: Zensur ist die Regel
Bereits zwei Jahre vor dem Militärputsch wurde die Zensur in der Türkei institutionalisiert. Parallel zur Verhängung des Kriegsrechts in verschiedenen Provinzen wurde 63 Publikationen das Erscheinen in der Türkei oder in bestimmten Provinzen verboten. Dabei handelte es sich vor allem um Wochen– und Monatszeitschriften linker türkischer und kurdischer Gruppen. Wenige Monate vor dem Putsch vom 12.September 1980 traf das Publikationsverbot auch die Gewerkschaftspresse und erstmals eine Tageszeitung, die Demokrat. Zahlreiche Chefredakteure der verbotenen Presseorgane fanden sich nach dem Putsch vor Kriegsgerichten wieder. Die Anklage lautete meist auf „kommunistische Propaganda“ oder „Propaganda für den bewaffneten Aufstand und Zersetzung des Staates“. Wegen der Willkürbestimmung, jeden beanstandeten Artikel zu einem eigenen Delikt zu machen und die einzelnen Strafen zu addieren, kam es zu geradezu astronomisch hohen Haftstrafen von zum Teil mehreren hundert Jahren. Als Mindeststrafe für „Gedankenschuldige“ (so werden die Angeklagten bezeichnet) wurden zehn Jahre Haft verhängt. Die meisten der 1980 erlassenen Verbote gelten noch heute. Die damals verhängten Haftstrafen wurden nach der Änderung des Strafvollzugsgesetzes 1986 zwar auf ein Drittel verkürzt. Doch bei Strafen, die im Bereich zwischen 100 und 700 Jahren liegen, kann die Verkürzung nur eine Farce sein. Mehr als 2.000 Bücher im Jahr werden von der Istanbuler „Pressestaatsanwaltschaft“ auf vermeintlich staatsfeindliche Passagen überprüft. Außerdem müssen die Beamten dieser Sonderabteilung täglich über 20 Zeitungen und Zeitschriften durchsehen. Obwohl die meisten Veröffentlichungen vor ihrem Erscheinen von Verlagsanwälten überprüft werden und obwohl die Selbstzensur immer perfekter funktioniert, werden die staatlichen Schnüffler immer wieder fündig. Dazu trägt unter anderem das seit 1986 geltende „Gesetz zum Schutz der Jugend vor obszönen Veröffentlichungen“ bei. Sogenannte „bedenkliche Literatur“ kann durch eine Bestimmung des Pressegesetzes vom Vertrieb ausgeschlossen werden. Diese Bestimmung wurde am 10.Oktober 1983 verabschiedet, neun Tage vor der Aufhebung des Kriegsrechts in Istanbul. Opfer der Zensur - und damit in der Regel von Beschlagnahmungen - sind gleichermaßen Zeitungen, Zeitschriften und Bücher. Bei vielen der nachfolgenden Prozesse kommt es zwar zu Freisprüchen, doch die Publikationen bleiben in aller Regel widerrechtlich im Polizeigewahrsam, was zu erheblichen finanziellen Verlusten für Verlage und Autoren führt. Dadurch bleibt die Zensurbehörde am Ende doch Sieger. Denn ein zweites Mal können sich die meist kleinen und finanzschwachen Verlage den Luxus nicht leisten, den Polizeibehörden eine ganze Auflage zu schenken.
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