ZU DEN FORDERUNGEN DES 51. SUDETENDEUTSCHEN TAGES IN NÜRNBERG: Neue deutsche Unverfrorenheit
Gewiss: Die meisten böhmisch-mährischen Deutschen verbinden mit der ersten Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg traumatische Erinnerungen. Doch wenn beim 51. Sudetendeutschen Tag der neue Sprecher der Landsmannschaft, Johann Böhm, im Chor mit dem bayerischen Landesvater Edmund Stoiber schon ellenlange Belehrungen in Sachen Vergangenheitsbewältigung an „die Tschechen“ richtete, dann sei doch auch noch mal an einige dunkle Kapitel erinnert, die in den Nürnberger Brandreden nicht zur Sprache kamen.
Nur wenige Tage nach dem von den meisten der dortigen Deutschen gefeiertem Einmarsch der Nazitruppen in die Tschechoslowakei folgte im November 1938 die Pogromnacht. Damals wurden die „Sudeten“ fürwahr ein Teil der „deutschen Volksgemeinschaft“. Für deren Verbrechen zahlten sie einen besonders hohen Zins. Aber den zahlten auch andere, die Bevölkerung der deutschen Großstädte etwa. Dort verloren im Inferno der Flächenbombardements zehntausende von Menschen ihr Leben. Doch obwohl diese gegen Zivilisten gerichteten Angriffe der westlichen Alliierten keineswegs den von Stoiber bemühten Grundsätzen einer allgemeinen „europäischen Rechts- und Werteordnung“ entsprachen, ist bislang kein Politiker des rechten Spektrums auf die Idee gekommen, von den entsprechenden Regierung eine Entschuldigung oder gar Entschädigung zu fordern. Gegenüber der kleinen Tschechischen Republik traut man sich aber so einiges, sogar – wie von Stoiber am Wochenende in einer offenen Drohung ausgesprochen – den Hinweis, man könnte Prag wegen unzureichender Auseinandersetzung mit der Vergangenheit international an den Pranger stellen.
Die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei zeigte, wie weit ein von den Nazis unterjochtes Volk inzwischen von der allgemeinen Verrohung seiner Besatzer infiziert war. Sie war übrigens auch ein Akt der Selbstamputation: Denn auch ein Stück böhmischer und somit auch tschechischer Identität wurde aus Böhmen vertrieben Aber: Der auch beim 51. Sudetendeutschen Tag unablässig bemühte Vergleich zwischen den Vorgängen von damals und den Vertreibungen in Ex-Jugoslawien in den Neunzigerjahren stellt die Geschichte förmlich auf den Kopf. Dass die deutschen Flüchtlingstrecks nach 1945 etwas mit dem Gesetz von Ursache und Wirkung zu tun hatten, wird von den Vertriebenenvertretern bewusst übergangen. Dafür wollen sich die deutschen Musterschüler zu Lehrern „der Tschechen“ mausern. Das ist in seiner Intensität und Unverfrorenheit neu.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Sudetendeutschen vertrieben. Sie und ihre Nachkommen leben aber noch. Sie können auf „die Tschechen“ schimpfen, sich mit ihnen auseinander setzen – oder eine Versöhnung mit ihnen suchen. Ob den Oberlehrern von Nürnberg auffällt, dass es noch eine Gruppe gab, ohne die das frühere Böhmen gar nicht denkbar war – die Juden nämlich? Mit ihnen ist leider kein Gespräch möglich, da sie in ihrer überwiegenden Mehrheit ermordet wurden. Denn das „europäische Kernland Böhmen und Mähren“ (Stoiber) wurde nach 1938 für seine jüdischen Bewohner zur Falle, aus der es nur für wenige ein Entkommen gab. Ohne die Juden aber ist eine wirkliche Versöhnung eigentlich nicht möglich – höchstens eine Bestandsaufnahme der Trümmer und bescheidene, kleine Neuanfänge.
Für das mörderische System, mit dem Deutsche – auch aus Böhmen – ganz Europa überzogen hatten, zahlten Sudetendeutsche einen besonders hohen Preis. Das war der Fluch der bösen Tat. So etwas gibt es in der Geschichte manchmal. Unter ihm litten auch Unschuldige – womit keineswegs nur Kinder und Greise gemeint sind. Überliefert sind Zeugnisse von unbeschreiblichem Mut von sudetendeutschen Nazigegnern oder von so genannten einfachen, unpolitischen Menschen, die anständig geblieben sind und dafür etwas riskierten. Auch sie mussten mit dem Verlust ihrer Heimat zahlen.
Einen Abraham, der Gott anflehte, wegen einiger Gerechter Sodom nicht zu vernichten, gab es 1945 nicht. Doch wissen wir heute, dass das gar nicht nötig war. Deutschland und dem deutschen Volk blieb das Schicksal von Sodom erspart. War das gerecht? Es wurde nur angeschlagen und steht heute wieder in voller Pracht da. Wer will also mehr? Offenbar Stoiber und so mancher Vertriebenenfunktionär. RICHARD SZKLORZ
Journalist, wuchs in Mähren auf und verließ die CSSR 1968
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