: Zappeln in der Tändelleitung
■ Die „Flirt-Line“ der Telekom: Karl ist Wassermann / Kein Flirt für viel Geld / Ein Selbstversuch
Bis eben noch hörte ich Stimmen. Männerstimmen meistens. Klar und ruhig, unsicher und leise oder aufgeregt. Keine Krankheit: mein neuestes Hobby! Ein ehrliches obendrein, ich jedenfalls habe dafür nicht schlecht bezahlt. „EineMarkfünfzehndieMinute.“ So fing es an.
„EinemarkfünfzehndieMinute“ sagte die junge Frauenstimme am anderen Ende der Telefonleitung. Dann redete sie gleich weiter, ohne Zwischenfragen zu dulden. Gut so, denn ihre Zeit ist mein Geld. Einsfünfzehn die Minute, ob Tag, ob Nacht, da macht sie keine Unterschiede: Sie ist von der Legion Telekom. Ich darf dafür anrufen, wann ich möchte, rund um die Uhr ist sie für mich da.
Allerdings interessierte mich ihre Stimme am wenigsten. Schon weil ich wußte, daß sie vom Computer kommt. Ich wollte die anderen Stimmen hören, die echten, von Leuten, die wie ich flirten wollten. Mein neues Hobby hieß nämlich „Flirt-Line“, Tändel-Leitung auf deutsch. Tagelang zappelte ich in der Leitung wie der Fisch am Haken.
Denn leider ist es mit dem Tändeln am Telefon wie mit dem Flirt im echten Leben gar nicht so einfach. Dabei sang mir die Stimme so verführerisch ins Ohr: „Flirt-Line ermöglicht es dir, auf einfache Art und Weise nette Leute kennenzulernen.“
Per akkustischem Flirt-Gesuch zum Beispiel. Fünf Tage lang würden meine Such-Worte im norddeutschen Netz bleiben, versprach die Service-Legionärin. Und mich die Dauer meines Anrufs kosten ... ich rechnete: Runde 14 Mark plus weitere Anrufe, um die Angebote einzuholen. Hobbies kosten, und es hätte ja die Chance meines Lebens sein können.
"Oder du kannst die Anzeigen anderer anhören," schnurrte die Stimme. Das wollte ich: Meiner Traumfrau selbst etwas in den Speicher flüstern. Nur - erst mußte ich sie finden. Herrjeh, was habe ich nicht alles zu hören bekommen. Angebote aus Hamburg und Oldenburg statt aus Bremen, von Männern statt von Frauen: "Hallo. Ich heiße Karl. Bin Wassermann," tönte es unter meiner Wahlrubrik "drei" für den gleichgeschlechtlichen Flirt aus dem Hörer. "Ich suche neue Bekannte" - wer hätte das gedacht? Der blonde Pit, 74 Kilo schwer und aus der Theaterbranche, weiß genauer, was er will: "Er soll schlank sein."
Auch ich wußte, was ich wollte - und dehnte die Suche aus. Da erschien mir Issam, der das Spiel auf seine Art forciert hatte. Als Mann aller Altersgruppen inserierte er zwischen den Teens und den Twens.
Flirts sind unberechenbar. So glaube ich, denken Telekom Legionäre. Warum sonst sollten sie gestatten, daß jeder einzelne meiner Wünsche im digitalen Nirwana ihres Rechners verschwindet? Dabei habe ich Minuten und Aberminuten brav zugehört, klar meine Wünsche in Zahlen gefaßt - und geduldig auf die gewünschte Flirt-Kombination gewartet. Für über 70 Mark - bis heute.
Heute habe ich wieder in den „Bremer“ geschaut. Und die Werbe-Anzeige der Legion gelesen: „Damit es mal wieder funkt!“ Gerade eben habe ich mein telekomisches Legionärs- Telefon eingehängt. Ein für alle Mal. Es hat gefunkt! Eva Rhode
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