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"Zeitungszeugen" sells HitlerTa-Ta-Ta-Taa-Tataaaa!

Seit Anfang des Jahres können am Kiosk faksimilierte Zeitungen aus den dreißiger Jahre gekauft werden. Jetzt lässt die bayerische Justiz ein nachgedrucktes Nazi-Blatt beschlagnahmen.

"Hitler sells": Seit Anfang Januar liegt die Faksimile-Serie "Zeitungszeugen" am Kiosk aus. Bild: dpa

BERLIN taz Wenn unser Geschichtsprofessor Heinrich Bodensieck, dem an dieser Stelle ganz nebenbei ein kleines Denkmal aufgestellt sei, im Seminar zur Wirkungsgeschichte der Massenmedien im NS-Staat die "Deutsche Wochenschau" ("Ta-Ta-Ta-Taa-Tata!") oder einen Hetz-Spielfilm der Marke "Der ewige Jude" zeigte, geschah das nie ohne den Hinweis, dass "diese Aufführung ausschließlich zu wissenschaftlichen Zwecken" geschehe.

Genauso argumentieren Verleger und Herausgeber von Zeitungszeugen, die seit Anfang Januar jede Woche per Faksimile Titel der 1930er Jahre in vollem Umfang publizieren - von der Deutschen Allgmeinen Zeitung und dem kommunistischen Parteiblatt Der Kämpfer bis zur "alten Tante" Vossische Zeitung. Und natürlich inklusive der NS-Zeitungen wie dem Parteiorgan Völkischer Beobachter oder dem von Joseph Goebbels herausgegebenen Angriff. Als "Schutzumschlag" um die heiße Ware wird auf vier zeitungsgroßen Seiten über die Zeitumstände und Hintergründe informiert.

Nicht genug, finden nun das Land Bayern und der Zentralrat der Juden in Deutschland: Bayern, als Bundesland Rechtsnachfolger des NSDAP-eigenen Eher-Verlagsimperiums, dass sich bis 1938 einen Großteil der gleichgeschalteten deutschen Presse auch wirtschaftlich unter den Nagel riss, hat wegen Verletzung von Urheberrechten Strafantrag gestellt.

Freitagnachmittag reagierte die Bayerische Justiz. Auf Anordnung des Münchener Amtsgericht wurden die nachgedruckten Ausgaben des Völkischen Beobachters beschlagnahmt. Auch das beiliegende Nazi-Propaganda-Plakat "Der Reichstag in Flammen" werde eingezogen, teilte das bayerische Justizministerium mit.

Der Zentralrat unterstützt diese rechtlichen Schritte gegen das Projekt: Deutschland brauche keine "Kopiervorlagen für Nachwuchsnazis in jedem Zeitungskiosk", zitiert die Agentur epd Zentralsrats-Generalsekretär Stephan Kramer. Denn es handele sich nicht um eine kommentierte Ausgabe der Originalzeitungen, sondern um komplette Nachdrucke, so Kramer, die lediglich von einem Mantel mit aufklärerischen Hintergrundinformationen umgeben seien. "So sieht keine seriöse politische Bildung aus".

Tatsächlich nicht? Alles nur "Hitler sells", um schnöden kommerziellen Interessen zu frönen, wie Kramer meint? In der Tat fallen die Erklärstücke zum teilweise Ungeheuerlichen in Angriff et al eher bescheiden aus. Mit wissenschaftlichen Monographien hält das nicht mit. Aber das muss es auch nicht.

Ein Knackpunkt ist die Authentizität: Auszüge aus alten Zeitungen, die gleich daneben erklärt, gedeutet, einsortiert werden, kennt man aus dem Geschichtsunterricht. Die Wirkung des ganzen Blattes, mit vollständig Kleingedrucktem, den alten Anzeigen, den Abo-Coupons und Sportnachrichten erreicht es nicht. Das gilt auch für die NS-Blätter, und ist ein Problem. Doch besteht tatsächlich die Gefahr, dass hier faschistische, menschenverachtenden Botschaften des Doktor Goebbels besser wirken, weil der Angriff auch die Eröffnung des "Münchner Löwenbräu - Die Gaststätte für den guten Geschmack zu heutigen Preisen" ankündigt? Das Kinoprogramm verzeichnet ist oder der "Windgott der gestrigen Eissegelwettfahrt auf dem Rangsdorfer See nicht hold" war?

