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ZU SCHNELLES WACHSTUM IST EINE GEFAHR FÜR DIE AGRARWENDEHochleistungsmaschine Ökohuhn

Die Aufklärung um die Nitrofenverseuchung zeigt: Es ist kein Ökoskandal. Auch wenn die Rolle einiger Bioaktivisten selbst bei wohlwollender Betrachtung als „äußerst zwiespältig“ eingestuft werden muss – nicht der ökologische Landbau ist die Ursache des Skandals, sondern Altlasten und großindustrielle Strukturen. Denn: Die giftigen Substanzen brachte der einst chemisch intensivierte Landbau hervor. Und zudem haben die großen Lebensmittelhersteller die Aufklärung verzögert. Neu ist am Nitrofenskandal allenfalls, dass es jetzt auch in der politisch korrekten Biobranche kriminelle Energie gibt. Aber warum sollte das ausgerechnet hier anders sein als in anderen Branchen?

Man könnte nun meinen, Verbraucherschutzministerin Renate Künast gehe gestärkt aus dieser Sache hervor. Kurzfristig trifft dies zweifelsfrei zu: Selten ist ein Skandal in der Landwirtschaft so schnell aufgeklärt worden. Politisch flankiert durch das Öko-Landbau-Gesetz, das letzten Freitag den Bundesrat passierte, kann man Frau Künast nur bescheinigen: Gute Arbeit! Die konventionelle Agrarlobby konnte das Künast’sche Ziel von 20 Prozent Biomarktanteil nicht schlecht reden.

Mittelfristig aber zeigt der Skandal die große Gefahr für die grüne Landwirtschaft auf. Bioeier im Supermarkt – dieser agrarpolitische Wunsch ist tatsächlich in Erfüllung gegangen. Dank BSE oder der Maul- und Klauenseuche ist schließlich die Nachfrage da, und daran orientiert sich die Produktion. Folgerichtig haben die niedersächsischen Eierbarone ökologische Ableger gegründet, die namenlose, ortlose Massenprodukte der Farbe Bio auf den Markt werfen.

Das passte Renate Künast bislang ganz gut in den Kram. Doch: Der Zuwachs, den sie stolz als Beleg für ihre erfolgreiche Politik zitiert, hat nichts mit einem „Mehr“ an Biobauern oder einem „Mehr“ an ökologisch bewirtschafteter Fläche zu tun. Sondern mit Massenproduktion und Handelsspannen. Das Ökohuhn als Hochleistungsmaschine. Allein Wiesengold, ein zertifizierter „Guter“ der Branche, produziert täglich 180.000 Eier. Der Handel stürzt sich auf derlei Kapazitäten, weil sie billig und verfügbar sind und Handelsspannen von bis zu 100 Prozent ermöglichen. Künasts Politik setzt auf Biowachstum, Spezialisierung, Strukturwandel. Das hat mit dem glücklichen, auf dem Misthaufen scharrenden Huhn natürlich nichts zu tun. Mit der grünen Agrarwende aber schon: Die gerät zur Farce, wenn man auf das unkontrollierte Wachstum der Biobranche setzt. NICK REIMER

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