifelsohne bietet das gemeinsame Bewegen der Glieder bis in das hohe Alter hinein eine willkommene Alternative zum Alleinsein. Nicht nur deshalb stehen die Rentner in Sachen Geselligkeit den Jungen in Nichts nach. Seniorentanznachmittage, offenes Singen bei Kaffee und Kuchen, die nach dem Sport angesagt sind, erinnern zwar stark an das Altenheimambiente, indes bis zum nächsten Turn und Sportfest 1994 in Hamburg wollen die Senioren dort bestimmt nicht landen.

Torsten Haselbauer

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