Ypsilanti-Wahl wieder spannend: Was macht Walter?
Auf dem SPD-Parteitag stimmen die Delegierten für den ausgehandelten Koalitionsvertrag. Eine Zitterpartie bleibt Ypsilantis Wahl trotzdem - weil ihr rechter Vize Walter querschießt.
Formal lief das Drehbuch fast nach Plan: So etwa segneten die Delegierten auf dem Sonderparteitag der hessischen SPD am Sonnabend in Fulda mit großer Mehrheit (95,3 Prozent) den mit den Grünen ausgehandelten Koalitionsvertrag ab, machten den Weg zu einer von der Linkspartei tolerierten Minderheitsregierung in Wiesbaden frei. Und auch dass die Landtagsabgeordnete Dagmar Metzger erneut erklären würde, dass sie am Dienstag im Landtag ihre Parteichefin Andrea Ypsilanti nicht mit zur Ministerpräsidentin wählen werde, wegen des damit verbundenen "Wortbruchs" gegenüber den Wählerinnen und Wählern, ist absehbar. Dass aber die gleichfalls zu erwartende Philippika des Landtagsabgeordneten und Exponenten des rechten Flügels der hessischen SPD, Jürgen Walter (40), so heftig ausfallen würde, hat dann doch für Ernüchterung bei den Genossen gesorgt.
Walter stimmte gegen das von Ypsilanti als "gute und solide Grundlage" bezeichnete Vertragswerk, zusammen mit sieben weiteren Genossen, von denen sechs aus dem Wahlkreis von Dagmar Metzger angereist waren; acht weitere Delegierte enthielten sich.
Walter verhielt sich in seiner Logik konsequent. Denn in seiner Rede hatte er den Koalitionsvertrag erneut heftig kritisiert. Vor allem die Passagen zur Wirtschafts- und Verkehrspolitik und dort explizit den beschlossenen "nicht bestimmbaren Zeitverlust" beim Ausbau des Frankfurter Flughafens. Dass zudem der "fast schon religiös agierende" Flughafenausbaugegner Frank Kaufmann von den Grünen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium werde, löse Ängste auch bei vielen Beschäftigten am Airport aus, meinte Walter. Sein Fazit: "Der Koalitionsvertrag gefährdet Arbeitsplätze in unserem Land!" Walter monierte zudem, dass die zentralen Ressorts - Umwelt und Bildung - "an die Grünen gegangen sind". Dabei klagte er bei Andrea Ypsilanti und seinen linken Genossen Respekt ein: für seine Positionen und für die Haltung von Dagmar Metzger.
Nicht wenige Linke ballten die Faust - in ihren Hosentaschen. Denn ein auch nur verbaler Frontalangriff auf den "Spiel- und Spaßverderber", so eine verstimmte Jungsozialistin, verbot sich von selbst. Verärgert ist der Jurist auch so schon hinreichend genug. Und Walter wird schließlich noch gebraucht. Am "Y-Day" im Landtag zählt bei der Ministerpräsidentinnenwahl jede Stimme: die von Walter und die der 40 anderen Abgeordneten der SPD (die Stimme von Metzger schon rausgerechnet); die der neun Vertreter der Grünen und auch die geheimen Voten der sechs Linken. Stimmt Walter nicht mit, fällt Ypsilanti durch. Mit nur 55 Stimmen nämlich ist die in der Landesverfassung für die Wahl des Ministerpräsidenten vorgeschriebene qualifizierte Mehrheit der Abgeordneten des Hessischen Landtags (insgesamt 110 Sitze) nicht erreicht.
Eine Zitterpartie also für Ypsilanti. Die von fast allen Delegierten demonstrativ zur Schau gestellte gute Laune am Ende des Parteitages mit Standing Ovations für "Ypsi" (Jusos) war denn auch ein eher peinlich anmutendes Ritual. Und Ypsilantis trotzige Ermutigung, Roland Koch (CDU) am Tag der amerikanischen Präsidentschaftswahlen abzulösen: "Yes, we can!" klang schal. Denn die Genossen beschäftigte nur noch eine Frage: Stimmt Walter am Dienstag trotz aller Bedenken für Ypsilanti, wie von ihm noch auf dem letzten Parteitag in Hanau öffentlich verkündet? Oder ist seine Verärgerung über das entgangene Ministeramt und den Koalitionsvertrag so groß, dass er Ypsilanti jetzt doch die Gefolgschaft versagt?
Am Samstag in Fulda direkt danach gefragt, verweigerte Walter die Antwort. Ypsilanti dagegen erklärte, dass ihr Kontrahent ihr gegenüber versichert habe, bei der Wahl für sie stimmen zu wollen. Es klang ein bisschen wie das berühmte Pfeifen im ganz finsteren Wald.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel