Zeitgeschehen: „Freiheit muss werden auf Erden“
Wilhelm Zimmermann veröffentlichte die erste wissenschaftliche Darstellung des Deutschen Bauernkriegs – bis heute eine der wirkmächtigsten. Mit seiner radikaldemokratischen Haltung stieß der in Stuttgart geborene Historiker, Theologe und 48er-Revolutionär auf große Widerstände.
Von Erhard Korn
Am 26. April 1525 kam der Bauernkrieg nach Stuttgart: Der „Helle christliche Haufen“ erreichte die Hauptstadt des Herzogtums Württemberg, die sich den 6.000 aufständischen Bauern anschloss, während die Regierung nach Tübingen floh. Selbst mehrere Mitglieder der städtischen Führung wie der Maler Jerg Ratgeb unterstützten die Bewegung. Besonders deutlich aber war die Sympathie bei den Bürgern niedrigen Standes in der von Handwerkern und Wengertern bewohnten Leonhardsvorstadt, dem heutigen Bohnenviertel.
Und eben in diesem Viertel, in der Jakobstraße 6, wurde 1807 Wilhelm Zimmermann geboren, dem wir viel über unsere heutige Sicht auf den Konflikt verdanken. Denn er war „der Verfasser der ersten wahrhaften und redlichen Geschichte des großen deutschen Bauernkrieges“, wie der SPD-Politiker Wilhelm Blos ihn nannte. Zimmermanns Vater stammte aus einer Weingärtnerfamilie, musste aber als Küchenhilfe und später „Lakai“ am württembergischen Hof den Unterhalt der Familie verdienen. Der Sohn stand selbstbewusst zu dieser Herkunft von „armen, redlichen Leuten“.
Wilhelm Zimmermann besuchte die Volksschule und sollte Handwerker werden, wie er selbst berichtet, fiel aber durch seine Hochbegabung auf. Ein Onkel ermöglichte ihm den Besuch des Gymnasiums, das sonst der Oberschicht vorbehalten war. Die Ausbildung zum Pfarrer über den kostenlosen Besuch des „Seminars“ Blaubeuren und danach des Evangelischen Stifts in Tübingen war für den mittellosen Zimmermann die einzige Möglichkeit einer akademischen Ausbildung.
Im Stift traf er 1821 in der „Geniepromotion“ auf spätere Berühmtheiten wie David Friedrich Strauß, der zu einem der einflussreichsten Theologen des 19. Jahrhunderts werden sollte. Zimmermanns und Strauß‘ Lehrer Ferdinand Christian Baur versuchte, auf der Grundlage des Hegelschen Entwicklungsdenkens das Verständnis von Geschichte und Theologie aus der dogmatischen Erstarrung zu befreien. Strauß wandte diesen Ansatz später mit seiner Historisierung des „Leben Jesu“ (1835) auf die Kirchengeschichte, Zimmermann auf die Sozialgeschichte an.
Im Stift entwickelte sich Zimmermann zum oft gelobten, manchmal überheblichen Klassenprimus. Ab dem vierten Semester allerdings häuften sich die Strafen, etwa weil er zu viel im Wirtshaus saß. 1829 wurde er vom Stift verwiesen und musste seine Prüfung vorzeitig und mit eher durchschnittlichem Ergebnis ablegen. Die Versetzung als Vikar ins abgelegene Schweindorf bei Aalen war von Seiten der Kirche nicht ohne Hintergedanken. 1831 legte er in Stuttgart sein zweites Pfarrexamen ab. Doch es zog ihn zunächst nicht auf eine Pfarrstelle.
Dichter romantischer und politischer Lyrik
1832 promovierte er in Tübingen über römische Literatur – bei Ludwig Uhland. Schon während des Studiums war er mit dem Dichter Wilhelm Waiblinger durch die Kneipen gezogen, nun versuchte er sich selbst als Dichter. Zusammen mit Eduard Mörike, der ihn schätzte, gab er 1835 das „Jahrbuch schwäbischer Dichter und Novellisten“ heraus. Neben Romantischem schreibt er bald politische Lyrik wie die Solidaritätslieder mit den Besiegten des polnischen Aufstands von 1830/31:
Wider den Despotismus: / Denn Freiheit muss werden auf Erden, / Freiheit im Reiche des Geists, / Freiheit im Reiche der Welt.
