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Zärtlicher Mord

Alle Frauen hindern alle Männer am Leben, oder so, in Patrice Lecontes road movie „Tango mortale“  ■ Von Hannes Klug

Vorab einige Zahlen aus dem Programmheft: 1992 erwogen 20.853 verheiratete Männer, ihre Frauen umzubringen. 122 schritten zur Tat. Das sind wenige. Von 50.000 befragten verheirateten Männern gestanden 48.956, daß sie lieber wieder ledig wären. Von 50.000 ledigen Männern gaben 49.653 an, daß sie lieber verheiratet wären. Was soll man davon halten? Andererseits erklärten von 25.000 befragten Ehepaaren nur 12, daß sie sich noch nie gestritten hätten. Nach genaueren Nachforschungen stellte sich heraus, daß diese Paare noch nicht länger als drei Tage verheiratet waren. Dennoch bestätigen alle, daß das Leben schön sei. Statistiken sind manchmal recht verwirrend. (Diese hier ist aus Frankreich.)

Es gab Zeiten, in denen die staubige Romantik der Straße noch unhinterfragt der Ort war, auf dem sich die Rebellion einer ganzen Generation abspielte. Der Weg zur Transzendenz hieß Route 66, Asphalt und Anarchie gingen eine mystische Verbindung ein, die das road movie filmisch transportierte. Damals zerlegte allenfalls die durch psychedelische Drogen verzerrte Wahrnehmung das Licht der untergehenden Sonne in seine Spektralfarben. Inzwischen zerlegen Regisseure wie Jarmusch oder Kaurismäki die ganze Legende vom Leben auf der Straße in ihre Bestandteile. Filme wie „Down by law“ oder „Leningrad Cowboys“ dekonstruierten einen Mythos anhand seiner Versatzstücke, und wohl kein Genre wurde so genüßlich postmodernisiert wie gerade das road movie.

Ein guter Teil von „Tango mortale“ (der im französischen Original schlicht „Tango“ heißt), spielt sich im Innern eines amerikanischen Straßenkreuzers ab. Drei Männer sind darin Richtung Afrika unterwegs, um dort eine Frau zu ermorden. Der Autotyp ist ein Zitat, und Patrice Leconte – bekannt durch „Die Verlobung des Monsieur Hire“ und „Der Mann der Friseuse“ – hat es sich zur Aufgabe gesetzt, allen symbolischen Ballast, den dieses Auto mit sich führen könnte, für immer im Graben irgendeiner französischen Landstraße abzuladen. „Es hat etwas Seltsames und auch Lächerliches, im Innern eines amerikanischen Kombis zu versuchen, nach Afrika zu gelangen“, sagt Vincent (Richard Bohringer), der den Mord ausführen soll. Irgendwann ist der amerikanische Kombi dann nur noch ein zerbeultes Wrack – das vorläufige Ende eines Straßenabenteuers und gleichzeitig eine Allegorie auf das Ende eines Mythos.

Die Fahrt nach Süden ist ein Rachefeldzug gegen Pauls Frau, die ihn verlassen hat, weil er ihr untreu war, und gleichzeitig ein Rachefeldzug gegen das gesamte weibliche Geschlecht. „Alle Frauen hindern alle Männer am Leben“, daraus folgt: Man muß sie töten. Pauls (Thierry Lhermitte) bisheriges Leben bestach durch seine Gewöhnlichkeit. Er repräsentiert Gefühle eines Ehemannes über vierzig, hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu seiner Frau und der Flut anonymer sexueller Schlüsselreize, der er sich nicht entziehen kann. Sein Onkel (Philippe Noiret) – „der Elegante“ –, ist ein Frauenliebhaber, der aus Überzeugung alleine lebt, damit ihm keine Frau auf die Nerven fällt. Er stellt den Kontakt zu Vincent her, der seine Frau mitsamt ihrem Liebhaber schon vor mehreren Jahren aus dem Weg geschafft hat. Seitdem verbringt er seine Tage damit, in einem Lehnstuhl am Seeufer zu sitzen, in der Hand eine lange Angelrute ohne Schnur: ein Bild, das zu mehrstündigem Nachdenken herausfordert. Als Paul Vincent zum erstenmal sieht, möchte er am liebsten die Flucht ergreifen wie vor einem übersinnlichen Phänomen.

