: Zaghaft gegen Staatsschutzgesetze
■ Manifest und Kongreß gegen neue Gesetze geplant / Juristen–Veranstaltung in Bonn von breitem Spektrum getragen, aber schlecht besucht / Selbstkritische Stimmen: 1986 die Gesetzesverschärfungen „verschlafen“
Aus Bonn Oliver Tolmein
„1986 haben wir alle geschlafen - auch wir linken Verteidiger. Über der Argumentation gegen die Kronzeugenregelung haben wir alle anderen Gesetzesverschärfungen einfach durchgehen lassen“. Die selbstkritischen Töne von Rechtsanwalt Wolfgang Bendler von den Strafverteidigervereinigungen blieben am Samstagnachmittag in der Bonner Beet hovenhalle die Ausnahme. Auf dem Podium des „Forums gegen die Verschärfung des politischen Strafrechts“ übten sich, die meisten Herren in General–Attacken gegen die Gesetzesvorhaben der Bundesregierung. So schnell die Einigkeit im Allgemeinen erreicht war, so wenig mühte man sich die Differenzen im Konkreten und ihre Auswirkungen für Strategien gegen die neuen Staatsschutzgesetze zu klären. Das bemerkens wert breite Spektrum, das die Veranstaltung trug - Strafvert Zerreißprobe ausgesetzt werden. Leider wurde aber übervorsichtig schon auf jede Spannung verzichtet. Der Einführungsvortrag des Hannoveraner Strafrechtsprofessors Friedrich Dencker hatte dabei einige bemerkenswerte analytische Ansätze geliefert. Dencker versuchte den Gesetzentwurf der Bundesregierung systematisch einzuordnen. Es gebe, argumentierte er, zwei Strafrechtsmodelle in der Rechtsphilosophie: das Bürgerstrafrecht und das Feindstrafrecht. Während das Bürgerstrafrecht nur von einem tatsächlich stattfindenden Täterverhalten ausgehe, Gesinnung, Planung oder Vorbereitungshandlungen für sich alleine nie strafbar seien, orientiere sich das Feindstrafrecht am Bild des zum „Bösen“ entschlossenen Gegners der Rechtsordnung, der bekämpft werden muß. Im Zentrum des Rechts steht damit aber die potentielle Gefährlichkeit des Menschen - nicht mehr seine konkrete Tat. Die strafrechtliche Entwicklung der letzten zehn Jahre, das war Denckers Resümee, gehe weg von der Tatschuld hin zur Gefährlichkeitsvermutung. Von Denckers Ansatz ausgehend ist die Unbestimmtheit der Vorschriften, die auch das Artikelgesetz der Bundesregierung prägen, nicht ein isoliert zu kritisierendes Problem, sondern geradezu Prinzip eines solchen, feindstrafrechtlich denkenden Entwurfes. Demgegenüber argumentierte Rechtsanwalt Schwammborn von der VdJ eher konventionell gegen die Verschärfung des politischen Strafrechts: Es würde regelmäßig unter Ausnutzung kurzfristiger Stimmungen überstürzt verabschiedet. Erforderlich sei deswegen eine „sicherheitspolitische Denkpause“, um zu analysieren, was die Verschärfungen der letzten Jahre „wirklich gebracht hätten“. Ein Vorschlag, der bei den wenigen ZuhörerInnen - trotz des großen Veranstalterkreises waren nur knapp 100 Personen gekommen - allerdings auf wenig Resonanz stieß. Konkrete Ideen, wie gegen die neuen Gesetze vorzugehen sei, brachten am Ende des Forums vor allem Roland Appel und Dieter Hummel von den Grünen, die am Vormittag mit ehemaligen VoBo– Gruppen ebenfalls ein Treffen zum Thema gehabt hatten ein: Es solle ein Manifest nach dem Vorbild des Krefelder Appells gegen die neuen Sicherheitsgesetze verfaßt und von einem möglicht großen Trägerkreis unterstützt werden. Außerdem soll im Herbst, ebenfalls von einem möglichst breiten Spektrum getragen, ein großer Kongreß gegen den Sicherheitsstaat durchgführt werden. Darauf könne man sich, so hieß es übereinstimmend von den Veranstaltern des Forums gegen die Verschärfung des politischen Strafrechts, einschließlich der ASJ, wahrscheinlich einigen. Der Manifest–Text soll bis Mai fertiggestellt sein.
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