Nach der Julirevolution von 1830 in Frankreich verschärfte der württembergische König Wilhelm I. Zensur und politische Unterdrückung. Vor seine erste Gedichtsammlung setzte Zimmermann 1832 daher das Motto:
Muss aus des Tags Geschichte / Entflieh‘n das freie Wort, / dann bleibt ihm im Gedichte / Ein heil‘ger Zufluchtsort.
Zimmermanns Prosaarbeiten entzogen sich der Zensur, indem sie Kritik ins historische Gewand verkleideten, wie 1833 im Trauerspiel „Masaniello, der Mann des Volkes“, das vom Aufstand der Neapolitaner gegen die spanische Herrschaft handelt:
Ein neuer Geist geht durch die Welt. Das Volk / Fängt, dass es Mensch sei, einzusehen an.
Über solche historischen Stoffe fand er zur Geschichtsschreibung.
Der Historiker des Bauernkriegs
Von den unsicheren und mageren Honoraren konnte Zimmermann seine wachsende Familie nicht ernähren. 1840 bewarb er sich um eine Stelle im kirchlichen Dienst und wirkte bis 1847 als Pfarrhelfer in Dettingen an der Erms. Hier im Pfarrhaus, schrieb seine Frau Luise, die er 1832 geheiratet hatte, „entstand seine Allgemeine Geschichte des großen Bauernkrieges, ganz aus Archivquellen gearbeitet. Die Direktion des Kgl. Staatsarchivs stellte ihm mit der edelsten Liberalität die Aktenstücke zur jahrelangen Benützung in seinem Hause frei“.
Zwischen 1841 und 1843 erschien das dreibändige Werk. Es war die erste wissenschaftliche Darstellung des Bauernkriegs und zudem eine, die von einer großen Sympathie für die aufständischen Bauern geprägt war. Zimmermann setzte den Bauernkrieg von 1524/25 in einen größeren Kontext, betrachtete ihn als Kulminationspunkt eines Jahrhunderte andauernden Kampfes zwischen Unterdrückten und Unterdrückern. Und er sah in ihm das Idealbeispiel einer Revolution.
Die größte Wirkung hatte das Werk erst mit einigen Jahrzehnten Abstand. Der Stuttgarter Sozialist Fritz Rück berichtete in seinen Erinnerungen an seine Jugendzeit um die 1900 von der Faszination, die ein Buch über den Bauernkrieg, das einzige im Gaisburger Arbeiterhaushalt, auf ihn ausgeübt hatte – Zimmermanns „Bauernkrieg“, den der sozialdemokratische Dietz-Verlag 1891 mit vielen Illustrationen als erheblich gekürzte, „billige Volksausgabe“ herausbrachte. Erst in dieser Form wurde „der Zimmermann“ zu einem bis heute in Dutzenden Ausgaben nachgedruckten Bestseller.
Bei seinem ersten Erscheinen in den 1840er-Jahren wurde das Buch, so Otto Borst, interpretiert „als ein Beitrag zum latenten und geistigen Freiheitskampf der vormärzlichen Gegenwart“. In Baden, Bayern und Österreich wurde es verboten, von Friedrich Engels 1850 hoch gelobt und genutzt. 1891 las man es angesichts des gerade ausgelaufenen Sozialistengesetzes als Beitrag zum Freiheitskampf der Arbeiterbewegung. Käthe Kollwitz inspirierte das Buch 1908 zu ihrem berühmten Bauernkriegszyklus, Gerhart Hauptmann zu seinem Drama „Florian Geyer“. Seinen Erfolg verdankt „der Zimmermann“ aber bis heute seiner bilderreichen und lebendigen, ja mitreißenden Sprache.
Neben seiner Arbeit als Schriftsteller und Historiker betätigte sich Zimmermann auch politisch. Er arbeitete an Zeitschriften der demokratischen Opposition im Land mit, engagierte sich im „Volksverein“ und wurde 1848 als Abgeordneter des Wahlkreises Schwäbisch Hall in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt, die in der Paulskirche tagte. Hier stand er auf der Seite der „äußersten Linken“, wie er selbst sagte.
