Zehn Jahre Drogennotdienst

■ Notdienst für Suchtmittelgefährdete und -abhängige Berlin e.V. feiert sein zehnjähriges Jubiläum / Das hier entwickelte Konzept der suchtbegleitenden Drogenarbeit ist inzwischen allgemein anerkannt

„Bei uns ist rund um die Uhr jemand zu sprechen“, bekräftigte der Geschäftsführer vom Drogennotdienst in Berlin-Schöneberg, Michael Hoffmann-Bayer. Er verwies anläßlich des zehnjährigen Bestehens des Vereins darauf, daß der Drogennotdienst mit seinem 24-Stunden-Service neue Wege in der Drogenarbeit beschritten habe. Schließlich dürfe die Möglichkeit, bei Drogenproblemen Hilfe zu erhalten, nicht von begrenzten Öffnungszeiten abhängig sein. Ein Konzept, das sich in den letzten zehn Jahren offensichtlich als richtig erwiesen hat.

Der 1984 gegründete „Notdienst für Suchtmittelgefährdete und -abhängige Berlin e.V.“, beschäftigt mittlerweile neunzig MitarbeiterInnen, die überwiegend von der Senatsverwaltung für Jugend und von Wohlfahrtsverbänden finanziert werden.

Ingrid Stahmer, Senatorin für Gesundheit und Soziales, würdigte die Arbeit des Drogennotdienstes mit einer Ansprache, in der sie den MitarbeiterInnen ausdrücklich ihren Dank aussprach. Sie lobte das seinerzeit geradezu revolutionäre Konzept des Notdienstes, nicht nur „cleane“ Hilfesuchende aufzunehmen, das inzwischen bei fast allen drogentherapeutischen Einrichtungen anerkannt ist. „Ein Mehr an Repression nützt nichts, und polizeiliche Vertreibungsverfahren helfen niemandem“, sagte die Senatorin. Vielmehr habe sich die durch den Notdienst eingeführte akzeptierende oder suchtbegleitende Drogenarbeit als richtiger Ansatz erwiesen. Das belegt die hohe Zahl der Heroinabhängigen, die im vergangenen Jahr die Einrichtung des Drogennotdienstes in Anspruch genommen haben. Von den geschätzten 8.000 Berliner Süchtigen hätten immerhin rund 4.500 Hilfseinrichtungen in Anspruch genommen. Mehr als die Hälfte von ihnen habe sich an den Drogennotdienst gewandt.

Die Senatorin setzte klare Prioritäten innerhalb der „Hierarchie“ der Interventionsmöglichkeiten der Suchtkrankenhilfe. An erster Stelle stehe dabei die Sicherung des Überlebens, gefolgt von einer Sicherung des gesunden Überlebens. Auf die Frage, ob denn nicht auch die Einrichtung von sogenannten Druckräumen nach dem Frankfurter Beispiel zur Sicherung des Überlebens beitragen könne, äußerte sich Stahmer ablehnend. Die Einrichtung von Druckräumen könne sie aus rechtlichen und inhaltlichen Gründen nicht befürworten. Dennoch wolle sie sich ansehen, wie Frankfurt oder Zürich mit der Einrichtung solcher „Fixerräume“ klarkommen.

Die Drogenbeauftragte des Jugendsenators, Elfriede Koller, schilderte die neueren Entwicklungen auf dem Drogenmarkt. Da heute zwei Drittel aller Süchtigen Mischkonsumenten seien, die neben Heroin und Kokain auch noch Alkohol und Barbiturate konsumierten, sei der Entzug mittlerweile schwieriger und die Drogenszene insgesamt im Vergleich zu früher gewalttätiger geworden.

Zum allgemeinen Trend äußerte sich Geschäftsführer Hoffmann-Bayer, der erklärte, daß die Abhängigkeit von harten Drogen nicht zurückgegangen sei. Die Zahl der Süchtigen nehme zwar nicht mehr so stark zu wie früher, dafür aber die Dauer der Abhängigkeit. Während vor zwanzig Jahren hauptsächlich Jugendliche in einer persönlichen Umbruchphase Heroin genommen hätten, sei die Heroinsucht heute mehr und mehr zu einem Problem sozial Benachteiligter geworden. Das Durchschnittsalter der Junkies liege mittlerweile bei 29 Jahren. Viele der Süchtigen hätten inzwischen bereits Kinder.

Neben Beratung und Weitervermittlung zu Therapieeinrichtungen bietet der Notdienst Süchtigen auch Dusch- und Übernachtungsmöglichkeiten sowie etwas zu essen. „Wir können Menschen in solch einer Krisensituation nicht auch noch mit Obdachlosigkeit konfrontieren“, erklärt Hoffmann- Bayer. Jeder könne kommen, die Bereitschaft zum Ausstieg sei keine Voraussetzung. Ausstiegswilligen jedoch bietet der Notdienst mit dem Modellprojekt „Therapie sofort“ Hilfe ohne die übliche wochenlange Beantragungszeit. Das heißt, daß binnen 24 Stunden die Finanzierung eines Therapieplatzes organisiert werden kann. Nach Auskunft des Vereins haben in den vergangenen eineinhalb Jahren bereits 160 Menschen diese Möglichkeit in Anspruch genommen.

Der Ansatz des Vereins ist nach wie vor umstritten. Durch die unkomplizierte, voraussetzungslose Hilfe, monieren Gegner, werde der Leidensdruck abgeschwächt, der zur Beendigung einer Sucht nötig sei. Aber die Erzeugung therapeutischen Drucks ist ohnehin nicht die Sache des Notdienstes. Ziel des Notdienstes bleibe es, erste Schritte auf dem Weg aus der Sucht anzubieten. Michael Hoffmann-Bayer weiter: „Wie dieser Anstoß jeweils genutzt wird, bleibt die Frage an jeden einzelnen.“ Peter Lerch

Notdienst für Suchtmittelgefährdete und -abhängige Berlin e.V., Ansbacher Str. 11, am Wittenbergplatz. Telefon: 218 31 70.