Natürlich besteht die Möglichkeit, da nachgedruckte Zeitungen und der Erklär-Mantel nicht aneinandergetackert sind, jeden Titel einzeln zu missbrauchen. Doch kann das, mit zugegebenermaßen etwas mehr Aufwand, auch heute schon jeder, der in einem einschlägigen Zeitungsarchiv entsprechende Kopien alter Zeitungenzieht, wenn es nicht gleich das Hetzblatt Stürmer ist. Für den braucht's einen Nachweis, dass ein wissenschaftlicher Zweck dahinter steckt.

Doch steckt hinter dem Projekt Zeitungszeugen tatsächlich ein kluger Kopf? Natürlich haben schon vor Jahrzehnten Sendungen wie "Damals" (hier begann die Karriere eines gewissen Gudio Knopp) oder "Heute vor 40 Jahren" die alten (Kriegs-)Wochenschauen in Auszügen gezeigt. Mit all dem "Ta-Ta-Ta-Taa-Tata!" und den Stentorstimmen der Wochenschau-Sprecher. Und damit haben die Sendungen (übrigens allesamt höchst seriös öffentlich-rechtlich) ob gewollt oder nicht immer auch ein bisschen auf den Grusel gesetzt. Nun also die Zeitungen im Ganzen, feilgeboten am Kiosk neben Spiegel und Landlust.

Der Verleger der Zeitungszeugen ist der Brite Peter McGee, der die Erregung natürlich geahnt hat: Als wissenschaftliche Berater fungiert gleich mehr als ein ganzes Dutzend Fachleute seriöser Institute und Hochschulen. In der der ersten Ausgabe äußert sich Christian Böhme, Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung, und prophezeit wenig prophetisch, das dieses "Stück Zeitgeschichte (...) sicherlich einige Debatten auslösen wird."

Stutzig macht, dass sich Böhmes Worte auf einer Testimonial-Seite finden, auf der neben Ex-Bundespräsidenten und Chefredakteuren auch der "Tennis-Champion Michael Stich" und der "Hockey-Champion Moritz Fürste" Grußworte murmeln. Hitler sells, soviel ist klar.

Doch die deutsche Leserschaft ist aufgeklärt genug, den Angriff in Gänze zu lesen. Wer diese Möglichkeit missbrauchen will, dem dürfte auch mit mehr wissenschaftlicher Garnitur nicht beizukommen sein. Es gibt Neonazis in Deutschland - es werden nicht weniger dadurch, dass Projekte wie Zeitzeugen von Gerichten untersagt werden. Ob die Welt dergleichen braucht, ist eine andere Frage. "Das Ding" verkaufe sich ganz gut, sagte die Dame am Kiosk. Das war noch bevor das Münchener Amtsgericht die Beschlagnahme der nachgedruckten Nazizeitschrift anordnete.

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12 Kommentare

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  • BS
    bernhard stefanski

    na,das wars mal wieder.ich bin selbst aus bayern und habe endlich mal was gefunden,was mich schon länger interessiert.denn man kann ohne zu kotzen nicht mal die nachrichten lesen bzw.ansehen.denn alles was gezeigt wird ist doch zensiert,egal von welcher seite aus.in der ganzen welt kann man literatur kaufen oder erwerben,ohne das gleich einer vom staatsschutz kommt und mit erhobenen finger mahnt.

     

    ich war froh mal was zu bekommen und zu lesen wie meine oma gelebt hat und was sie gelesen hat.und nun das.wir sind keine demokratie mehr sondern ein haufen von feiglinge die sich nicht trauen mal was gegen ein system zu unternehmen,das willkürlich jeden anprangert,der ein bißchen rechts bzw.national denkt.denn was die bayern unternehmen ist zensur und entmündigent.wir sind erwachsen und wissen was wir wollen.ich möchte diese zeitungen erwerben,egal was es kostet.seid ich aus der schule bin,ist schon ewig her,möchte ich mehr wissen aus dieser zeit.aber überall stoßt man auf ablehnung.die politiker in bayern sind ein arroganter misthaufen.ich schäme mich dafür.hoffentlich entscheiden die richter zugunsten der zeitung.