Mit einer rührenden Geschäftsmäßigkeit machen sich die drei Herren auf den Weg, die Blechkarosse als antimoralische Schutzhülle einer kleinen subversiven Zusammenrottung entlaufener Spießbürger. Die Straße ist eigentlich nicht ihr Terrain: die streetwear des Eleganten besteht aus einem weißen Anzug (dem richtigen Outfit für einen Richter, der Korruptheit zum obersten Grundwert seiner Berufsehre erhebt). Die Pistole suchen sie aus wie eine Krawatte. Die Fahrtverpflegung besteht aus einer Tüte Ananas- und Zitronenbonbons. Der Lautstärkeregler der Stereoanlage ist kaputt, und so ist die Gruppe im Auto dem stampfenden Tangorhythmus ausgeliefert, über dem eine ohrenbetäubende Stimme immer wieder schmerzerfüllt „Oh las mujeres“ schluchzt. Jedes road movie hat sein Lied.

In „Tango mortale“ besinnt sich Patrice Leconte auf die große Stärke von Komödien, die nicht in ihrer unschuldigen Leichtigkeit oder durchgedrehten Arschlöchigkeit liegt, sondern darin, daß sie bedenkenlos alle Normen ablehnen können, denen sich Kunst sonst so verpflichtet fühlt. Der Film entwickelt seine Kraft aus der Ablehnung aller Prinzipien und aus seiner kompromißlosen Freiheit von Moral. Alle ethischen Verbindlichkeiten, die den unfreien Menschen sonst drücken, sind gestrichen. Es gibt nur noch zwei Handlungsmotive: Lust und Pragmatik. Wenn Paul, Vincent und der Elegante auf die Straßen ziehen, ist das auch ein Ausbruch des gegängelten menschlichen Geistes, ein Erlebnis von Freiheit. Hier verbirgt sich das gemeinsame Thema von road movie und Komödie.

„In einer Komödie kann man die nackte Wahrheit sagen, ohne pathetisch zu werden“, sagt Patrice Leconte. So ist es: Auch ein Mord kann etwas ausgesprochen Sympathisches haben. Die Filme des Franzosen leben seit jeher von einem ungeheuer zärtlichen Blick auf die Menschen, der gerade sämtliche Skrupellosigkeiten zu seinem Gegenstand macht. Deutlich wird dies auch in den kleineren Szenen, den Nebenfiguren, die das episodische Handlungsgefüge bevölkern. Etwa der Frau, die in einem Autobahnrestaurant über ein Fischstäbchen hinweg ihren fetten Ehemann erschießt. Die drei Männer packen sie in ihren Kombi und flüchten mit quietschenden Reifen. Oder dem 50jährigen Ehemann, der sich in dem Hotel, in dem seine Frau sich mit ihren Liebhabern trifft, als Etagenboy anstellen läßt und die eheliche Lust aus dem Leiden des Betrogenen zieht, wenn er am nächsten Morgen ihr Zimmer aufräumt: „Ich lüfte nicht gleich, um noch etwas vom Duft der Nacht zu profitieren.“ In ihm trifft Paul die der seinen entgegengesetzte Variante vom Umgang mit einer gescheiterten Ehe.

„Männer und Frauen sind nicht dafür geschaffen zusammenzuleben. Alle wissen es, aber keiner nimmt es zur Kenntnis“, sagt der Elegante, und die Paare, die sich in Restaurants und Hotels langweilen, werden nacheinander zum Beweis dieser These bemüht. Das Hotel ist neben der Straße der zweite Fixpunkt des road movies. Der Elegante ist hier der einzige, der eine friedliche Nacht verbringt: mit einem Pornofilm. In seiner Selbstgenügsamkeit ist er ein wahrer Extremist. Als der Kombi ohne Benzin liegenbleibt, spaziert er, aus dem Nirgendwo kommend, in dem zumindest eine Tankstelle liegen muß, mit einem Benzinkanister in der Hand über die Landstraße – mit einer Gelassenheit im Gesicht, die Raum und Zeit aus den Angeln hebt. Noirets Miene besagt, daß er den Schritt, mit dem das eigene Dasein ganz selbstverständlich in den Bereich des Absurden gerückt wird, längst vollzogen hat.

Bei Kaurismäki beschwört die exzentrische Uniformierung eine Gemeinschaft unter den Leningrad Cowboys, die aber unterhalb der Oberfläche in eine Summe aus Ressentiments zersplittert. In Jarmuschs Filmen sind die Individuen am Ende wieder genauso vereinzelt wie am Anfang, ihre Gemeinschaft ist spröde, und deshalb auch nicht von Dauer. Am Ende von „Tango mortale“ beschwört Patrice Leconte so etwas wie das Landleben einer furzenden eingeschlechtlichen Gemeinschaft, das ironische Ideal des Männerbundes als neuer Lebensform. Wenn der Tango nicht wäre.

Patrice Leconte: „Tango mortale“, Kamera: Eduardo Serra. Mit: Philippe Noiret, Richard Bohringer, Thierry Lhermitte, Mio- Miou u.a., Frankreich 1993

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