: Zeilenschinden in traumhafter Uferlage
■ Südlich von Potsdam, im Schriftstellererholungsheim am Schwielowsee, dichteten staatstreue Autoren ihre Romane oder machten Familienurlaub
Potsdam. Urlaub im betriebseigenen Ferienheim war für ehemalige DDR-Bürger so selbstverständlich wie heute der Gang ins Reisebüro. Dementsprechend flächendeckend wimmelte es auf jedem Grünflecken zwischen Ostsee und Erzgebirge von schmucklosen VEB-Bungalows, LPG-Ferienhäuschen und sterilen Mietskasernen des FDGB-Feriendienstes. Auch staatstreue Künstler durften wie beliebt verschnaufen — Komponisten im Komponistenerholungsheim, Bildhauer im Ferienhaus der bildenden Künstler und die Schriftsteller im Schriftstellererholungsheim. Letzteres liegt am Schwielowsee, südlich von Potsdam und glänzt nicht nur durch seine traumhafte Uferlage, sondern auch durch pompöse Herrenhausarchitektur der zwanziger Jahre. Hier räkelte sich Stefan Heym in den Ledersesseln des Salons, während Christa Wolf im Speisezimmer ihr Mittagessen einnahm. Maxie Wander hämmerte noch kurz vor ihrem Tod in ihrem Zimmer mit Seeblick »Guten Morgen du Schöne« in die hauseigene Schreibmaschine. Auch Günter Grass genoß noch vor zwei Jahren den Verdauungsspaziergang im dazugehörigen Park.
»Jetzt ist es hier ziemlich leer«, zieht Geschäftsführer Günther Schuchardt Bilanz. Das Erholungsheim, daß seit 1956 dem Schriftstellerverband der DDR gehörte, muß seit Monaten die Zimmer an Geschäftsreisende vermieten, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Der Kulturfond, jetzt eine private Stiftung, hält die Eigentumsrechte. Für dringend notwendige Umbau- und Renovierungsarbeiten fehlt das Geld. Und auch viele Schriftsteller blieben zu Hause, meint Schuchardt, weil ihnen das Geld für einen längeren Aufenthalt jetzt fehle. »Da müssen doch jetzt viele der früheren Gäste wieder in ihren herkömmlichen Berufen arbeiten, weil ihre Bücher nicht mehr aufgelegt werden«, weiß der gelernte Koch, der seit einem Jahr das Erholungsheim betreut.
Natürlich seien viele »Blockflöten«, die den sozialistischen Schreibstil gepflegt hatten, Nutznießer der herrschaftlichen Idylle gewesen. »In Ordnung war das hier nicht, weil das Haus ein Privileg war und von einigen schamlos ausgenutzt wurde.« So kam es des öfteren vor, daß einflußreiche Schriftsteller das Haus für sich allein in Anspruch nahmen. »Für alle anderen Schriftsteller hieß es dann, das Haus sei ausgebucht.« Welche Autoren solche Egozentrik an den Tag legten, will Schuchardt nicht verraten.
Insgesamt haben in der Villa dreißig Gäste Platz. Die Zimmer sind mit Betten, Schrankwand, Waschbecken und natürlich einem Schreibtisch versehen. Duschen und Toiletten befinden sich auf dem Gang. Eine Übernachtung kostete die Mitglieder des Schriftstellerverbandes früher 15 Mark, inklusive Vollpension. »Das konnte sich wirklich jeder leisten, hier längere Zeit zu wohnen und zu arbeiten.« Viele Schriftsteller, erzählt Schuchardt, seien monatelang mit Kind und Kegel angerückt. »Zum Arbeiten kommen die meisten allerdings allein.« Fünf bis sechs Autoren zur gleichen Zeit im Schreibprozeß sei äußerstes Maximum im Haus. »Die gehen sich sonst gegenseitig ganz schnell auf die Nerven.« Da kann schon das Klappern der Schreibmaschine im Nachbarzimmer zur Tortur werden. Willkommen ist deshalb auch eine Spende einer westdeutschen Stiftung, die das Heim demnächst mit modernen Computeranlagen ausstatten will.
Durch das Schriftstellerdorado hat auch das benachbarte Dorf Petzow literarische Erwähnung gefunden. Noch vor gar nicht langer Zeit hat der Westberliner Krimi-Autor -ky zusammen mit Steffen Mohr einen Krimi im Erholungsheim geschrieben. [Ist ihm auch anzumerken — gähnend langweilig! d. säzzer] »Da wird Petzow als Petzerow erwähnt«, weiß Schuchardt. Und auch Maxie Wander soll einige ihrer Interviews mit Frauen aus dem Dorf gemacht haben. Für die Petzower ist das Herrenhaus selbst wesentlich interessanter als die angeblichen »Blockflöten«, die dort jahrelang verkehrt haben. Oft rückten Filmteams der DEFA an, um Landhausszenen im und um die Schriftstellervilla zu drehen. Im Dorf geht das Gerücht um, daß der Bau sogar einmal der Boulevardschauspielerin Marika Röck gehört haben soll. »Alles Mist«, kommentiert Schuchardt den Dorftratsch. Marika Röck sei dort höchstens ein paarmal zu Gast gewesen, als das Haus einem bekannten Industriellen aus Berlin gehört habe. Und das war natürlich vor dem Krieg. Ein älterer Petzower, dessen Familie sich bis ins 13. Jahrhundert zurüchverfolgen läßt, will hingegen wissen, daß das Haus vor dem Krieg dem Direktor der UFA gehört haben soll. Schuchardt hofft auf die Zukunft. Demnächst würden drei Nachwuchsautoren aus Berlin zum Schreiben hierherkommen. Das sei immerhin wieder ein Anfang. Auch für die Dorfkneipe, wie viele Petzower wissen. Christine Berger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen