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Zielstreber und andere Autisten ■ Von Wiglaf Droste

Sie laufen durch die Welt, als würden sie dabei gefilmt. Oder – wenn es unverschämterweise schon kein anderer tut – als filmten sie sich selbst und sähen sich dabei gleichzeitig die Filmmuster an. Sie erklären sich für hip und sind bloß Streber. Zielstreber.

Wichtig eilen sie in die Agentur, in den Sender, ins Studio, in die Redaktion. Sie brauchen keinen wirklichen Spiegel, um sich im Spiegel zu betrachten, wo immer sie sind. Was nicht aus derselben Stanze kommt wie sie, behandeln sie mit Blasiertheit. Was nicht gleich ihnen deformiert ist, finden sie ekelhaft.

Wer ihren selbstverliebten Autismus stört, sei es durch Abweichung von ihrer Norm oder durch bloße Anwesenheit, macht sie wütend. Richtig ehrlich sauer, aus der Untiefe ihres vakuumösen Herzens böse. Dann rasten sie aus und wissen sich chronisch im Recht dabei.

Im öffentlichen Raum gelten andere Regeln als im privaten. Diese simple Wahrheit kapieren sie – wie so viele andere – überhaupt nicht. Selbstverwirklichung heißt deshalb so, weil man sie mit sich selbst abmachen und nicht andere damit behelligen soll. Davon wissen sie nichts und stellen sich aus: Hey, ich bin super erfolgreich. Ich mache Geld. Oder tue so. Ist das nicht wahnsinnig aufregend?

Die Mischung aus Dummheit und Gemeinheit macht frei. Frei, sich toll zu fühlen, wenn man anderen auf dem Gesicht herumsteht. Ihnen geht es nur gut, wenn es anderen deshalb schlecht geht. Ein Tag, an dem sie niemanden abgezockt haben, ist für sie kein Tag. So richtig frei und auf der Überholspur fühlen sie sich, wenn sie sich in ihr Auto einsperren. Das in vielen Fällen zwar nicht ihnen, sondern der Bank gehört. Aber egal. In der Karre ist alles klar. Ein Mann und sein Gibgaspedal, nichts sonst. Bis auf die Millionen anderen. Mutti Erde hat Millionenlinge ausgespien. Aber jeder von ihnen fühlt sich wie von Nazim Hikmet beschrieben: einzeln und frei wie ein Baum, um den er seine Karosse und sich hoffentlich wickelt, und wenn viele das tun, sind sie brüderlich wie ein Wald. Fein.

Häufig auch sieht man die Einzelmasken auf der Straße stehen und in ein Telefon hineinschreien, das sie in der Hand halten. Mit der anderen Hand justieren sie ihren Sack. Jetzt allerdings fehlt ihnen der Ganzkörper-Spiegel, in dem sie sich sonst so wohlgefällig betrachten. Könnten sie sich sehen, sie müssten tot umfallen. Obwohl: die nicht. Was ein asozialer Autist ist oder werden will, das lässt sich nicht schocken. Das findet sich geil, egal wie armselig es ist.

Ihr Leben ist eine Kriegserklärung. Ohne das je zu reflektieren, sind sie Teilnehmer im Krieg oben gegen unten. In Momenten der Gereiztheit wünscht man, sie als genau das zu behandeln: als feindliche Soldaten. Denn das sind sie: Uniformierte. Dosenköpfe. Die sich für unglaublich individuell halten. Ihr Leben ist die permanente Nachstellung der Szene in „Das Leben des Brian“ von Monty Python’s, in der Brian der gehirngewaschenen Menge zuruft: „Ihr seid alle Individuen!“ Und die Menge prompt zurückblökt: „Ja! Wir sind alle Individuen!“ Zielstreber sind ganz mickrige Figuren. Aber das ist ein schwacher Trost. Ihnen ab und zu richtig Angst einzujagen, macht schon mehr Spaß.

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