Für Württemberg wollte König Wilhelm I. nach der Revolution von 1848/49 eine Verfassung in seinem Sinn. Er ließ dazu mehrmals einen Landtag wählen und auflösen, bis ihm das Ergebnis passte. Bis 1854 gehörte Zimmermann diesen Landtagen an. Unerschrocken setzte er sich für die Aufnahme der Grundrechte in die Verfassung ein, für ein allgemeines Wahlrecht und gegen die „Heeresvermehrung“: „Wir wollen kein Geld verwilligen, um dem Frieden des Kirchhofs den deutschen Ländern zu oktroyieren“, für Waffen, die helfen, „das monarchische Prinzip im Gewande des Despotismus“ wieder einzuführen.
Berufsverbot wegen demokratischer Einstellung
Noch vor der Revolution, 1847, war Zimmermann als respektierter Historiker von Wilhelm I. zum Professor ernannt worden und unterrichtete „mit blühender Darstellungsgabe“, so sein Rektor, an der „Polytechnischen Schule“, der Vorgängerin der Universität Stuttgart, und an der „Oberrealschule“. Der für die höheren Schulen zuständige „Königliche Studienrat“ aber sammelte akribisch Informationen über seine politische Tätigkeit. Die Forderungen, Zimmermann zu entlassen, wies Justizminister Friedrich von Römer, selbst prominentes Mitglied der Nationalversammlung, zunächst ab. Zwar sei Zimmermann als Geschichtslehrer bei seiner „vom demokratischen Standpunkt ausgehenden Auffassung … nicht am rechten Platz“, um Schüler die „entscheidende und bleibende Richtung des historischen Urtheils“ empfangen zu lassen. Allerdings gebe es für eine Entlassung keine „zureichende Rechtfertigung“.
Doch im Herbst 1849 wurde Römer selbst entlassen, und der neue „Kultminister“ Karl von Waechter-Spittler ordnete an, Zimmermann „genau zu überwachen“. Die Schulleiter erteilten Anweisungen für den Unterricht und kontrollierten wöchentliche Hefte und Vorlesungsmitschriebe der Schüler, konnten aber keine Verfehlungen feststellen. Allerdings glaubte der Rektor der Oberrealschule, einige Antworten der Schüler bei einer Prüfung „geben der Vermuthung Raum, dass Zimerman in seinem Geschichtsunterricht zb darauf ausgehe, die Geburtsaristokratie dem Proletariat gehässig u lächerlich darzustellen“. Schülerantworten über die Ursachen für den Sturz der Könige und die Errichtung der Republik im alten Rom (!) wertete das Ministerium als perfiden Versuch Zimmermanns, den Schülern „seine politischen Ansichten hineinzudressieren“. So der Bericht des Ministeriums an den König am 9. Dezember 1850 „Betreff auf Dienstenthebung“. Der König ordnete die Entlassung mit vierteljährlicher Frist an.
Zimmermann stand erneut mit Frau und vier Kindern fast ohne Einkommen da. Er sei „müde des Treibens aller politischer Parteien“ und hoffe, sich auf einen stillen Wirkungskreis zurückziehen zu können“ begründete er 1854 seine Bewerbung um die Pfarrstelle im abgelegenen Leonbrunn im Zabergäu.
In der 1861 verfassten „Geschichte der Jahre 1840 bis 1860“ unternahm er eine oft bittere und pessimistische Bestandsaufnahme, und zunehmend akzeptierte er, dass die deutsche Einheit nicht durch Freiheit, sondern durch das lange verhasste Preußen verwirklicht werden würde. Als Seelsorger engagierte er sich besonders für eine Schulspeisung und gegen Bettelei von Kindern, und religiöses Empfinden wurde ihm wichtiger. Seinen freiheitlichen Idealen schwor Zimmermann bis zu seinem Tod am 22.September 1878 nicht ab. Auf seinen Grabstein in Owen, seinem letzten Wirkungsort, ließ er ein Zitat aus seinem „Bauernkrieg“ gravieren:
„Ob auch Welle um Welle sich bricht und / zerstäubt, der Strom geht vorwärts.“
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