: „Zarter als Entenflaum“
■ Ein ideales Haustier: handlich, weich, sauber und genügsam / Die Vogelspinne kommt ein Jahr lang ohne Futter und Wasser aus / BesitzerInnen träumen von einer richtigen Züchtung / Kein Problem bei 500 Jungen
Das Tier ist klein und schwarz behaart: „Ihr Fell ist ganz, ganz weich, zarter als Entenflaum, das spürst du kaum“, schwärmt Ulli. Streicheln läßt sich das Objekt der Begierde, eine kinderfaustgroße Vogelspinne, allerdings noch nicht. „Sie ist noch zu jung, sozusagen erst in der Pubertät, und sehr sensibel.“ Seit zwei Jahren ist die 23jährige Studentin Besitzerin einer Brachypelma vagans, einer erdlebenden Vogelspinne. In seinem gläsernen Terrarium sitzt das Tier unbeweglich unter der wärmenden Neonsonne, und das manchmal stundenlang. „Ein richtiges Vorbild für gesundes Leben“, sagt Ulli, „und weil sie sich so wenig bewegen, werden sie auch zehn Jahre alt.“
Früher habe sie eine richtige Spinnenphobie gehabt, erinnert sie sich. Bei einer Freundin sah sie zum ersten Mal eine Vogelspinne und war fasziniert: „Ich habe die stundenlang angestarrt.“ Als die Spinne dann Junge bekam, immerhin rund 500 Stück, wurde ihr eines geschenkt. Inzwischen ist Ulli zu einer richtigen Vogelspinnenspezialistin geworden - und stößt mit ihrer Begeisterung für das achtbeinige Insektentier nicht immer auf Verständnis: „Viele denken, ich will mich nur wichtig machen. Wieder so 'ne Abgedrehte: ist nach Berlin gezogen und hat sich eine Vogelspinne angeschafft.“ Es sei gar nicht so einfach, den Leuten klarzumachen, daß nicht jeder, der eine Spinne hat, automatisch spinnen muß. „Spinnen sind gar nicht so dumm“, versucht sie dann zu erklären. Im Gegenteil, eine Vogelspinne sei eigentlich ein nahezu ideales Haustier: „Sie ist ruhig, sauber, macht keinen Dreck, verliert keine Haare und ist sehr genügsam.“ Man möchte zum Beispiel verreisen? Bitte sehr! Niemand bracht sich um eine Brachypelma vagans zu kümmern, denn das Tier kommt ein Jahr lang ohne Nahrung und Wasser aus. Ullis Spinne allerdings hat es da beser: Die WG-MitbewohnerInnen haben sich inzwischen so an das Tier gewöhnt, daß sie ihr bei Abwesenheit der Besitzerin frisches Wasser und lebende Heuschrecken zuteilen. Die gibt es im Kaufhaus zu kaufen, für sechs Mark fünfzig im Zehnerpack.
Andere WG-Besucher mochten jedoch nicht mit einer Spinne in einem Zimmer schlafen. Zu dem Ekel vor haarigen Spinnenbeinen kommt oft noch die Angst vor giftigen Spinnenbissen. „Völlig harmlos“, versichert dagegen Ulli. Das Gift einer Vogelspinne habe ungefähr die Wirkung eines Wespenstiches. Dafür hat die Spinne allerdings beachtliche Zähne, mit der sie ihre Beutetiere, Heuschrecken, Mäuse und sogar kleine Vögel, knacken kann. Über 130 Vogelspinnengattungen sind inzwischen bekannt, von der schwarz-weiß gemusterten Seemanni, deren Zeichnung an ein Matrosen-T-Shirt erinnert, bis zur silbern glänzenden Avicularia metallica mit orangefarbenen Füßen. Eine solche Spinne will Ulli sich als nächstes anschaffen. 50 bis 100 Mark kostet ein Jungtier im Zoohandel. Sogar dressieren läßt die Spinne sich: „Nach ein paar Jahren kommt sie raus, wenn man mit ihr redet“, erzählt Ulli. Voraussetzung ist allerdings die entsprechende Zuwendung: Mindestens eine viertel Stunde täglich, besser noch eine Stunde Aufmerksamkeit und Gespräch. Ullis Freundin besitzt bereits zehn Vogelspinnen: „Eine von den kleinen ist ganz besonders zutraulich. Die läßt sich sogar am Bauch streicheln.“ Eine andere ist als Ausbrecherkönig bekannt. Kein Gefängnis, daß sie bislang noch nicht überwinden konnte. Die beiden Freundinnen tauschen sich ständig über ihre Spinnen aus: „Das geht manchmal stundenlang, dann sitzen wir vor dem Terrarium und träumen davon, eine eigene Zucht aufzumachen.“ Vorher würden die Spinnenhalterinnen gerne mit anderen Züchtern in Kontakt kommen. In England haben sich die Vogelspinnenhalter in der „Tarantula Keeper Fellowship“ organisiert. Weiterhelfen kann dem wissensdurstigen Spinnenhalter oft schon ein Besuch im Berliner Zoo. Rund 200 Vogelspinnen werden dort gehalten. Wenn sich das passende Gegenstück findet, ist auch eine Deckung unter Aufsicht des Abteilungsleiters des Insektariums möglich. In einem von zehn Fällen geht die Paarung daneben: Während des Aktes beißt das Weibchen das hilflose Männchen tot, um es danach genüßlich zu verspeisen.
gutl
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