: Zensur zum Thema machen
Wer Freitagabend pünktlich um 19 Uhr zur Auftaktveranstaltung der Bundeskonferenz der Anti– AKW–Initiativen ins Komm kam, hatte Pech: Für den Anfang war es viel zu früh, um noch reinzukommen, deutlich zu spät. Knapp dreitausend Menschen drängten sich in dem Jugendzentrum. Wer einen Platz auf der Treppe, zehn Meter von den letzten Lautsprechern entfernt, ergattert hatte, konnte sich glücklich schätzen - im Gegensatz zum Festsaal war hier wenigstens noch frische Luft zu schnappen. Aber darauf kam es an diesem Abend ja am wenigsten an: Frische Luft war hier als Metapher präsent, wurde gegen den Gedankenmief der konservativen Zensur gesetzt. Die langen Schatten der Vergangenheit Thema des Abends: die Verfestigung autoritärer Strukturen unter besonderer Berücksichtigung der jüngst in Kraft getretenen Anti–Terrorismusgesetze. Daß es soweit kommen konnte führte Rolf Gössner, Autor des Polizeibuches „Der Apparat“ in seinem Eingangsstatement vor allem auf die wenig konsequente Aufarbeitung des deutschen Faschismus zurück. Der Repressionsapparat sei fast nahtlos gegen die Linke eingesetzt worden, an dieser Hypothek hätten wir heute noch zu tragen, wobei der Kampf gegen den sogenannten Terrorismus die Kommunistenverfolgung abgelöst habe. „Terrorismus“ sei die Zauberformel geworden, mit der ein effektiver Widerstand gegen die Herrschenden gespalten werden solle - deren Gebrauch aber auch die eigenen Verbrechen vergessen machen solle. Mit denen beschäftigte sich die grüne Europaparlamentsabgeordnete Brigitte Heinrich in ihrem Beitrag. Gewalt sei doch wohl das, was dieser Staat gegenüber Flüchtlingen ausübe, die in ihre Heimatländer abgeschoben würden, obwohl ihnen dort Folter oder die Todesstrafe drohe, Gewalt sei auch das, was in psychiatrischen Kliniken und Knästen geschehe. Während im Komm–Festsaal die Staatsmacht heftig angegriffen wurde, versuchte sich diese einen Zugang zur Veranstaltung zu verschaffen. Drei Uniformierte waren von der Stadt delegiert worden, um das, was im Saal vorgetragen wurde, mitzuhören und auf strafbare Inhalte zu prüfen. Während die Autonomen den Zugang mit einer Barrikade versperrten, das Komm–Büro der Polizei den Zutritt untersagte, versuchte der stellvertretende SPD–Fraktionsvorsitzende des Nürnberger Stadtrats, Jürgen Fischer, mit dem Einsatzleiter zu verhandeln. Die Staatsmacht wurde erfolgreich ausgesperrt Die konzertierte diplomatisch– militante Aktion zeitigte Erfolg. Der Zukunftsforscher Robert Jungk, dessen Auftritt als ein Grund für das Verbot der Veranstaltung durch die bayerische Landesregierung herhalten mußte, konnte seinen Beitrag unbehelligt von irgendeiner Staatsaufsicht halten. Er erinnerte daran, daß „Konservative es zugelassen haben, daß Hitler an die Macht kam“. Zwar herrsche heute noch kein Faschismus hierzulande, aber die Tatsache allein, daß die CDU/ CSU/FDP–Regierung gewählt worden sei legitimiere ihre rigide autoritäre Politik nicht: „Auch Hitler ist gewählt worden.“ Begeisterten Applaus erntete er, als er „die Tyrannen“ warnte: „Sie können schnell etwas verbieten, langfristig aber haben sie keine Chance. Marcos ist gestürzt worden, Franco ist gestürzt worden und Kohl wird auch stürzen. Die, die meinen, sie hätten alles im Griff, möchte ich darauf hinweisen, und ich hoffe, das wird mir nicht wieder als Aufruf zu strafbaren Handlungen ausgelegt, daß wir in einer hochtechnisierten Welt leben, die sehr leicht verwundbar ist. Seht Euch vor, sonst wird es über Euch kommen, wenn Ihr nicht aufhört.“ Daß im Augenblick die Zeichen nicht auf Aufhören, sondern auf verschärfte Konfrontation stehen, machte die Redakteurin der Anti– Atom–Zeitschrift „radi–aktiv“, Anita Aschenbrenner, deutlich. Die „radi–aktiv“, eines der wichtigen Kommunikationsmittel der Anti–WAA–Bewegung, wird seit Monaten mit Ermittlungsverfahren überzogen, die einen leichten Vorgeschmack auf die mögliche Praxis bei der Anwendung des neuen 130a geben. Der erste Prozeß findet am Mittwoch, den 21.1. um 13.30, vor dem Amtsgericht Nürnberg statt. Die Zeichen stehen auf Konfrontation Zu Ende ging der Verwaltungsgerichtshofes zu brechen. Weil man gegen Zensur am besten vorgeht, indem man über die inkriminierten Inhalte spricht, plädierte er dafür, das Lösen von Schrauben an Strommasten zum Thema zu machen. Und weil die Wahrheit über die Todesfälle in Stammheim noch lange nicht heraus sei und die Zweifel an der Selstmordversion des Staates durch seine zahlreichen Vertuschungsversuche gestärkt werde, muß man auch darüber reden können, wie Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe wirklich gestorben sind. Wichtig sei es aber auch, die militärische Dimension der WAA zu thematisieren. Durch den bundesdeutschen Nuklearexport würden nicht nur reaktionäre Regimes wie Südafrika aufgerüstet, sondern die WAA werde gebraucht, um die BRD zum Atomwaffenstaat machen zu können. Gegen diese neue Bedrohung des Weltfriedens müsse mit einem möglichst breiten Bündnis vorgegangen werden. Eine These, die den Kern der Stimmung im Saal traf. „Wir wissen genau, daß die Gegenseite uns den Mund verbieten will, weil sie keine Argumente gegen uns hat. Aber wir werden ihr nicht den Gefallen tun, einen Teil des Widerstands auszugrenzen, weil wir genau wissen, daß wir uns selbst damit ein Bein abschlagen würden.“ Oliver Tolmein
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