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Zehnte Berlin BiennaleNicht ohne meinen Kurzführer

Die diesjährige Biennale, kuratiert von Gabi Ngcobo, ist außereuropäisch und kommt überraschend leicht daher. Stellenweise ist sie auch hermetisch.

Besucherinnen stehen vor einem Teil des Wandbilds von Firelei Baez Foto: dpa

Großzügig, elegant und leicht gehängt und eingerichtet: das ist der erste Eindruck von der 10. Berlin Bien­nale, die nun eröffnet ist. Die Künstler*innen und ihre Arbeiten haben Raum und Lust an Farbe wie an der Arbeit mit einfachen Materialien. Damit eignet dieser Biennale etwas überraschend Leichtes und Schwebendes. Wobei sich angesichts der zarten, zu Gruppen gefügten wenigen Gräser, die in der Berliner Akademie der Künste an verschiedenen Stellen aus dem Parkett sprießen, allerdings die Frage stellt: Geht das nur mir so, dass ich „Trans:plant“ (2018) von Sara Haq doch eher kitschig als kunstsinnig finde? Ist das mein eurozentrischer, vielleicht sogar mein deutscher Blick?

Denn das ist sie auch, die 10. Biennale: deutlich außereuropäisch. Die Mehrzahl der Künstler und Künstlerinnen stammt aus dem subsaharischen Afrika, auch wenn ihr Arbeitsplatz heute Brooklyn, Berlin, London oder New York heißt. Dazu kommen Südamerika, die Karibik und die USA als Orte der afrikanischen Diaspora. Das überrascht. Im Vorfeld der Biennale hatten die Leiterin Gabi Ngcobo und ihr Team eine identitätspolitische Ausrichtung verneint. Jetzt aber ist es doch so. Und damit stellt die Biennale, so leichtfüßig sie auf den ersten Blick daherkommt, einige Anforderungen an das Publikum, sofern es die Arbeiten über ihren rein visuellen, ästhetischen Ausdruck hinaus verstehen will.

Im KW Institute for Contemporary Art etwa beginnt der Rundgang einladend mit Cinthia Marcelles Arbeit „Legendaries“ (2008 – fortlaufend). Die brasilianische Künstlerin identifiziert dazu 14 Angestellte einer In­sti­tution, die eher unerkannt im Hintergrund arbeiten, veranstaltet mit ihnen ein geselliges Zusammentreffen, an dessen Ende sie ihr Gruppenporträt aufnimmt.

Vorlage dazu ist eine 1942 entstandene Fotografie von einer 14-köpfigen Künstlergruppe, unter ihnen exilierte Künstler wie Max Ernst, Piet Mondrian und Marcel Duchamp. So lernt man nun in Berlin bis dahin völlig unbekannte Mitarbeiter der KW schätzen. Und dann geht es an Mildred Thompsons bunten Grundrisszeichnungen und Lorena Gutiérrez Camejos beeindruckendem, aus hunderten Einzelbildern zusammengesetztem, militärisch flaggenbuntem Großformat „Wo sind die Held*innen?“ (2015–16) vorbei, gleich ins Herz der Ausstellung, die große Halle.

Manches ist deutlich, anderes nicht

Zunächst fallen, in rotes Licht getaucht, die Haufen roter, oft schon zerbröselter Backsteine auf, die sich im Raum verteilen; dazu kommen Videoscreens, eine Menge Plastik­eimer, zwei Kürbisskulpturen und eine beeindruckende riesige Art Discokugel aus Pappe. Um dahinterzukommen, dass sich Dineo Seshee Bopapes Installation „Untitled (Of Occult Instability) (Feelings)“ (2016–18) auf den Prozess gegen den ehemaligen südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma bezieht, der 2005 wegen Vergewaltigung von Fezekile Ntsukela Kuzwayo angeklagt war, braucht man freilich die Erklärung des Kurzführers. Nur dann weiß man vom gesellschaftlichen Kontext, fragt sich aber weiterhin, inwieweit dieser in der Installation sichtbar wird oder die Möglichkeit eines sozialen Handlungsraums gegen die endemische sexuelle Gewalt, die Frauen in Südafrika erfahren.

Fabiana Faleiros dann wieder überdeutliche „Mastu Bar“ (2015 bis 2018) in dem kleinen Keller nebenan einzurichten: ist das eine gute Idee? Wo man auf Vaginakissen gebettet Donna Sommers Hit „I Feel Love“ in Faleiros Version lauscht, in der sie mögliche Masturbationstechniken besingt? Tatsächlich fällt immer wieder die Ungleichgewichtigkeit der gezeigten Arbeiten auf. Für „Sitting on a Man’s Head“ (2018) im großen Raum, der das erste und zweite Stockwerk der KW einnimmt, haben Okwui Okpokwasili und ihr Partner Peter Born einen leeren Perfor­mance­raum eingerichtet.