  • WM
    Wolfgang May

    Arroganz der Macht

     

    Ich ärgere mich darüber, das viele "politisch Verantwortliche" in Deutschland auch über 60 Jahre nach Kriegsende immer noch meinen, das Demokratie das sei, was sie für richtig und sinnvoll halten. Diese "Arroganz der Macht" produziert nicht nur einen Großteil der "neuen Nazis", die genau deshalb so problemlos von den "Rattenfängern" einkassiert werden können, sondern sie zeichnet ebenfalls mitverantwortlich für die meisten anderen Krisen.

     

    Ciao

    Wolfgang

  • DH
    Dietmar Haarbeck

    Urheberrecht? Für welche Urheber? Göbbels, Hitler? Sollen die etwa von der bayrischen Regierung geschützt werden? Oder sollen kleine Jungs behütet werden, die sonst nach Lektüre der alten Zeitungsfaksimiles gleich in die NPD eintreten könnten? Es offenbart sich mal wieder die Angst der Herrschenden vor ihrem mündigen Volk. Die rüde Entschlossenheit des Bayernstaats gegen die "Zeitungszeugen" mutet grotesk und lächerlich an. Es zeigt seine Verunsicherung und Orientierungslosigkeit bei der Umsetzung des Mitte Januar neu beschlossenen Konzepts gegen Rechtsextremismus. Die Gefahr kommt nicht aus historischen Quellen, die Gefahr kommt aus dem Umgang damit und vor allem aus der aktuellen Politik.

  • CL
    Christian Lang

    Ich habe schon viele Dokumentationen aus dieser Zeit gesehen , aber keine hat mir bis jetzt einen derartigen Einblick in das alltägliche leben geliefert wie die Zeitungszeugen . Ich bin erwachsen genug das differenziert zu betrachten und fühle mich in keinster weise von der Propaganda beinflusst oder angezogen . Im Gegenteil mit jedem Artikel wird die Distanz immer grösser . Für mich eine Gelegenheit den Hintergrund der Geschichte meiner Urgrosseltern aufzuarbeiten und zu verstehen .

  • F
    Florian

    "Nicht darüber reden, dann ist auch nichts passiert." - Danke Bayern, das nenn' ich gelungene Aufarbeitung des Nationalsozialismus.

  • S
    SchnauzeVoll

    "In Bayern wird jetzt rücksichtslos durchgegriffen"

     

    Diese ganze Diskussion ist eine Farce !

    Wenn man im Rahmen geschichtlicher Aufklärung das Bewusstsein über die damalige Zensur- und DesInformations-Politik jetzt ausgerechnet mit denselben Werkzeugen auszubremsen versucht, sollte man die Ohren spitzen...! Wehret den Anfängen !

    Wenn Bayern sich nach über 70 Jahren verbissen an Urheberrechts-Gesetze klammert, deren Tragfähigkeit/Gültigkeit ohnehin noch zu beweisen ist, dann darf man das als recht fadenscheinig und der Brisanz des Themas nicht angemessen betrachten. Wo waren denn schließlich diese Bedenken, als derselbe Verleger dieses Projekt in Österreich durchgeführt hat ? Auch dort wurden faksimilierte Ausgaben des "Völkischen Beobachters" am Kiosk verkauft !

    Wenn Bayerische Ministerien sich weiterhin immer noch geradezu sklavisch an eine damalige Weisung der Alliierten zur Nichtverbreitung von Nazi-Propaganda halten, erinnert das in fataler Weise an die "Befehls-Notstände", mit denen man bekanntlich alles, was nur vorstellbar ist, rechtfertigen kann - haben wir alles schon gehabt !

    Ich kann mir gut vorstellen, daß man auf alliierter Seite gar keine Kenntnis damaliger Auflagen mehr hat, bzw. eher belustigt registriert, mit welcher Penetranz dieser Aufgabe nachgegangen wird ! Man kann sozusagen noch hier in NRW von Süden her die Hacken gehorsamst schlagen hören !

