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Zeitgeistiges Marschgetröt

■ „Musikschau der Nationen“ blieb zwar stellenweise im Dunkeln, gab sich aber friedens- festlich / Kluth & Calenberg vom „Kaffeepott“ schossen den Vogel vom Stadthallenhimmel

Diesmal sollte es der Zeitgeist sein, der anzusprechen war. Die Veranstalter der „Musikschau der Nationen“ machen sich nämlich schon mächtig Sorgen, daß ihnen das Publikum ausstirbt, und da hilft ja bekanntlich nur „Zeitgeist“.

Wenn man dem Blatt glauben schenken kann, das allmittwochlich den Briefkasten verstopft, dann sieht er so aus: „Vom Militärkonzert zum Friedensfestival“. Dem darf man Glauben schenken, wenn man der Meinung ist, daß bewußter Geist von unseren Mitmenschen jenseits der sechzig vertreten wird. Die waren es nämlich, die die mächtig überheizte Stadthalle fast vier Stunden lang bis auf den letzten Sperrsitz füllten. Nach der ebenso zackigen wie lauten Ansprache des Prof. Dr. Franke, seines Zeichens Landesvorsitzender des Volksbundes Deutsche Kriegsgräbervorsorge, zu deren Gunsten die Veranstaltung marschierte und schmetterte, nach ebendieser Ansprache, die in einer Rethorik gehalten wurde, die mir bislang nur aus Wochenschauen bekannt war, fand das Marschiere und Geschmettere seinen Anfang. Hübsch wurde dann im weiteren Verlauf nach einem Völkeraufmarsch ein wenig Folklore gereicht, die auf der „Bahnhofsvorplatzkulisse“, die mehr für Massenauflauf als für Kreishüpfen ausgerichtet schien, reichlich deplaziert anmutete. Erschwerend kam hier noch dazu, daß die Musik, sofern sie über die Hallen-PA übertragen wurde, dermaßen krächzte und schepperte, daß selbst der Sirtaki wie ein Marsch klang. Nahezu ebenso exquisit wie die Tontechnik war die

Beleuchtung. Zum Truppenauf marsch gabs Flutlicht wie auf dem Kasernenhof, und für die Folklore Suchscheinwerferkegel, die immer mindestens einen Meter neben das Geschehen leuchteten und so die Darstellenden komplett im Dunkeln ließen. Den Gipfel des Raffinements ereichte allerdings die Pausenbeleuchtung: Schwarzlicht! ( Schlecht für Jacketkronenträger wie die Discoerfahrung lehrt, und denkbar noch schlechter für Vollprothesen wie sich denken läßt).

Den Vogel schossen aber Monika Kluth und Karlheinz Calenberg mit ihrer Wir-kommen-aus-dem-Bahnhof-Nummer souverän vom Hallenhimmmel. Wärend Reserveoffizier Calenberg zumindest militärische Dienstgradbezeichnungen aber kein vernünftiges Englisch über die Lippen brachte, hatte Frau Kluth

selbst beim achten seiner Art den „Hauptfeldwebel“ noch nicht richtig heraus.

Trotz aller marschierenden Knobelbecher und aller militaristischer Form und Präsentation haben es die Veranstalter geschafft, in der letzten halben Stunde eine Art Gewöhnungseffekt zu erzielen. Da waren ja immer noch die netten Volkstanzgruppen und der Kinderchor und dann die putzigen Royal Scot Dragoon Guards, daß man fast versucht war, sich zu amüsieren. Wenigstens kann man bei dem Lärm nicht einschlafen.

Und die Märsche, die bei vielen grausige Assoziationen hervorrufen - der Zeigeist bringt mit ihnen nur noch Putzmittel in Verbindung. Aber ob das noch weitere fünfundzwanzig Jahre volle Hallen bringt?

Kerstin Dreyer

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