: ZWISCHEN DEN RILLEN
■ Trips und Vollmondmystik im Zeichen des Apfelmännchens: Von Techno zu Trance
Nach den goldenen Zeiten der Hipness zeigen sich auch im Dancefloor die ersten Verfallserscheinungen. Doch bevor den letzten Love-Paradern und Mega-Ravern die aufgeputschte Puste ausgeht, legen die Männer hinter dem Mischpult eine kleine Verschnaufpause ein, schalten den Beat ab und machen Techno für einige Momente vergessen. Sie haben Trance entdeckt. Nicht gerade erfindungsreich plätschert diese stillgestellte Tanzmusik wie ein Selbstfindungspräludium vor dem Gang in die Therapiestunde dahin, verbindet New Age, alte Klaus- Schulze-Klangspiralen und den ungebrochenen Willen zum durchtriebenen Spiel der Gruppendynamik mit seriellen Ambient-Melodien und gleicht den Wunsch nach Entspannung dem neuesten Stand der Mikroelektronik an. Passend zum Gameboy: Technopop als Sonnenseite der Rüstungsindustrie. Psychospielzeug.
Nur wenige Schritte entfernen sich die auf dem Sampler „Artificial Intelligence“ vertretenen Klangbastler von den Vorgaben des Tanzbodens. Laut eigener Definition eignet sich ihre „Electronic Listening Music“ für lange Autofahrten, stille Nächte und das Morgengrauen nach der Party. Durchaus sympathisch wird der Computer verteidigt: „sound“ und „spirit“ nicht als seelenlose Datenreise, sondern als menschliche Prothese eines bereits erweiterten Bewußtseins. Die künstliche Intelligenz ist weniger doof als high. Entsprechend klingen viele Songs.
Die im Pazifik lebende Musikerkommune I.A.O. versucht Chaos und Techno mit einem gehörigen Schuß Zen im Kopf zum Einklang zu bringen. Ohne viel Phantasie erkennt man hinter der gutgemeinten Transzendentalästhetik ein unverblümtes Faible für Kraftwerk und High Energy. Autechre aus England drehen dagegen ziemlich unangenehm am Geschwindigkeitsregler ihrer Tonbandmaschine, so daß nicht weiter kontrollierte Effekte aus den Boxen rumpeln. Experimentell! Allesamt haben die vertretenen Bands jedoch in erster Linie Schwierigkeiten, ihr Konzept virtueller Kammermusik einzulösen. Nur selten kommen die Rhythmusprogramme über einen simplen Viervierteltakt hinaus, und auch das flirrend beschwörende Endlosgeorgel zeugt von nichts anderem als einer unvergänglichen Vorliebe für Trips und Vollmondmystik im Zeichen des Apfelmännchens.
Noch weniger haben The Orb zu sagen. „UFO“ blubbert knapp eine Stunde vor sich hin, ohne daß sich irgendeine Synapse regt. Im letzten Jahr hatte das englische DJ-Duo noch den Humor besessen, über einen guten Beat die verschlafene Stimme eines Hippiemädchens zu legen, das Wolken beschreibt. Unter der Mitwirkung von Steve Hillage (!) ist nun ein nach meditativen Gesichtspunkten angeordneter Sessionmatsch entstanden, aus dem ab und zu eine Dancefloorphrase emporgespült wird. Der kurze Reggae-Einschub bei „The Blue Room“ war in England sogar ein Hit. Auf LP muß man sich jedoch bis zum ersten Discoblock durch zehnminütige Synthiepassagen quälen, zu denen der entmumifizierte Hillage mondsüchtig wie vor 20 Jahren auf seiner Gitarre sägt und quietscht. Er stellt die Hörbereitschaft auf eine harte Bewährungsprobe. Zwischendurch rauscht das Meer, wird eine Panflöte geblasen oder ein bißchen mit den Balzlauten der Buckelwale gespielt. Würde DJ Alex Paterson nicht nebenbei bekannte Techno-Melodien souverän in das wabernde Einerlei mischen, wäre diese Musik praktisch tot. Statt dessen: kalkulierte Amnesie, sehr britisch, fast Pop.
Zur anregendsten Kommunikation zwischen geschwungenem Tanzbein und aufgewühlter Psyche trägt ausgerechnet eine belgische Gruppe aus dem Psychic-TV-Dunstkreis bei, die völlig unmoderne Brücken zwischen Trance und Techno schlägt. Psychic Warriors ov Gaia wechseln einfach tribales Getrommel, satte Beats und neurotisches Gedudel miteinander im Fünf-Minuten-Turnus ab, so wie sich die Bilder im Kaleidoskop bei einem leichten Schütteln unwiederbringbar vermischen. Belesen ist die Band auch noch. „Anathema ov Jean Jacques Derrillard“ betreibt eine Art Strategie der Interessenverschiebung: vom Seminar in die Discothek, gewappnet mit Kleintheoremen der französischen Theoriepäpste. Tanzen wird als geistige Bewegung von einer inneren Notwendigkeit angetrieben, so das Credo der Gruppe, mit dem die kurzweilige Bestandsaufnahme transzendentaler Schwingungen aus dem Computer programmatisch verklärt wird [hä?, d. s-in]. Eine alte Cabaret-Voltaire-Scheibe erzielt wahrscheinlich die gleiche Wirkung.
Diverse: Artificial Intelligence. Electronic Listening Music from Warp (Rough Trade)
The Orb: UFO (Logic Records/BMG)
Psychic Warriors ov Gaia: Ov Biospheres and Sacred Grooves (Rough Trade)
TRIPS UND VOLLMONDMYSTIK IM ZEICHEN DES APFELMÄNNCHENS: VON TECHNO ZU TRANCE
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