    Es wird mit Sicherheit Leute geben, die sich mit einem wohligen Schauer auf dem Rücken des "Völkischen Beobachters" annehmen, aber wegen einiger weniger Spinner im Zweifel eine ganze, gewachsene demokratische Gesellschaft unter General-Verdacht der Unfähigkeit zum Verständnis zu stellen...- das fühlt sich an wie Sippenhaft ! Die hatten wir auch schon !

    Es scheint mir, daß die Clique von Spinnern, vor denen man die Deutschen schützen sollte, eher dort zu suchen ist, von wo jetzt diese hilflosen Verbots-Versuche kommen, die jedoch lediglich zu einer weiteren Mystifizierung der NS-Presse führen werden.

    Ich ärgere mich gerade auch wieder über mich selbst; ich weiss doch mittlerweile nur zu gut, daß es in diesem Land keinen vernünftigen, auf sachlichen Argumentationen aufbauenden, öffentlichen Diskurs gibt/geben kann !

    Es gibt hier immer nur zwei statthafte Extrempositionen - ganz gleich, um was es geht !

     

    Armes Deutschland !!!

  • C
    Cicero

    Das zartrot lackierte Blatt des staatlich alimentierten Gutmenschenkapitalismus hat allerdings allen Grund,sich hier zu"sorgen":Denn von den Verkaufserfolgen,die"Zeitungszeugen" bisher zu verzeichnen hat,kann die"TAZ"allerdings nur träumen.Und leider,leider schaut ja auch das steckengebliebene Kollektivblattprojekt der vergreisenden 68er zunächst einmal - auf den Bimbes.

  • P
    peter

    Dieses Theater ist mal wieder typisch deutsch.

     

    Die NAZI-Typen, die hier gemeint sind sind doch nicht in der lage mehr als 3 Zeilen Text ohne Bilder und unterlegte Bumsmusik von Nazi-Bands zu lesen, geschweige denn zu verstehen.

  • B
    Buster

    Mal wieder eine typisch deutsche Diskussion um nichts.

    Wer es lesen will der soll es lesen. Als ob man die Nazis dadurch bekämpft indem man ihnen gewisse Quellen vorenthält.

  • J
    Jens

    Die Ästhetik des Bösen- es ist traurig zu erfahren, dass zweifellos professionell ausgearbeitete Nazi-Hetze aus kommerziellen Gründen noch heute verbreitet wird. Selbst der durchschnittlich aufgeklärte Leser wird durch die nationalsozialistische Falschdarstellung von Fakten und der rassistischen Hetze beeinflusst. Längst vergessene Nazi-Mythen finden so wieder Zugang zur Mitte der Gesellschaft. "Vielleicht ist ja doch 'n bisschen was dran", fagt sich dann so mancher Leser. Egal wie dumm ein Mythos, etwa wie der von den "Novemberverbrechern", auch sein mag, wer nur oft genug damit berieselt wird, fängt irgendwann an daran zu glauben.

  • BF
    Blackberry for President

    Viel LERM um Garnix!

     

    1. Das Zeitungszeugen-Konzept lief bereits in diversen europäischen Ländern, ohne bayerisches Veto.

     

    2. Im wissenschaftlichen Beirat sind Leute wie Wolfgang Benz, Hans Mommsen, Gerhard Botz u.v.a., die für eine gewisse Seriosität stehen.

     

    3. Auch wenn das ganze Ding geheftklammert wäre, könnten Nazis den "Völkischen" mit ihren obligatorischen Messern schon noch herauslösen (der Autor regt sich ja auf, dass man die Faksimiles einfach herausnehmen kann).

     

     

    Fazit:

    Wenn heutzutage "Mein Kampf", die "Protokolle der Weisen von Zion" (vulgo: Zaren-Schlapphut-Fake) ö.ä. im WWW als druckfreundliche PDF-Datei downloadbar herumschwirrt (ganz ohne Kommentar!), erscheint mir Zeitungszeugen geradezu als erfrischendes Korrektiv.

  • Y
    Yakitora

    Nanu?! Hat "Der Landser", erhältlich an jedem Bahnhofs-Kiosk, jetzt nochmal Junge gekriegt?