Zensur in Weißrussland: Gegen "die Anarchie im Netz"
Der weißrussische Staatspräsident weitet die Internetzensur aus. Mit den Userdaten und einem Extremismus-Paragrafen kann er jeden Oppositionellen schweigen lassen.
Pünktlich zum Jahreswechsel setzt Weißrusslands autoritärer Staatspräsident Alexander Lukaschenko in Sachen Beschränkung der Medienfreiheit noch eins drauf: In den kommenden Tagen will die Regierung eine verschärfte Internetzensur einführen. Dies berichtet die russische Tageszeitung Nesawissimaja Gazeta in ihrer Montagsausgabe. Mit dieser Maßnahme will Lukaschenko "die Anarchie im Netz" stoppen, wie er unlängst ankündigte.
Dem Gesetzestext zufolge, der bezeichnenderweise im Internet kursiert, müssen fortan alle Internetmedien registriert sowie deren Nutzer namentlich erfasst werden. Die Provider werden verpflichtet, diese Informationen den Behörden, dem Geheimdienst, der Staatsanwaltschaft, der Steuerfahndung sowie Gerichten auf deren Anforderung hin auszuhändigen.
Außerdem sollen Internetseiten, die "zu Extremismus und Hass gegen andere Bevölkerungsgruppen aufrufen sowie pornografisches Material" verbreiten, blockiert werden. Für den Inhalt der Seiten werden die Provider zur Verantwortung gezogen. Schon fragen sich Betreiber von Mobilfunknetzen, ob ihnen bei "heiklen Gesprächen" ihrer Kunden ein Entzug der Lizenz droht.
Die Angst ist berechtigt, wurde der sogenannte Extremismus-Paragraf in der Vergangenheit doch öfter angewandt, um Kritiker des Regimes mundtot zu machen. So erhielt die Zeitung Narodnaja Wolja unlängst vom Informationsministerium eine Verwarnung - wegen "Extremismus". Das oppositionelle Blatt hatte einen Beitrag veröffentlicht, in dem die Bevölkerung aufgefordert wurde, im Falle von Wahlfälschungen auf die Straße zu gehen.
Die neuerliche Verschärfung der Mediengesetze kommt nicht überraschend. Bereits im Februar dieses Jahres trat eine Bestimmung in Kraft, welche die Regierung ermächtigte, ihre Kontrolle über das Netz auszuweiten. Dass Besucher von Internetcafés ihre Personalien und die von ihnen besuchten Seiten angeben müssen, ist ohnehin schon länger gängige Praxis. Vor kurzem wurde mit Oleg Proleskoweski ein neuer Informationsminister ernannt.
Der Chefideologe Lukaschenkos gilt als strikter Verfechter staatlicher Eingriffe ins Internet. Zudem sollen Anfang 2011 Präsidentenwahlen stattfinden. Obwohl die Wiederwahl des derzeitigen Amtsinhabers bereits jetzt feststeht, erscheint es aus Sicht der Machthaber logisch, unbequeme und kritische Meinungen noch stärker als bisher zu unterdrücken.
Sollte die Reglementierung des Netzes tatsächlich so total greifen wie von der Regierung geplant, verliert die Opposition auch noch ihre letzte Plattform. Die elektronischen Medien gehören ausnahmslos dem Staat. Die wenigen noch existierenden unabhängigen Zeitungen können mittlerweile nur noch im Netz erscheinen, da in Weißrussland selbst Druck und Vertrieb aufgrund staatlichen Drucks unmöglich sind.
Doch nicht nur die Medien hat der Staat im Visier, sondern auch einzelne Journalisten. So veröffentlichte Irina Chalip, Minsker Korrespondentin der russischen Tageszeitung Nowaja Gaseta, im vergangenen Monat einen kritischen Beitrag über den weißrussischen Geheimdienst KGB. Einen Tag später erhielt sie erste Todesdrohungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein