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ZUR GESELLSCHAFTLICHEN DISKURSFÄHIGKEIT DER GRÜNENWider die inhaltliche Ermüdung

Die Kandidatur von Künast und Kuhn für den Parteivorsitz der Grünen beschert dem Vorstand nicht nur modischere Sturmfrisuren. Beide sind Personen von intellektuellem und politischem Kaliber. Als Parlamentarier haben sie sich einen Namen gemacht und als Fraktionsvorsitzende Gewicht verschafft. Von ihren Mandaten müssen sich Künast und Kuhn nun trennen, weil es die Partei so gewollt und die Trennung von Parteiamt und Abgeordnetenmandat fortgeschrieben hat. Die Gegner einer Strukturreform werden jetzt, wo die beiden zum Verzicht auf den Fraktionsvorsitz bereit sind, mit gutem Grund sagen: „Seht ihr, es geht doch! Keine Ämterhäufung!“ Und die Befürworter werden sagen: „Seht ihr, jetzt zwingen wir unsere Zugpferde in den Länderparlamenten, den Platz zu räumen, und rauben den Parteivorsitzenden in spe ein Forum, das sie für das grüne Projekt nutzen könnten.“

Schon aus pragmatischen Gründen wäre eine Trennung wohl sinnvoll gewesen, weil der gegenwärtige Zustand der Partei die ganze Frau und den ganzen Mann erfordert. Das unvermeidliche Nachkarten um die richtige Strategie der Personalentwicklung ist aber ohnehin ein bloßes Nachhutgefecht. Allein die Strukturdebatte selbst hat dafür gesorgt, dass bei den im Juni anstehenden Vorstandswahlen niemand aus dem Hut gezogen werden kann, dessen Qualifikation vor allem ist, kein Mandat zu haben und damit vor dem misstrauischen grünen Basisblick bestehen zu können. Das zukünftige Parteisprecherpaar wird dem heimlichen Parteivorsitzenden auf Augenhöhe begegnen können und das politische Gewicht, das Fischer ebenso verkörpert wie trägt, auf die Partei verteilen müssen.

Der zukünftige Parteivorstand muss dem Außenminister auch ein streitbarer Partner sein und Paroli bieten können, wenn es um die Weiterentwicklung der inhaltlichen Programmatik der Grünen und um die Wiedergewinnung ihrer Diskursfähigkeit geht. Der Ex-Sprecher Ralf Fücks hat den Finger auf die Wunde gelegt, wenn er von der „inhaltlichen Ermüdung“ der Grünen spricht. Die Erlahmung der innerparteilichen Debatte geht mit ihrem Verschwinden aus dem gesellschaftlichen Diskurs einher. Dieser Diskurs wird nämlich geführt, aber nicht unter grüner Beteiligung. Wo waren die Beiträge zum Holocaust-Mahnmal, zur Wehrmachtsausstellung, zum öffentlichen Streit zwischen Walser und Bubis, zu den gentechnologischen Züchtungsfantasien von Sloterdijk, wo sind sie zum Tschetschenienkrieg? Die Kultur als reflexives Feld der gesellschaftlichen Selbstverständigung ist eine blanke Leerstelle für eine Partei geworden, die einmal die Sympathien von Joseph Beuys und Heinrich Böll besaß. Wer von der gesellschaftlichen Basis der Grünen und der Bedeutung der Medien für unsere Demokratie etwas verstanden hat, muss die Künstler und Intellektuellen, die aus dem Umkreis der Partei verschwunden sind, wieder zurückholen. Wenn nicht in die Partei, so doch in eine Debatte mit ihr.

Ein Symptom der zunehmenden Selbstbezüglichkeit der Grünen ist ihr Wahn, sie hätten die richtigen Konzepte (die sie in Hinterzimmern und mit ihresgleichen verhandeln) und könnten sie bloß nicht umsetzen. Nein, die praktischen Zukunftsfragen der Gesellschaft – von der Bildung, dem Generationenvertrag, der Mobilität bis zur Zukunft der Arbeit, der sozialen Gerechtigkeit, der Einwanderungs- und Menschenrechtspolitik, um einige zu benennen – bedürfen der öffentlichen Erörterung. Die grünen Konzepte gelten nur, wenn sie sich einem diskursiven Zwang zur Begründung und Rechtfertigung stellen und öffentliche Zustimmung erhalten.

Politik in Zeiten der Globalisierung und unter der Bedingung der raschen Entwertung von Wissensbeständen muss immer wieder neu erfunden werden. Die Grünen müssen wieder Gesprächspartner werden für die Intelligenz. Wenn der Strukturdebatte eine programmatische Debatte über Ziele und Gestaltung von Politik im 21. Jahrhundert folgt, die gesellschaftliche Wirkung erzielt, dann wird die Partei spannend und ihr Personal, das diesen Diskurs organisiert, attraktiv. Und die Gestaltungsmacht, die in der Regierungsbeteiligung liegt, erhält neue Aussicht auf Mandatsverlängerung. In der Personaldebatte um den Parteivorstand sollten das die begleitenden Fragen sein. MARTIN ALTMEYER

Der Autor ist promovierter klinischer Psychologe und Organisationsberater in Frankfurt

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