ZAHLENMAGIE : An ungeraden Tagen
Eigentlich bin ich kein Mensch, der zwanghaft wird. Keine Zahlenbeschwörungsformeln, wenn ich die Straße heil überqueren will, keine gekreuzten Finger, wenn der Flieger startet. Aber dagegen hätte ich gerne ein Mittel: Supermarktkasse, ich lege die Waren aufs Band, piep piep piep, alles rauscht am Laser vorbei. Raus kommt die immer gleiche Summe. Die Verkäuferin murmelt „35,86 Euro“, der Verkäufer nuschelt „34,98 Euro“. Egal, ob beim Discounter oder im herkömmlichen Supermarkt, egal ob ein Wochenendeinkauf oder nur was für zwischendurch: 35 Euro. Mehr als einen Euro Abweichung bekomme ich nicht hin.
Bis jetzt. Unser Stammsupermarkt um die Ecke wurde von einer anderen Kette aufgekauft. Als Erstes flog der nette Grieche im Eingangsbereich raus, der die besten Oliven jenseits der Kreuzberger Wochenmärkte anbietet. Ein Bäcker zog ein mit Brötchen aus der Retorte. Dann begann das große Umräumen. Ich kam rein und staunte: halbleere Regale, umgestürzte Packungen. Die Käsetheke: abgebaut. Die Kühltheke: rausgeräumt. Es gab keine Tempos und keine Pralinen mehr. Also nur eine Tafel Schoki, Pasta und Äpfel, Saft. Basics. Den leeren Einkaufswagen schob ich an Regalen vorbei, die aussahen wie ausgeweidete Tiere. Die Hinterbühne des Kapitalismus, man konnte das Skelett sehen. Sah es so im Sozialismus aus? Kaum Auswahl, aber auch keine Qual der Wahl? Piep piep an der Kasse: etwas über zehn Euro. Leichten Herzens und mit leichter Tasche ging ich nach Hause.
Ein paar Wochen später. Der Supermarkt wirkt bonbonbunt. Nervtötende Jingles und Werbung rauf und runter. Ist das hier Privatradio oder was? Teurer Käse, hochpoliertes Obst, unfreundliche Verkäufer. An der Kasse: 45 Euro. Mist! „Der Feind“ nennen wir den Supermarkt nun. Den betrete ich übrigens nur noch an ungeraden Tagen – und mit dem linken Fuß zuerst. Soll helfen. MIRIAM JANKE