Zehn Jahre Die Linke: Harmonie statt Sozialismus
Bei der Linkspartei herrscht Harmoniesucht. Damit die beiden Parteiflügel nicht wieder auseinanderdriften, werden Grundsatzthemen vermieden.
Es hätte auch anders kommen können. Denn am vergangenen Freitag stimmten die Länder im Bundesrat über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab. Darin hatte der Finanzminister auch die zukünftig privatrechtlich organisierte Autobahngesellschaft geschmuggelt. Sahra Wagenknecht, Fraktionschefin der Linkspartei, lehnte das Paket im Bundestag daher ab. Ihre Vertraute, die Abgeordnete Sevim Dağdelen, warnte in einem offenen Brief insbesondere an die Adresse der drei Länder, in denen die Linke mitregiert: „Es ist eine entscheidende Frage für die Glaubwürdigkeit von Die Linke, dass sie standhaft und konsequent in der Grundsatzfrage der Privatisierung bleibt.“
Doch die Linkspartei in Thüringen, Brandenburg und Berlin stimmten zu. Sollten sie etwa 2 Milliarden Euro für ihre Staatssäckel auf der Straße liegen lassen?
Am Tag danach tagt der Parteivorstand in der Berliner Zentrale. Die Berliner, Brandenburger und Thüringer Landesverbände werden zu Abtrünnigen erklärt, Bodo Ramelow wird aus der Partei ausgeschlossen? Ach was! Der Vorstand beschließt eine Erklärung, dass man ab sofort gegen Autobahnprivatisierungen kämpfen wolle. Unterschrieben auch von Bodo Ramelow und Sahra Wagenknecht. „Eine Meisterleistung“, gratuliert sich Parteichef Riexinger selbst.
Die Langweile
Zehn Jahre nach ihrem Gründungsparteitag in Berlin kommt die Linkspartei an diesem Freitag zum Parteitag in Hannover zusammen. 579 Delegierte werden über das Wahlprogramm und rund 300 Änderungsanträge diskutieren. Die Linkspartei fordert das, was sie immer fordert: Hartz IV abschaffen, bessere Renten und Löhne, höhere Steuern für Reiche und Frieden auf Erden.
Wie diszipliniert und geordnet es inzwischen in der Linkspartei zugeht, zeigt nicht nur der im Keim erstickte Zwist über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Strittiges, wie die Frage, wie es die Linkspartei mit der auch bei Rechtspopulisten verhassten EU hält, hat der Parteivorstand bereits zuvor abgeräumt. Oder es steht gar nicht auf der Tagesordnung, wie der Vorschlag für ein Einwanderungsgesetz, den sieben Landesvorsitzende kürzlich publizierten. Der Hannoveraner Parteitag verspricht einer der langweiligsten in der Parteigeschichte zu werden.
Das liegt nicht nur an der derzeit fehlenden Machtoption, die verhindert, dass etwa die detaillierten Steuerpläne im Wahlprogramm der Linken oder der Mindestlohn von 12 Euro ab der nächsten Legislaturperiode tatsächlich umgesetzt werden. Sondern auch an der Harmoniebedürftigkeit der Partei. Bloß keine ideologischen Grundsatzdebatten – wie keine andere Partei sehnt sich die Linkspartei nach Frieden. Auf der Welt sowieso und in den eigenen Reihen.
Einige in der Linkspartei sagen: Es herrsche Friedhofsruhe. Wer den Kopf rausstrecke, kriege eins auf den Deckel. Die Zitatgeber wollen bezeichnenderweise nicht genannt werden.
Das war mal anders.
Als sich die frisch gegründete Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit und die PDS 2005 erstmals für die Bundestagswahl zusammentaten und am 16. Juni 2007 in Berlin zur Partei „Die Linke“ vereinigten, ging es für beide zunächst nur bergauf. Der bislang ausschließlich als Ostpartei wahrgenommenen PDS gelang im Verbund mit den abtrünnigen Sozialdemokraten der Einzug in sieben von zehn westdeutschen Länderparlamenten. Bei der Bundestagswahl 2009 holte die Linke fast 12 Prozent.
Die Transformation
Doch die rasche Vereinigung der unterschiedlichen Milieus und die schnellen Erfolge forderten ihren Tribut.
Bis 2009 sei die Linke eine Protestpartei gegen die Agenda-Reformen gewesen, die enttäuschte SPD-Wähler einsammelte, sagt Horst Kahrs, der für die linksparteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung Wahlen und Parteien analysiert. Danach habe die Aufgabe angestanden, aus der Bewegung eine Parlamentspartei zu machen. „Stattdessen steckte man zu wenig Energie in die Transformation und zu viel in innerparteiliche Konflikte. Infolgedessen flog die Partei wieder aus den Landtagen.“
Den Höhepunkt erreichten die inneren Differenzen auf dem Göttinger Parteitag vor fünf Jahren.
Gregor Gysi, der damalige Fraktionsvorsitzende, sprach von Hass in der Fraktion, die westlichen Landesverbände sangen die Ostverbände nach der gescheiterten Wahl von deren Kandidaten Dietmar Bartsch zum Parteivorsitzenden nieder: „Ihr habt den Krieg verloren.“
„Dieser Parteitag war das politisch Krasseste, was ich je erlebt habe“, erzählt Jan Korte, der einst von den Grünen zur PDS stieß und heute Fraktionsvize der Linkspartei im Bundestag ist. „Nach der Rede von Gysi hatten gerade viele Ältere Tränen in den Augen.“
Der Stillstand
Auf jenem Parteitag wurden Katja Kipping und Bernd Riexinger zu Vorsitzenden gewählt. Sie führen die Partei bis heute. Das Duo, sie gebürtige DDR-Bürgerin, Repräsentantin des grünen-affinen, urbanen Milieus, er Baden-Württemberger und Gewerkschaftler durch und durch, söhnte die zerstrittenen Parteiströmungen miteinander aus.
Doch das reicht nicht, meint Kahrs. „Die Partei wird seit der letzten Bundestagswahl zu wenig weiterentwickelt und zu viel verwaltet.“ Nicht nur Kahrs beklagt politisch-strategischen Stillstand in der Partei. Auch Korte sieht gerade nach den letzten Landtagswahlen, bei denen die Linke im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ihre Wahlziele verfehlte, Bedarf, stärker darüber zu reden, „wohin wir mit dem Laden in den nächsten zehn Jahren eigentlich wollen“.
Wie bindet man einerseits die jungen, akademisch gebildeten Menschen, die seit dem vergangenen Jahr verstärkt in die Partei eintreten, und andererseits die verbliebenen Proletarierer, die nun verstärkt die AfD für sich entdeckt haben, ein?
Das, was fehlt
Petra Pau, PDS-Mitglied der ersten Stunde und seit 2006 Vizepräsidentin im Bundestag, sieht zusätzlich zur sozialen Frage vor allem Nachholbedarf bei Themen wie Digitalisierung, Demokratie und Bürgerrechte. Diese würden zu oft den Spezialisten überlassen. Bereits vor drei Jahren verlangte sie daher in einem Aufsatz zur Linken im 21. Jahrhundert: „Rote müssen zugleich Grüne und Piraten sein.“
Bisher ist das nur vereinzelt der Fall. Von den Wählern, die Grüne, SPD und Piraten in NRW verloren zog es nur 2,5 zur Linkspartei. Warum das so ist, wird sich die Linke fragen müssen. Vielleicht schon in der Aussprache auf dem Parteitag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin