Zeugen Jehovas wollen Radio- und TV-Programm: Paragraf 17 solls richten
Von der Straße in den Rundfunk: Die Zeugen Jehovas fordern Sendezeit bei der Deutschen Welle. Verbreitete Religionen sollen dort laut Gesetz "angemessen berücksichtigt werden".
Nicht immer vertreiben sich die Zeugen Jehovas ihre Zeit damit, in nahezu angenehmer Unaufdringlichkeit in Fußgängerzonen ihren "Wachtturm" anzupreisen. Das Missionieren kann durchaus auch andere Züge annehmen.
So landete dieser Tage beispielsweise ein ungewöhnliches Begehr der Zeugen auf dem Tisch von Erik Bettermann. Der Intendant der Deutschen Welle (DW), dem Auslandsrundfunk der Bundesrepublik, möge ihnen doch bitte Sendezeit gewähren, so wie die DW-Radio- und Fernsehkanäle das doch auch für die katholische und evangelische Kirche tun. Mit anderen Worten: Die Zeugen Jehovas wollen Programmplätze okkupieren.
In der Bonner Sendezentrale der Welle sorgt das Schreiben für Verwunderung. Der Leiter der Intendanz, Johannes Hoffmann, sagte taz.de: "Es ist das erste Mal, dass eine solche Anfrage an die Deutsche Welle herangetragen wurde." Es handele sich deshalb auch "um einen Präzedenzfall, der eingehend geprüft wird". Nun nehmen sich also erst einmal Juristen der Sache an.
Die Zeugen stützen sich auf das Gesetz der Deutschen Welle, die, anders als ARD und ZDF, nicht von Gebühren, sondern von Steuern lebt. Wichtig für die tüchtige Glaubensgemeinschaft ist der Paragraf 17, der die Sendezeiten für Dritte regelt. Die Deutsche Welle muss demnach der evangelischen und katholischen Kirche sowie der jüdischen Gemeinde auf Wunsch Programmplätze bieten - für Gottesdienste, aber auch für "sonstige religiöse Sendungen". Andere "über das gesamte Bundesgebiet verbreitete Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts" müssen zudem "angemessen berücksichtigt werden".
Hier liegt der Knackpunkt des vorliegenden Antrags der Zeugen, die hierzulande rund 160.000 Anhänger haben und bereits von zwölf Bundesländern als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt wurden, meist erst nach einem massiven Prozessmarathon der Glaubensgemeinschaft. Diese ist damit bundesweit fast überall rechtlich den großen Kirchen gleichgestellt - und kann sich damit an entsprechende Passagen der Sendegesetze hängen.
Die Öffnung der öffentlich-rechtlichen Sender für die Kirchen macht sich vor allem am Wochenende bemerkbar, etwa mit dem "Wort zum Sonntag", das Vertreter von katholischer und evangelischer Kirche im Wechsel bespielen und im Ersten zu sehen ist wie auf DW-TV. Außerdem zeigt die Welle auch Gottesdienste und monatlich eine Dokumentation mit dem Titel "Glaubenssachen". Die spannende Frage wird sein: Reicht den Zeugen zum einen die Mitgliederzahl und zum anderen, dass sie zwar von vielen, aber nicht von allen Ländern das "Go" haben?
DW-Sprecher Hoffmann wollte sich zu den Aussichten des Antrags nicht äußern. Zu taz.de sagte er, wegen der "grundsätzlichen Bedeutung" des Falls habe sein Haus erst einmal die Rechtsaufsicht um eine rechtliche Prüfung gebeten - und damit Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU). Erst wenn sein Gutachten vorliege, wolle sich auch die Welle ein Urteil bilden. Das könnte auf lange Sicht auch für andere Glaubensgemeinschaften mit Sektenimage ein Einfallstor sein. Etwa Scientology, das sich ebenfalls um offizielle Anerkennung in Deutschland bemüht.
Ob es bald ein "Wachtturm TV" geben wird oder Veranstaltungen der Zeugen Jehovas von Bonn aus in viele Winkel der Welt verbreitet werden müssen? Und ob sich die christliche Glaubensgemeinschaft auch bemühen will, bei den neun ARD-Anstalten eigene Sendungen zu ergattern oder beim ZDF?
Die Zeugen Jehovas wollten sich zu ihren Plänen für die DW-Programme nicht äußern. Benjamin Menne, Mitarbeiter der Rechtsabteilung des Zeugen-Zweigbüros in Selters im Taunus, sagte allerdings, zumindest Radiosendungen seiner Jehovas Zeugen seien „nichts absolut Neues“. So habe das frühere RIAS Predigten der Religionsgemeinschaft ausgestrahlt. Außerdem bringe der Bayerische Rundfunk auf Bayern 2 von den Zeugen selbst produzierte Radiosendungen, das nächste Mal an diesem Sonntag um 6.45 Uhr zum Thema „Ist der Glaube an Gott vernünftig?“ Menne: „Die Radiosendungen auf Bayern 2 sind als exemplarisch für die Sach- und Rechtslage anzusehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen