piwik no script img

Zähne zusammenbeißen und losdüsenWovor haben wir Angst?

Foto: xy

Globetrotter

von Elise Graton

Seit der letzten Präsidentschaftwahl in Frankreich 2012 bekomme ich hin und wieder E-Mails von PolitikerInnen, obwohl ich keinen von Ihnen persönlich kenne – und auch keinem meine Adresse gegeben habe. Vielleicht war es die französische Botschaft in Berlin? Da bin ich jedenfalls gemeldet.

So oder so, zwei Tage nach der ersten Runde der Regionalwahlen, also vor genau einer Woche, landete eine Nachricht des Ex­premierministers François Fillon in meiner Inbox. In seiner ­E-Mail an mich reagiert der rechtskonservative Republikaner, der in zwei Jahren gern Präsident werden möchte, auf den vorläufigen Sieg des Front National.

„Die Lage ist sehr ernst“, schreibt er mir. „Zunächst einmal müssen wir jetzt eine geschlossene Front bilden, wir müssen die Zähne zusammenbeißen, wir müssen losdüsen“. Ja, „il faut foncer“, das sind seine Worte, wir müssen fix machen, losrennen, düsen. Gegen die Wand? Solch dünne Punch­lines kennt man eigentlich von Sarkozy. Vermutlich teilen sich die beiden den Redenschreiber.

Die Zähne beißt man zusammen, wenn einem eine schwierige Aufgabe oder Schmerz bevorsteht, und wenn man, der Angst trotzend, Angriffsbereitschaft signalisieren will. Nach dem Anschlag in Paris am 13. November versammelten sich, trotz Demoverbot, unzählige Menschen auf der < . Viele hielten Schilder, auf denen stand: „Même pas peur“ – gar keine Angst.

Totale Selbstbezogenheit

Keine Angst wovor eigentlich? Vor weiteren Anschlägen? In letzter Zeit wird mir schon mulmig, wenn zu viele Polizeisirenen aus der Ferne zu hören sind. Angst vor der Zukunft? Syrien wird bombardiert, die europäischen Grenzen werden geschlossen, die MigrantInnen gemobbt. Angst vor uns selbst vielleicht? Von „Je suis Charlie“ zu „Je suis Marine Le Pen“ ging alles recht schnell. Zielsicher betritt Europa eine Phase der totalen Selbstbezogenheit – und damit der Regression. Keine Angst?

Etwa zwei Wochen nach dem Anschlag auf Paris war ich bei einem Treffen des Cultural Innovators Networks (CIN) in Berlin, wo verschiedene Projekte für und mit Flüchtlingen vorgestellt wurden – wie etwa die App Refushi, die Begegnungen zwischen arabischsprachigen Neuankömmlingen und ihrer neuen Umgebung vereinfachen will, oder der Kochbuchkalender Happy New Food mit Rezepten aus dem Sudan, Algerien und Westafrika.

Bei einer Zigarettenpause quatsche ich mit Mohammed aus Kairo. Der kann zwar noch kein Deutsch, hat aber schon ein paar erste Lieblingswörter. „Welche denn?“, will ich wissen. „Toll!“, prustet er los. Und auch wie die Deutschen Tschüß sagen, gefällt ihm: „Tschü-üß“. „Tschütschüt-tschü-üüüß“, singt er vor sich hin. Ebrima, der sich dazugesellt, fragt, ob ich aus Frankreich komme: „Du hast so einen Akzent“. Ja, das ist richtig. Beides, der Akzent und die Herkunft. „Tut mir leid wegen der Tragödie in Paris“, sagt er dann.

Ebrimas Anteilnahme überrascht mich

Dass mich jemand wegen Paris tröstet, hätte ich nicht erwartet. In dem Moment fällt mir auf, dass mich außer einem Freund aus China niemand gefragt hat, ob es meiner Familie oder Freunden in Paris gut geht. Ebrimas Anteilnahme überrascht mich, denn ich merkte plötzlich, dass diese simple Geste von Mitgefühl oder die einfache Frage: „Hey, wie geht’s?“ mir in der ganzen Hysterie doch gefehlt hatte. Ich bedanke mich, wir tauschen E-Mail-Adressen aus, dann geht’s zurück in den Saal zur Abschlussdiskussion, die der Moderator des CIN-Treffens mit der Frage einleitet: „Habt ihr Angst?“

Schweigen. Es dauert einen Moment, bis sich der Erste zaghaft meldet: „Was meinst du, Angst wovor?“ Vor einer multikulturellen Gesellschaft, präzisiert der Moderator – und erntet Gelächter: In der kleinen Runde sitzen neben ein paar Deutschen hauptsächlich Leute aus Syrien, dem Libanon, Ägypten, Gambia, Polen, Kanada. Sie alle erleben die Begegnung mit anderen Kulturen nicht als Verlust, sondern als Bereicherung.

Dann meldet sich Moussa aus Gambia zu Wort und erzählt, wie er kürzlich aus der U-Bahn stieg und den Ausgang nicht fand. Verloren wandte er sich an einen alten Mann, um ihn um Hilfe zu bitten. Doch der wehrte erschrocken ab und suchte das Weite. „Der hatte Angst vor mir“, erinnert sich Moussa. „Dabei war ich der Wehrlose, allein, neu in Berlin, konnte kein einziges Wort Deutsch. Eigentlich war ich derjenige, der hätte Angst haben sollen“.

Elise Graton ist freie Journalistin und Übersetzerin in Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen