: Zeit für den großen Schlagabtausch
Mit Griffen unter die Gürtellinie suchen Parteien und Kandidaten in der CSFR ihre Positionen zu verbessern ■ Aus Prag Sabine Herre
Offiziell hat er noch gar nicht begonnen, und doch läuft er bereits auf Hochtouren: der tschechoslowakische Wahlkampf 1992. Am 5. und 6.Juni wird zwischen Böhmerwald und Hoher Tatra gewählt, und schon heute schlagen die Parteien und ihre Politiker kräftig aufeinander ein. Da entdeckt die linksliberale Bürgerbewegung den „Bolschewismus der Rechten“. Da wirft die Rechte der Linken vor, daß ihr Wahlsieg das Ende der Demokratie bedeuten würde. Da wird aus den Archiven hervorgekramt, wer wann etwas für oder gegen die frühere Menschenrechtsbewegung unterschrieben hat. Beliebtestes Angriffsziel der Konservativen ist Vladimir Meciar, der Vorsitzende der stärksten Partei der Slowakei. Um einen fast sicheren Wahlsieg der „linken Nationalisten“ doch noch zu verhindern, versucht man, dem ehemaligen Kommunisten in immer neuen Kampagnen seine Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst nachzuweisen. Letztes Beispiel: Meciar soll unter dem Decknamen „Doktor“ jahrelang Alexander Dubcek beschattet haben.
Für die Härte der angelegten Wahlkampfbandagen gibt es mehrere Gründe. Zwar wird im Juni bereits zum zweiten Mal seit der samtenen Revolution des Herbstes 1989 „frei“ und „demokratisch“ gewählt, es geht um die Abgeordneten von nicht weniger als vier Parlamenten des föderalen Staates. Doch die erste Wahl, so heißt es heute, sei vor allem eine Volksabstimmung gegen den Kommunismus gewesen, damals hätte es noch keine sozusagen „echten“ Parteien gegeben, solche mit einem ausdifferenzierten Programm. Tatsächlich hatte im Frühjahr 1990 das von Vaclav Havel gegründete „Bürgerforum“ mit seinem Slogan „Parteien sind für Parteimitglieder, das Bürgerforum ist für alle“ die damalige nachrevolutionäre Stimmung am besten getroffen, mit rund 50Prozent der Wählerstimmen konnte es einen überragenden Erfolg erzielen.
Zwei Jahre später ist alles ganz anders. Nicht nur das Bürgerforum hat sich in mindestens vier Gruppierungen gespalten; zerbrochen ist auch der nationale Konsens. Gestritten wird über nahezu alle grundsätzlichen Fragen: den weiteren Weg der Wirtschaftsreformen, den Erhalt des gemeinsamen Staates der Tschechen und Slowaken, die Bewältigung der Vergangenheit. In der CSFR gibt es heute mehr als hundert Parteien oder „politische Bewegungen“, fast wöchentlich wird die Gründung einer weiteren Gruppierung gemeldet.
Und während man noch vor wenigen Monaten erklärte, daß die traditionelle Links-rechts-Einteilung der politischen Kräfte in einem postkommunistischen Staat nicht angewendet werden könne, ist diese heute zum Wahlkampfthema geworden. Da die Plätze auf der rechten Seite des politischen Spektrums besonders beliebt, aber auch rar sind, bemüht man sich, den Gegner in die linke Ecke zu stellen, ein Großteil der linken Gruppierungen versucht dagegen krampfhaft als „Partei der Mitte“ zu gelten. Herausragendes Beispiel hierfür ist die Bürgerbewegung um Außenminister Jiri Dienstbier.
Um gegen ihr Image einer Partei der „ehemaligen Kommunisten“ anzukämpfen — ein Großteil der führenden Parteivertreter war Mitglied der KPC — haben sie sich Wahlkampfhilfe aus dem Ausland geholt. Von der bundesdeutschen FDP stammen nicht nur die blau-gelben Farben, in denen sich die Partei präsentiert, Außenminister Genscher und Otto Graf Lambsdorff liefern außerdem auch die ideologische Rückendeckung. Nur über die finanzielle Unterstützung schweigt man sich bisher aus... Weniger deutlich ist dagegen die Unterstützung, die die anderen großen Parteien aus dem Ausland erhalten. Doch auch die gibt es. So reisen die Sozialdemokraten der CSFR regelmäßig nach Österreich; auf der anderen Seite hat die konservative „Bürgerlich-demokratische Partei“ um Finanzminister Klaus seinen politischen Partner in der deutschen CDU gefunden, böse Zungen sprechen von einer Wahlkampfhilfe in „Millionenhöhe“; diese natürlich in DM. In den Wahlkampf greift jedoch auch der Staatsapparat ein. Im Februar prüfte die Staatsanwaltschaft, ob gegen den Reformkommunisten Zdenek Mlynar Anklage wegen Vaterlandsverrat — begangen am 21.August 1968 — erhoben werden kann, Mitte März wurde der Chefredakteur der ex-kommunistischen Parteizeitung 'Rude Pravo‘ unter dem Vorwurf des „unlauteren Wettbewerbs“ verhaftet. Da das Innenministerium zur Zeit damit beschäftigt ist, gemäß dem sogenannten „Lustrationsgesetz“ Tausende von Staatsangestellten auf eine Tätigkeit im Staatssicherheitsdienst zu überprüfen, dürfte man sich nicht wundern, wenn bestimmte Untersuchungsergebnisse noch rechtzeitig vor dem Wahltag veröffentlicht werden...
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