Biennale-Besucher*innen sollen eigene Erfahrungen und Erinnerungen in Lieder packen und gemeinsam tanzend veröffentlichen.

Die Besucher*innen sollen dort nach einer Partitur genannten Anweisung aktiv werden. Sie bezieht sich auf eine Revolte nigerianischer Frauen, die sich im Hof der Kolonialbeamten versammelten und diese so lange mit sexuell anzüglichen Liedern bedachten, bis die Beamten auf ihr Anliegen eingingen, ihre öffentliche Schmähung zu beenden. Nun sollen Biennale-Besucher*innen eigene Erfahrungen und Erinnerungen in Lieder packen und gemeinsam tanzend veröffentlichen. Das ist höchstens Therapie statt Revolte und eine ziemlich inadäquate Würdigung des Protests der nigerianischen Frauen.

Individuelle Lebenswege im Fokus

Tatsächlich ist der Fokus der Biennale eher aufs Individuelle, Biografische gerichtet. Oft in einem durchaus anregenden Wechsel von Fotografie, Zeichnung, Malerei, Skulptur, Installation und nicht allzu viel Video. Hinreißend sind da etwa die Linolschnitte von Gabisile Nkosi (1974 bis 2008) zum Alltag in den Townships von Südafrika, zu dem zentral die Frage der HIV-Infektion gehört. Man meint, glückliche Gelassenheit im Gesicht eines Mannes zu erkennen, und unzweideutig ist der heftige Streit zwischen einer Frau und einem Mann. (Nkosi wurde 2008 von ihrem früheren Freund getötet.)

Gleichermaßen virtuos mit Drucktechnik arbeitet in der Akademie der Künste Belkis Ayón (1967 bis 1999). Ein dreiteiliges Wandbild, in dem sie das Initiationsritual und seine Teilnehmer des ausschließlich Männern vorbehaltenen afrokubanischen Geheimbundes Abakua ins Bild setzt, entstand durch das minutiöse Schichten collagierter Mate­ria­lien und Objekte auf Pappe. Ja, die Künst­ler*in­nen befragen ihr Material und ihr Gestaltungskonzept durchaus hartnäckig nach den ihnen inhärenten Ausdrucksmöglichkeiten. Die dann aber oft ins Esoterische driften.

Die Biennale

09. Juni bis 09. September in Berlin. Standorte bis Kataloge unter: berlinbiennale.de

Dort freilich, wo es einem am offensichtlichsten erscheint, weil Johanna Unzuetas Aquarell- und Pastellzeichnungen so stark an die frühen Ab­strak­tionen der vor fünf, sechs Jahren gefeierten ­schwedischen Malerin und Theosophin Hilma af Klint (1862–1944) erinnern, geht man fehl. Die aufwendigen, komplexen Geometrien der chilenischen Künstlerin sind Muster aus dem Fundus indigener Webkunst. Unzueta zog auch die Fäden für das bunte, raumgreifende Wandbild außen am Zentrum für Kunst und Urbanistik, dem dritten Standort der Biennale.

Dazu kommt noch der Pavillon an der Volksbühne, in den das Performance-Duo Las Nietas de Nono die Sprache des Barrio in die Biennale tragen wollen. Im HAU 2 diskutiert man noch und hält Seminare ab, bevor das Künstlerkollektiv Keleketla! Library am 15. Juni mit dem Thath’i Cover Okestra seine Auftritte hat. Im Genre des populären Kwaito werden der Alltag, die Rätsel der Liebe und der Drogen besungen. Aktivismus ist nicht zu befürchten und schon gar kein Agitprop wie von der 8. Ausgabe noch erinnerlich.

Emblematisch für den Geist der 10. Biennale könnte Agnieszka Brzeżańskas Serie „Kobayashi Maru“ (2014) sein. Die von der polnischen Künstlerin mit Acrylfarbe, Tintenstrahldrucker, Metall oder Faserplatte collagierten Geometrien verdecken bis auf einen kleinen Rand die darunter liegenden Nachrichtenbilder. Damit sind Kriegsszenen, Fotos von Polizeigewalt, übler industrieller Nutztierhaltung und anderen ökologischen Katastrophen nur mehr zu erahnen, weggeblendet vom schönen Sein der Kunst.

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