Zensus in Niedersachsen: Keine Lust, das Volk zu zählen
Zu wenig Geld, zu viel Aufwand: Der Job eines Interviewers bei der Volkszählung in Niedersachsen ist nicht besonders attraktiv. Zehn Prozent der Freiwilligen sind bereits wieder abgesprungen.
HANNOVER dpa | In drei Wochen beginnt die große deutschlandweite Volkszählung - und in Niedersachsen suchen Kommunen landauf, landab immer noch händeringend Interviewer. Der Job ist scheinbar wenig attraktiv, weil die gezahlte Entschädigung als zu niedrig und der Aufwand dafür als zu hoch eingeschätzt wird. Das berichten übereinstimmend Vertreter der kommunalen Spitzenverbände.
Vor allem im ländlichen Raum ist der Aufwand hoch - zwar gibt es pro interviewten Haushalt 10 Euro, aber keine zusätzliche Fahrtkostenerstattung für die ehrenamtlichen Interviewer, beklagen die Vertreter der Städte und Gemeinden.
"Es gibt Schwierigkeiten, Helfer zu finden, das ist die Grundaussage aller Erhebungsstellen", sagte Ulrich Mahner, Referent beim Niedersächsischen Städtetag, der Nachrichtenagentur dpa. Im Rahmen der inzwischen angelaufenen Schulungen für den Zensus seien rund zehn Prozent der freiwilligen Mitarbeiter wieder abgesprungen. "Sie sagen, das habe ich mir anders vorgestellt, das wird mir zu aufwendig, die Entschädigungen sind zu gering, die Wege zu weit", berichtet Mahner.
Auch beim niedersächsischen Landkreistag sammeln sich Beschwerden von Mitgliedskommunen. "Wir haben in Einzelfällen davon erfahren, dass es insbesondere Probleme wegen der fehlenden Wegstreckenentschädigung gibt", berichtet Geschäftsführer Hubert Meyer. Den ehrenamtlichen Helfern sei es nicht erlaubt, ausgefüllte Erhebungsbögen per Post zu schicken oder in ihrer Heimatgemeinde abzugeben.
Stattdessen müssten sie die Bögen persönlich im nächsten Kreishaus abgeben - in Gebieten wie Cuxhaven oder Rotenburg/Wümme kommen so schnell mal 70 oder 80 Kilometer Fahrtstrecke zusammen. "Das ist aus unserer Sicht unzumutbar für die Erhebungsbeauftragten und wenig praxistauglich", kritisierte Meyer. Bürger, die ihre Bögen selbst ausfüllen, dürften diese per Post zurückschicken. Meyer forderte, das Land müsse diese Vorgaben ändern.
Der Städtetag kritisierte auch, dass den Kommunen landesweit fünf Millionen Euro fehlten, um die Kosten für die Volkszählung abzudecken. Andere Bundesländer wie Bayern oder Baden-Württemberg hätten ihre Städte und Gemeinden für die Erhebung finanziell besser ausgestattet.
Leser*innenkommentare
Qe (Exilwutbürger)
Gast
Die Deutschen, demzufolge kein Volk williger Vollstrecker (jedenfalls wenn die Bezahlung nicht stimmt :-| )
Wer kritiklos mitmacht, ist doof.
Infrastrukturplanung wird für die Baumafia und aus parteipolitischen Interessen gemacht, nicht für die Menschen. Studienplätze kann man mit Schulabgängern abschätzen, nicht mit der Berichtigung von Meldedaten.
Es lohnt sich, mit allen Leuten, denen man begegnet, darüber zu sprechen und diese zumindest mal zu sensibilisieren. Viele wissen noch immer nicht bescheid, oder hoffen, dass sie nicht zu den ausgewählten Schäfchen gehören und denken, dass es dann OK ist!!
Frohe Ostern
Peter Mueller
Gast
@rebleck:
Vielen Dank -- ich haette das beinahe selbst angemerkt. Der Unterschied zwischen scheinbar und anscheinend wird so oft ignoriert.
Ein wunderschoenes Beispiel fuer den korrekten Gebrauch von scheinbar habe ich vor vielen Jahren mal in einer Bildunterschrift in, ich glaube, der Sueddeutschen gesehen. Auf dem Bild waren zwei aeltere Menschen, die aus dem Fenster auf ganz viel Wasser schauten, das da nicht hingehoerte. Die beiden sahen gelassen und ruhig aus, obwohl ihr Haus offensichtlich komplett ueberschwemmt war. Unter dem Bild stand: "Scheinbar unbekuemmert betrachten die Anwohner die Oderflut."
Das ist schon 'n Weilchen her -- ich habe das Bild damals sammt Unterschrift ausgeschnitten und an die Wand hinter meinem Schreibtisch gepinnt, um immer ein gutes Beispiel fuer scheinbar bereit zu haben.
Alibaba Wunderbar
Gast
Ich bin ganz gespannt darauf, wie unsere schwarz-gelbe Regierung ihre Poltik verändern wird, wenn die Damen und Herren dann wissen, dass Deutschland "nur" 80,072 Mio. Einwohner hat und nicht 80,455 Mio. und wie viele Bürger vor 1955 in die BRD zugezogen sind.
Ich liege aber vermutlich nicht falsch, wenn ich davon ausgehe, dass sich an der neoliberalen Politik überhaupt nichts verbessern wird.
reblek
Gast
"Der Job ist scheinbar wenig attraktiv, weil die gezahlte Entschädigung als zu niedrig und der Aufwand dafür als zu hoch eingeschätzt wird." Wenn die Experten von dpa den Unterschied zwischen "scheinbar" (es sieht nur so aus, als ob) und "anscheinend" (es sieht ganz so aus, als ob) nicht kennen, sollte die taz-Redaktion vielleicht - oder auch bitte, bitte - eingreifen, damit es nicht heißt: "Schreiben Sie, was Sie meinen, sonst meine ich, was Sie schreiben."
Evelyn
Gast
die Volkszählung ist auch völlig unverständlich, wenn ein Bürger bereits so erfasst ist, dass man ihn postalisch erreichen kann, wieso muss man ihn dann noch zählen.
Wenn er nicht erfasst ist, wird er auch bei der Volkszählung nicht mitgezählt.